Bis 2020 droht landesweit 456 Poststellen das Aus, 1200 Mitarbeiter sind davon betroffen. Was nach dem Jahr 2020 mit den bis dahin gesicherten Postfilialen passiert, ist unklar. Der oberste Pöstler, Urs Schwaller (64), ist unter Druck. BLICK traf den Post-Präsidenten gestern am Hauptsitz in Bern-Wankdorf zum Interview. Schwaller kam mit halbstündiger Verspätung.
BLICK: Herr Schwaller, Sie wirken gestresst.
Urs Schwaller: Ich fühle mich nicht so.
Belastet Sie der Poststellenabbau?
Nein. Ich bin spät dran, weil ich noch auf meiner Poststelle in Tafers war und dort ein wenig mit Leuten geplaudert habe.
Sie schreiben noch Briefe?
Eine Abholeinladung für ein Einschreiben der Post lag noch auf meinem Schreibtisch. Ich dachte, das erledige ich vor dem Interview noch schnell. Zudem habe ich in Tafers ein Postfach.
Sie haben noch ein Postfach?
Ja, zwei sogar. Sie sind für mich sehr praktisch, da ich in Freiburg noch mein Anwaltsbüro habe. Morgens, wenn ich vom Joggen zurückkomme, kann ich die Post dann auf dem Weg ins Büro mitnehmen.
Ihre Poststelle ist nicht vom Abbau betroffen?
Nein, Tafers ist ein Bezirkshauptort, daher ist sie gesichert und bleibt hoffentlich noch lange im Ort.
Viele können das von ihrer Poststelle nicht mehr behaupten.
Sie spielen auf das Postnetz an, das wir nun umbauen. Einen Abbau gibt es ja nicht, auch werden Poststellen nicht einfach so ersatzlos gestrichen.
Halt! Die Post wird fast 460 Poststellen schliessen. 765 Filialen sind nur bis 2020 gesichert. 1200 Angestellte müssen sich einen neuen Job suchen. Da gibt es nichts zu beschönigen!
Wir haben klar kommuniziert, dass wir 2020 nicht weniger als 800 Poststellen haben werden. Es dürften sogar an die 900 Filialen werden, die übrig bleiben. Zusammen mit den Agenturen kommen wir bis dann auf über 2200 physische Zugangspunkte zu Postdienstleistungen. Den 1200 betroffenen Angestellten helfen wir mit verschiedensten Massnahmen, etwa einer internen Jobbörse, im Konzern oder ausserhalb eine Arbeit zu finden.
Aber?
Wir haben es unterschätzt, wie gross der Erklärungsbedarf bei der Bevölkerung in den Gemeinden ist, die von einem Filialumbau betroffen sein könnten. Das holen wir nun mit Informationsveranstaltungen für die Bevölkerung nach.
Wird es nach 2020 zu einem weiteren Poststellenabbau kommen?
Es besteht keine Absicht, mit diesem Umbau nach 2020 weiterzumachen. Wenn allerdings die Einzahlungen und Briefmengen an den Postschaltern weiterhin jährlich um fünf bis sechs Prozent rückläufig sind, müssen wir die Lage neu beurteilen. Wir haben heute ein Defizit von 180 Millionen Franken im Postnetz. Meine Absicht ist keine schwarze Null. Ich will aber, dass das Defizit nicht über die 180 Millionen hinauswächst.
Sie werben mit längeren Öffnungszeiten der Agenturen. Aber was ist, wenn ein Dorfladen mit Agentur Konkurs geht?
Wir helfen doch mit, dass überhaupt noch etwas im Dorf läuft. Und wenn ein Laden Konkurs gehen sollte, suchen wir eine andere Lösung.
Das hat die Post in Remetschwil im Kanton Aargau auch nicht gemacht. Mit dem Volg verschwand die Agentur ohne Ersatz.
