Martin Nydegger (47), ist gut gelaunt, als er BLICK in seinem Büro in Zürich empfängt. Der Direktor der Marketingorganisation Schweiz Tourismus hat allen Grund dazu. Die Konjunkturforscher der ETH haben eben vielversprechende Prognosen bekannt gegeben. Zudem ist die Zahl der Schweizer, die ihre Winterferien in Österreich verbringen, gesunken. Nur eitel Sonnenschein herrscht aber nicht, erzählt der Tourismus-Profi beim Bummel am Zürichsee. Vor allem der Alpenraum macht Nydegger Sorgen und die diversen Hotels, die dringend auf den neusten Stand gebracht werden sollten.
BLICK: Herr Nydegger, Sie sind seit dem 1. Januar im Amt. Wie geht es dem Patienten Schweizer Tourismus?
Martin Nydegger: Es geht ihm wieder besser, wir haben im Jahr 2017 zum ersten Mal seit 2008 wieder eine positive Entwicklung bei den Logiernächten. Nach acht Jahren, in denen wir unter dem harten Franken gelitten haben, haben wir wieder Boden unter den Füssen. 2017 haben wir über 5 Prozent zugelegt, auch der Winter war gut. Aber wir sind noch weit davon entfernt, wo wir 2008 waren.
Was sind Ihre drei grössten Baustellen?
Wir wollen die europäischen Gäste zurückgewinnen, die wir wegen des starken Frankens verloren haben. Wir wollen die Schweizer dazu animieren, vermehrt ihr eigenes Land zu entdecken. Und wir wollen den Alpenraum stärken.
Ihre Kritiker sagen, Sie verbreiteten keine Aufbruchsstimmung. Ein Externer hätte frischen Wind reingebracht und für einen Neuanfang gesorgt. Sind Sie der richtige Mann, um den Tourismus aus der Krise zu führen?
Wäre es nötig gewesen, einen kompletten Neuanfang zu machen, dann hätte man einen Externen geholt. Aber das ist gar nicht nötig, unser Schweiz Tourismus ist gut aufgestellt.
Seit der Euro-Krise kommen die Deutschen nicht mehr in die Schweiz, weil sie ihnen zu teuer ist. Hat sich daran etwas geändert?
Ja, die Deutschen sind zurück! Auf einem tiefen Niveau zwar, aber sie kommen wieder. Im Winter haben wir in den letzten Jahren jeden zweiten deutschen Gast verloren, aufs ganze Jahr gerechnet 40 Prozent. So was spürt man. Bis wir wieder da sind, wo wir 2008 waren, wird es noch eine Weile dauern. Über den Berg sind wir noch nicht. Aber es gibt berechtigten Grund zur Hoffnung. Unser Job ist bei weitem noch nicht erledigt.
Österreich vermeldet für den letzten Winter mit über 70 Millionen Logiernächten einen Allzeitrekord. Das muss Sie stutzig machen.
Wir schauen primär auf unsere eigene Entwicklung. Aber klar, wir beobachten auch die Konkurrenz. In Sachen Marketing sind wir selbst ganz weit vorne. Aber die Österreicher machen auch einen guten Job. Wir wollen es aber noch besser machen, das ist unser Antrieb.
2,3 Millionen Logiernächte in Österreich buchten Schweizer.
Ja, das schmerzt. Vor allem weil es unnötig ist. Für Schweizer gibt es wenige Gründe, nach Österreich zu reisen. Wir sind wettbewerbsfähig. Die Schweiz wird zwar nie günstig sein. Aber Österreich ist signifikant teurer geworden. Darum haben wohl auch 2,4 Prozent weniger Schweizer ihre Skiferien in Österreich verbracht. Wir sind gleichzeitig günstiger geworden, haben die Hotelpreise gesenkt. Das ist zwar nicht immer gut für die Hotels, weil die Margen sinken, aber den Gast freut es.
Wie wollen Sie die Schweizer zurückholen, die dennoch in Österreich Ferien machen?
