Fjolla Krasniqi (19) aus Schwarzenbach SG hat sich geschworen: «Nie wieder ein Praktikum in einer Kindertagesstätte!» Eigentlich wäre sie gerne Fachfrau für Kinderbetreuung geworden. Im August 2016 begann sie ihr Praktikum in einer St. Galler Kindertagesstätte. Sie und 19 weitere Jugendliche sollten dort, wie es hiess, ein Jahr lang ihre Tauglichkeit beweisen – für 450 Franken im Monat!
In ihrer Schicht kümmerten sich vier Betreuer um 25 Kinder: «Oft waren wir drei Ungelernte und nur eine Fachperson.» Lediglich jeder fünfte Praktikant bekam später eine Lehrstelle – Krasniqi war nicht dabei: «Dafür wollten sie mein Praktikum verlängern – um mir noch mal eine Chance zu geben.» Aber Krasniqi wollte sich nicht länger ausbeuten lassen: «Die Kündigungsfrist betrug zwei Monate!»
Der Branchenverband Kinderbetreuung Schweiz, Kibesuisse, zeigt grosses Verständnis für diese Arbeitsbedingungen: «Kitas stehen unter einem hohen finanziellen Druck», sagt Prisca Mattanza, Mediensprecherin von Kibesuisse. «Die Personalkosten machen rund 80 Prozent der Betriebskosten aus.»
Viele sind nicht genügend ausgebildet
Würden Praktikanten durch Fachpersonen ersetzt, stiegen die Preise für einen Kitaplatz um 20 Prozent. Bei einem gegenwärtigen Durchschnitt von 110 Franken pro Tag wären dann 132 Franken fällig. «Die Tarife für Eltern sind bereits überdurchschnittlich hoch», sagt Mattanza. «Die Mehrkosten müssten von Gemeinden oder Kantonen übernommen werden.» Das tönt, als gehe es bei den Problemen der Kitas nur ums Geld. Doch eine Mitgliederbefragung von Kibesuisse im Jahr 2016 ergab, dass 55 Prozent der Betreuer – davon ein Drittel Praktikanten – nicht genügend ausgebildet sind.
Der Gewerkschaftsverband VPOD Zürich und der Fachverband Trotzphase («Wir haben genug von mangelnder Wertschätzung, tiefen Löhnen, zu wenig Personal, chronischer Unterfinanzierung und Sozialabbau») begründen diesen Zustand mit einer fehlenden Regulierung der Branche. In einer Petition verlangen die Gewerkschaften einen Gesamtarbeitsvertrag, der Lohntransparenz, Lohngleichheit und nachhaltige Weiterbildungsmöglichkeiten fordert.
Bisweilen richten sich die Kitas nach den Empfehlungen ihres Verbandes Kibesuisse, der einen Lohn von 800 bis 950 Franken vorschlägt. «Lange Praktika sind sinnvoll», so Sprecherin Mattanza. «Für eine positive Entwicklung brauchen Kinder konstante und vertraute Bezugspersonen.» Und weiter: «Wir gewichten das Kindeswohl am höchsten und empfehlen deswegen einjährige Praktika.»
«Manche Kinder wurden vernachlässigt»
Fjolla Krasniqi hielt es kein Jahr aus. «Wegen des vielen Stresses war ich immer schlechter gelaunt.» Das habe sich auch auf ihren Umgang mit den Kindern ausgewirkt: «Manche wurden vernachlässigt, weil wir zu wenige Betreuer waren.» Dabei sollten die Praktikanten laut Kibesuisse etwas lernen.
Mediensprecherin Prisca Mattanza: «Eine Bezugsperson muss mit ihnen Lernziele erarbeiten.» Zudem sollten Praktikanten höchstens 80 Prozent arbeiten: «Ein Tag in der Woche muss für Bildung reserviert sein, etwa in Form einer Berufsvorbereitungsschule. Die Kitas sollen sich an den Schulkosten beteiligen», so Mattanza. «Praktikanten sind kein Ersatz für eine Fachperson.»
Als Krasniqi für einen Tag in der Woche zur Berufsvorbereitung in die Schule gehen und ihr Pensum auf 80 Prozent reduzieren wollte, wurde ihr der Lohn auf 380 Franken gekürzt.
Die Kita stellte ihr Interesse, Krasniqis Arbeitskraft voll auszunutzen, auch auf andere Art unter Beweis: «Nachdem die Kinder am Abend von ihren Eltern abgeholt worden waren, musste ich jeweils noch eine halbe Stunde die Kita putzen.»