«Das erste Zeichen dafür, dass du dein Viertel verlassen musst, sind Vintage-Klamottenläden», sagt der Barkeeper im Dokumentarfilm «Push - für das Grundrecht auf Wohnen». Dann stiegen die Immobilienpreise. «Und du bekommst die Kündigung.» Dass langjährige Mieter ihre Wohnungen verlassen müssen, weil sie die steigenden Mieten nicht mehr bezahlen können, ist in vielen Städten weltweit ein wachsendes Problem, heisst es im Film des schwedischen Regisseurs Fredrik Gertten (63), der in unseren Kinos angelaufen ist.
Er folgt der Kanadierin Leilani Farha (50), Juristin und UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf angemessenes Wohnen, bei ihrer Reise um die Welt. In Barcelona (Spanien), Berlin, London oder im schwedischen Uppsala trifft Farha Betroffene, die aus ihren Wohnvierteln verdrängt wurden.
Wohnen als Menschenrecht
Hauptgrund: Wohnblocks werden von Investmentfirmen und Pensionskassen aufgekauft. Auf der Suche nach schnellen Renditen werden die Wohnungen saniert und die Mieten erhöht. Für viele Menschen wird der Wohnraum unbezahlbar. Dieses Phänomen betrifft Unterschicht wie Mittelschicht zugleich. «Wem gehört die Stadt, wenn dort niemand mehr wohnen kann?», fragt Farha.
Ihre Mission: Regierungen informieren, Politiker motivieren, Lösungen finden. Denn angemessenes Wohnen ist ein Menschenrecht. Das heisst, jeder Mensch hat ein Recht darauf, in Sicherheit und Würde zu leben. Mit Anschluss an sanitäre Anlagen und Strom.
Pensionskassen unter Renditedruck
Auch in der Schweiz sind steigende Mieten Realität. Das anhaltende Tiefzinsumfeld macht Investitionen in Obligationen oder festverzinslichen Anlagen unattraktiv. Auf dem Immobilienmarkt hingegen lässt sich noch Rendite holen.
Unter Druck stehen vor allem Pensionskassen. Das Geld der zukünftigen Pensionäre muss gut angelegt werden. Und so mischen auch sie vermehrt auf dem Immobilienmarkt mit. Sie kaufen und sanieren Wohnungen und treiben die Preise in die Höhe. Die Ironie: Die Sanierungen wurden mit dem Geld der Menschen vorgenommen, die sich diese Wohnungen nun oft nicht mehr leisten können.
Sanierungen lassen Mieten steigen
Mit steigenden Mieten müssen auch die Bewohner einer Wohnsiedlung in Regensdorf ZH rechnen. Ihnen wurde gekündigt, da die Überbauung im Besitz der Swiss Life diesen Herbst abgerissen werden soll. Danach wird neu gebaut. Das heisst: Die Mieten werden steigen.
In Zürich hat die Pensionskasse der Credit Suisse angekündigt, 240 Wohnungen im Brunaupark abzureissen. Derzeit liegen die Mieten zwischen 1500 und 2500 Franken. Die 500 neuen Wohnungen hingegen sollen zwischen 2500 und 3500 Franken kosten. Diesen Mietzins wird sich nicht jeder leisten können.
Sabrina Müller verliert den Kampf
Im Zürcher Seefeld sind bezahlbare Wohnungen rar. Denn Sanierungen treiben die Mieten ins Unbezahlbare. 2017 kündigte die Pensionskasse der Zürcher Kantonalbank (ZKB) 33 Mietern an der Zollikerstrasse, um die Liegenschaft zu renovieren. Damals lagen die Mieten zwischen 1500 und 2000 Franken. Ab Juli werden die Wohnungen neu vermietet - die meisten kosten jetzt um die 4000 Franken.
So wie die ehemalige Wohnung von Sabrina Müller* (52). 21 Jahre lebte die Pädagogin dort. Für ihre 89 Quadratmeter grosse Dreizimmerwohnung plus Bastelraum zahlte sie um die 1400 Franken. Als eines Tages Männer anfingen, Messungen vorzunehmen, wurden sie und ihre Nachbarn misstrauisch. «Wir haben Angst bekommen», erzählt die Pädagogin. Dann kam die Kündigung.
Mietwohnungen werden zur Kapitalanlage
Für Müller begann ein kräftezehrender Weg zwischen Mieterverband, Mietgericht und einer Unterschriftensammlung, die von der Stadt Zürich mit einem «ernüchternden Brief», wie Müller sagt, abgespeist wurde. «Ich als Mensch habe nicht gezählt», sagt sie.
«In dieser Zeit ist bei mir ganz viel Sicherheitsgefühl verloren gegangen, ich fühle mich entwurzelt.» Unterstützung bei der Wohnungssuche habe sie kaum erhalten, lediglich eine Wohnung sei ihr angeboten worden. Heute lebt sie ausserhalb von Zürich - eine Wohnung in der Stadt kann sie sich nicht mehr leisten.
Glättli fordert mehr Wohnungen zur fairen Kostenmiete
Lediglich vier Prozent der Schweizer Mietwohnungen sind im Besitz von gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften. «In der Schweiz erleben wir, dass immer mehr Kapital in den Wohnungsmarkt drängt», sagt Balthasar Glättli (47) Grünen-Nationalrat und Präsident des Schweizer Mieterinnen- und Mieterverbands (MV).
Die Schweiz brauche mehr bezahlbare Wohnungen. Konkret heisst das: «Es muss mehr Wohnungen geben, die nicht nur zur Renditemaximierung vermietet werden - sondern nach einer fairen Kostenmiete.»
Schicksale wie das von Sabrina Müller begegnen UN-Berichterstatterin Leilani Farha im Film «Push» einige. Auf ihrer Reise von Land zu Land wird deutlich: Wenn Mietwohnungen zur Kapitalanlage werden, bleiben die Menschen auf der Strecke.
*Name geändert