Wir wollen den Herbst als eigenständige Saison lancieren, den Schweizern zeigen, was sie zu Hause entdecken können. Wir wollen die Romandie stärken. Kurz: Wir wollen dem Schweizer in seiner Heimat schöne Flecken zeigen, die er noch nicht kennt.
Dumm nur, dass die Schweiz ihr Hochpreis-Image einfach nicht los wird.
Da haben Sie recht, das werden wir wohl nie los. Und das können wir auch nicht beeinflussen. Wir müssen dem Gast aber aufzeigen, dass es auch viele erschwingliche Angebote gibt für Familien oder Leute mit tieferen Einkommen. Das hat hohe Priorität.
Ausgerechnet jetzt wird der Euro wieder schwächer.
Der Tourismus ist eine fragile Branche. Ein Terroranschlag in einem Nachbarland oder Wetterkapriolen – und der Tourismus spürt das sofort. Aber das gehört zum Geschäft, anderen Branchen geht es auch so. Der Euro macht uns Sorgen, weil er unmittelbare Auswirkungen auf die Logiernächte hat. Aber wir dürfen uns deswegen nicht verrückt machen lassen.
Nach Töff- und Autofahrern auf der Grand Tour setzen Sie in der aktuellen Sommerkampagne nun auf Velofahrer. Das wirkt beliebig. Gehen Ihnen die Ideen aus?
Im Gegenteil, wir haben viele Ideen. Die Schweizer Infrastruktur ist hervorragend, dieses wertvolle Gut müssen wir nutzen. Als Marketingorganisation wollen wir immer wieder neue Sichten auf die Schweiz bringen. Wenn wir zehn Jahre lang nur herausposaunen: «Judihui, es hat Schnee im Winter!», dann ist das langweilig. Wir wollen immer wieder neue Aspekte hineinbringen. So bleibt es spannend. Beliebig ist das nicht.
Entschuldigen Sie, aber mir fehlt da eine klare Strategie.
Da liegen Sie falsch. Wir haben für drei Jahre mit dem Slogan «Die Natur will dich zurück!» die Strategie ganz auf Naturliebhaber ausgerichtet. 2017 stand das Naturerlebnis mit der Wildtierbeobachtung und Alphütten im Vordergrund, 2018 entdecken unsere Gäste die Natur auf dem Velosattel. 2019 setzen wir auf die Wanderer.
Wie sieht Ihre Prognose für den Sommer aus?
Wir haben positive Indizien, wir werden wohl noch einmal zulegen können in einer Grössenordnung von 3 bis 4 Prozent. Das ist erfreulich. Die Weltkonjunktur ist sehr stabil. Davon profitieren wir. Wenn die Leute Geld im Sack haben, dann geben sie es auch wieder für Ferien aus.
Die Schweiz hat ein Problem mit der Infrastruktur. Viele Hotels sind nicht mehr auf dem neusten Stand, Investitionen werden verschoben, weil der Margendruck gross ist. Da liegt einiges im Argen.
Da muss ich Ihnen leider recht geben. Wir haben Topbetriebe, die fast ohne Marketing funktionieren. Das freut uns sehr. Dann haben wir viele mittlere Betriebe, die sich bemühen, die aber eine schwierige Ausgangslage haben, weil sie die kritische Grösse nicht erreichen oder die Lage nicht optimal ist. Denen helfen wir sehr gerne. Und dann gibt es auch noch rund ein Drittel der Schweizer Hotels, an denen wir weniger Freude haben, der Gast auch nicht. Aber wir können auf sie keinen Einfluss nehmen. Wir fokussieren uns auf die guten Häuser. Wir ziehen mit den Starken in den Krieg.
Hat die Schweiz zu viele alte Hotels?