Ich kenne diesen Fall nicht im Detail. Ganz allgemein gesprochen: Wenn niemand mehr zum Dorfmetzger oder -bäcker geht, macht dort auch eine Agentur keinen Sinn mehr. Dann gibt es dafür eben einen Hausservice – das ist im Übrigen auch in Remetschwil der Fall.
Sie sind seit einem Jahr Verwaltungsratspräsident der Post. Behagt Ihnen diese Rolle besser als jene des Politikers?
Ich hatte schon verschiedenste Rollen inne: Rechtsanwalt, Statthalter, Finanzdirektor, Ständerat. Die Aufgaben haben mir immer behagt. Nun habe ich natürlich eine andere Rolle. Das zeigt sich etwa darin, dass ich Differenzen mit gewissen CVP-Vorstössen habe.
Apropos Vorstösse: Eine Motion der CVP will schärfere Kriterien für die Erreichbarkeit von Postdienstleistungen ändern. Die Post bräuchte dann mehr Agenturen auf dem Land.
Das würde uns grosse Probleme bereiten, und zwar operativ wie auch finanziell. Die Frage ist: Wie könnten wir das bezahlen?
Die Motion verlangt auch die Möglichkeit zur Bareinzahlung in Agenturen. Wäre das für die Agenturen der Todesstoss?
Wenn die CVP-Motion durchkommt, ist das Agenturmodell tot. Aufgrund des Geldwäschereigesetzes und der Sicherheitsvorschriften sind Bargeschäfte in einer Agentur nicht möglich.
Der Nationalrat hat die Motion angenommen, im Ständerat hat sie gute Chancen. Was macht die Post, wenn sie durchkommt?
Dann müssten wir von Grund auf überlegen, wie wir weitermachen können. Die Frage stellt sich dann, was mit den über 900 Agenturen geschieht, die jetzt gut funktionieren und ein wichtiges Standbein sind. Vor allem sehe ich nicht ein – überall, wo es eine Agentur gibt, ermöglichen wir ja ab September die Bareinzahlung an der Haustür.
Der Vorstoss kommt aus Ihrer eigenen Partei, der CVP. Haben Sie als ehemaliger Ständerat an Überzeugungskraft verloren?
Das hat nichts mit Überzeugungskraft zu tun. Ich habe heute eine andere Rolle. Ich bin nicht mehr Fraktionschef und nicht mehr im Parlament. Aber die CVP ist vor allem in ländlichen Gebieten stark verankert. Und dort ist die Post ein grosses Thema. Hie und da tue ich mich aber schon schwer mit gewissen Äusserungen.
«Wir müssen besser sein als Amazon und Google»
Politischer Druck kommt auch aus den Kantonen. Tessin, Graubünden und Genf haben gemeinsam eine Standesinitiative eingereicht. Und Schaffhausen fordert ein Moratorium. Fürchten Sie eine Blockade?
Ein Moratorium regelt nichts, das hiesse nur Stillstand. Und das ist Gift in der Zeit der digitalen Revolution. Wir müssen besser sein als Amazon und Google. Ein Moratorium wäre nicht nur für die Post schädlich, sondern auch für die Mitarbeiter. Mit einem Stillstand gefährden wir Tausende Arbeitsplätze.
Die Post steht vor einer schwierigen Zukunft. Die Briefpost ist in den Mengen chronisch rückläufig. Können Sie überhaupt noch Gewinne machen wie in den letzten Jahren?
Wir schreiben auch in diesem Jahr einen schönen Gewinn. Wir haben verschiedene wichtige Pfeiler wie etwa Postfinance, Postmail und Postlogistics. Einen Teil dieser Geschäftsfelder wandeln wir derzeit um. Der digitale Bereich in all seinen Facetten muss künftig zehn Prozent des heutigen Geschäfts ersetzen. Dies bedingt Vorstösse in neue Bereiche wie den Gesundheitsmarkt.
Stehen im Kerngeschäft Tariferhöhungen an?
