Statistisch gesehen geht es dem US-Arbeitsmarkt blendend. Doch wer, wie John Grisham (63) in seinem neuen Roman, genauer hinschaut, entdeckt eine andere Realität: Die Arbeitssuchenden in den USA sind fast so erpressbar wie die Bootsflüchtlinge aus Afrika.
4,1 Prozent Wirtschaftswachstum, monatlich 210'000 neue Jobs, die Arbeitslosenquote mit 3,9 Prozent auf dem tiefsten Stand seit 2000, 2,7 Prozent mehr Lohn innert Jahresfrist: Das sind die neuesten Meldungen aus den USA.
Dass die Inflation im selben Zeitraum um 2,9 Prozent gestiegen ist, die Reallöhne somit leicht gesunken sind, war weder im offiziellen Pressecommuniqué des Bureau of Labor Statistics noch in den Presseberichten zu lesen. Es hätte schlecht gepasst zu Überschriften wie «US-Arbeitsmarkt ist gut in Schwung».
Krimiautor Grisham entlarvt Jobwunder
Wie mies es um diesen Markt steht, hat indessen der Krimiautor John Grisham in seinem wie immer gut recherchierten Roman «The Rooster Bar» aufgezeigt. Der gelernte Rechtsanwalt illustriert das am Beispiel der Rechtsanwälte, die zu den bestbezahlten Berufsleuten in den USA gehören.
Absolventen der besten Universitäten können mit Anfangssalären von 175'000 Dollar rechnen. Entsprechend gross ist der Andrang auf die Hochschulen, die den Weg zum Anwaltspatent ebnen. Und entsprechend viel können die auch verlangen.
Marc Frazier, die Hauptfigur des Romans, zahlt an seiner nicht einmal mittelprächtigen Privatuniversität namens FBLS 45'000 Dollar Studiengebühr pro Jahr. Zu diesem Zweck hat er bei einer Bank ein staatlich garantiertes Studentendarlehen (aktueller Jahreszins 6 Prozent) aufgenommen.
Seine laufenden Ausgaben – unter anderem 800 Dollar Miete für 50 Quadratmeter in einer Bruchbude – deckt Marc mit einer zusätzlichen Kredittranche von 10'000 Dollar pro Jahr und Hilfsarbeiten bei einer kleinen Kanzlei, die ihm eine Festanstellung vage in Aussicht gestellt hat. Pro bezahlte Stunde kriegt er 10 Dollar, doch meist arbeitet er gratis. Zusammen mit den 60'000 Darlehen für das College hat Marc am Ende seiner Ausbildung Schulden von 266'000 Dollar angehäuft.
Als «Gegenleistung» hat er als FBLS-Absolvent eine Chance von 56 Prozent, die Anwaltsprüfung zu bestehen, um dann 50'000 Dollar jährlich zu verdienen. Davon würden ihm – falls er die Prüfung schafft – jährlich 27'000 Dollar bleiben. Zu diesem Zweck müsste er seinen Kreditberater aber erst dazu überreden, die Rückzahlung auf 20 Jahre zu erstrecken.
Trickreich verschachteltes Imperium
Auf der anderen Seite sieht die Rechnung besser aus. Die FBLS ist eine von acht Juristen-Schmieden, die ein Wallstreet-Milliardär – Grisham nennt ihn Rackly – aufgekauft oder gegründet hat. Alle mit etwa 1000 Studenten zu 45'000 Dollar Studiengebühr. Die jährlichen Ausgaben pro Schule belaufen sich auf maximal 25 Millionen Dollar. Macht 20 Millionen netto mal 8.
Zum trickreich verschachtelten Imperium gehören auch vier Anwaltskanzleien mit 1100 Anwälten, von denen ab und zu einer zu einem (nur anfänglich) überrissenen Salär an einer «konzerneigenen» Universität angeheuert wird: «Seht her Leute, was Absolventen meiner Law Schools verdienen können.» Ferner hält Rackly Mehrheitsbeteiligungen an einer auf Studentendarlehen spezialisierten Bank und an einer Firma, die solche Schulden eintreibt. Oft mit Methoden jenseits der Legalität.
Wer Jobs in Aussicht stellen kann, hat Suchende in der Hand
Grishams Buch beruht auf einer Recherche des renommierten Magazins «The Atlantic». Sie illustriert die erschreckenden Ungleichgewichte auf dem US-Arbeitsmarkt. Wer Jobs auch nur in Aussicht stellen kann, hat damit nicht nur die Arbeitssuchenden voll in der Hand, sondern auch die Politik.
Aktuell stehen 1500 Milliarden Dollar Studentenkredite aus – Geld, das weitgehend in die Taschen der Besitzer von Privatuniversitäten geflossen ist. Die Ausfallquote liegt bei 10,7 Prozent – jährlich rund 160 Milliarden zu Lasten des Fiskus.
Diese Summen deuten auch an, welche Risiken die Jobsuchenden auf sich nehmen, in der Hoffnung auf eine halbwegs gut bezahlte Arbeit. Viele halten dem Druck nicht stand und suchen Halt in Alkohol und Drogen, was neue Jobs in Suchtkliniken und Polizei schafft.
Deshalb wird man wohl auch nächsten Monat wieder lesen: «Der US-Arbeitsmarkt läuft auf Hochtouren».