Die A- und B-Post wird es weiterhin geben. Der Preis von einem Franken für einen A-Post-Brief ist zu tief. Darum wollen wir 2019 die Tarife in der Briefpost erhöhen.
Sprechen wir von einem Aufschlag von 10 oder 20 Rappen?
Die Erhöhung wird massvoll sein. Ich kann heute aber noch keine Zahl nennen.
Ihre Finanztochter Postfinance wirft noch gute Gewinne ab. Sehen Sie hier Gefahren fürs Geschäft?
Ich sehe das Geschäft von Postfinance in Gefahr. Unsere Finanztochter darf heute keine Kredite und Hypotheken vergeben. Zudem haben wir Kundengelder von knapp 120 Milliarden Franken. Für dieses Volksvermögen geben wir eine Garantie, der Staat haftet letztlich dafür. Wir haben ein systemrelevantes Finanzinstitut. Wir brauchen hier mehr Handlungsfreiheit. Um Postfinance nicht zu gefährden, müssen wir sie öffnen – und das nicht erst in zehn Jahren.
Wie stellen Sie sich die Öffnung vor?
Ich ziehe für die Postfinance eine Teilprivatisierung in Betracht. Wichtig ist, dass man zumindest eine Öffnung in Sachen Eigentümer macht. Ich bin sehr offen für eine solche Lösung. Ich hoffe, dass wir rasch zu einer Entscheidung kommen und im Parlament eine Diskussion entsteht.
Sind Negativzinsen für weniger betuchte Postfinance-Kunden ein Thema?
Ich bin zwar nicht im Verwaltungsrat von Postfinance. Aber meines Wissens ist das kein Thema.
Sie sind über ein Jahr Postpräsident. Überlegen Sie sich ein Comeback ins Bundeshaus?
Nein, das ist kein Thema mehr. Ich war gern Parlamentarier und Fraktionschef. Ich habe in dieser Zeit grauere Haare bekommen. Und heute habe ich festgestellt: Dieses Jahr sind es noch etwas mehr geworden (lacht).
Überraschte Sie der Rücktritt von Didier Burkhalter?
Absolut, das hat mich mehr als überrascht. Wir sind ja einst zur Bundesratswahl gegeneinander angetreten. Ich habe ihn geschätzt und er mich. Wir konnten gut zusammenarbeiten. Ich wünsche ihm auf dem weiteren Weg alles Gute und hoffe, dass hinter dem Rücktritt nicht etwas steckt, das wir noch nicht wissen.
Der Freiburger Urs Schwaller (64) war bis zur Übernahme des Verwaltungsratspräsidiums der Schweizerischen Post Ende April 2016 vor allem als CVP-Politiker bekannt. Mehr als zehn Jahre war er Freiburger Stadtrat, ab 2003 vertrat Schwaller seinen Heimatkanton im Ständerat. 2015 trat er nicht mehr zur Wiederwahl an. Im Rennen um den Einzug in den Bundesrat unterlag Schwaller vor acht Jahren knapp Didier Burkhalter (57, FDP). Nebst dem Post-Präsidium sitzt er in diversen Verwaltungsräten. Der promovierte Anwalt ist verheiratet und hat drei Kinder.
Der Freiburger Urs Schwaller (64) war bis zur Übernahme des Verwaltungsratspräsidiums der Schweizerischen Post Ende April 2016 vor allem als CVP-Politiker bekannt. Mehr als zehn Jahre war er Freiburger Stadtrat, ab 2003 vertrat Schwaller seinen Heimatkanton im Ständerat. 2015 trat er nicht mehr zur Wiederwahl an. Im Rennen um den Einzug in den Bundesrat unterlag Schwaller vor acht Jahren knapp Didier Burkhalter (57, FDP). Nebst dem Post-Präsidium sitzt er in diversen Verwaltungsräten. Der promovierte Anwalt ist verheiratet und hat drei Kinder.