Wir haben einige Hotels mit hohem Investitionsbedarf. Touristen haben heute sehr hohe Ansprüche, wir Schweizer sowieso. Wenn ich als Gast in einem Hotel übernachte, will ich keinen tieferen Wohnkomfort als zu Hause. Im Gegenteil. Da muss man als Hotelier immer wieder erneuern. Man darf aber nicht vergessen, Preise wurden gesenkt, die Margen sind kleiner geworden, und die Banken sprechen kaum mehr Kredite für Hotels. Erneuerungen werden so zum Kraftakt.
Auch in die Wintersportinfrastruktur wird weniger investiert.
Das muss ich Ihnen widersprechen! Es gibt tatsächlich Skigebiete, die Mühe haben. Aber die grosse Mehrheit hat investiert, in der Wintersportinfrastruktur ist wahnsinnig viel gemacht worden, es gibt nicht mehr viele Bügellifte in der Schweiz. Die Transportanlagen sind modern und sicher. Beschneiungsanlagen und Pisten in der Schweiz gehören in Umfragen regelmässig zu den besten. Da sind wir weltweit ganz vorne, wenn nicht zuvorderst.
Was halten Sie von ausländischen Bergbahn-Investoren?
In der Hotellerie ist das bereits gang und gäbe. Wir sind froh darum. Natürlich wäre es schöner, wenn man die Investitionen aus eigener Kraft stemmen könnte. Aber auch andere Firmen in der Schweiz sind in ausländischer Hand. In einer globalisierten Welt ist das heute ganz normal.
Wir verkaufen so doch unsere Heimat!
Ich kann solche Bedenken nachvollziehen. Aber wir müssen uns öffnen. Das hat schon angefangen, als die Lufthansa die Swiss übernommen hat. Da waren wir alle im Stolz gekränkt. Heute ist die Swiss hochrentabel, eine Perle im Lufthansa-Konzern.
Und wenn ein Investor wie in Crans-Montana beleidigt den Strom abdreht?
Das ist nicht in unserem Sinn und war sehr unglücklich. Aber das ist ein Ausreisser, der zwar Schaden anrichtet. Investor Samih Sawiris mit seinem Engagement und Herzblut in Andermatt macht die unglücklichen Entscheide von Crans-Montana 10‘000-mal wieder wett. Die meisten Investoren engagieren sich nicht aus Profitgründen, sondern sind mit Herzblut und Idealismus dabei.
Die Interessen und Bedürfnisse der Schweizer Destinationen zwischen Genf und Appenzell sind sehr unterschiedlich. Ebenso deren Budgets. Wie können Sie allen Regionen gerecht werden?
Wir können nicht allen Regionen gleichzeitig gerecht werden. Die Schweiz ist einfach zu vielseitig. Wir haben eine klare Strategie, wo wir hinwollen. Wir versuchen, diese mit unseren Partnern in den Regionen abzustimmen. Klar haben wir eine Marketingkampagne, welche die urbane, moderne Schweiz zeigt. Aber wir haben auch Kampagnen, die auf den klassischen, natürlichen, ja sogar klischeebehafteten Schönheiten basieren. Wir machen beides. Mit unterschiedlichen Marketingaktivitäten für verschiedene Zielgruppen.
Waren Sie schon überall auf Antrittsbesuch? Oder sind Ihnen Tourismusmessen in Deutschland oder Holland wichtiger?
In der Schweiz war ich überall von Genf übers Tessin bis Basel. Diese Woche steht die Ostschweiz auf dem Terminkalender. Der Austausch mit den Leuten in den Regionen bedeutet mir viel. Ich war aber auch schon in acht Ländern, um die Schweiz persönlich zu promoten. Das ist ja das Schöne an meinem Job, dass es Platz hat für beides.
Die Städte florieren, Bergregionen haben Mühe. Ihr Geheimrezept?
Ich habe keines, da muss ich Sie enttäuschen. Wir werden vermehrt an Angeboten arbeiten. Ein konkretes Beispiel: Seit Jahren ziehen wir den Leuten den Speck durch den Mund mit idyllischen Alphüttli. Nur buchen konnte man die nirgends. Seit 2017 sind 300 solcher Hütten online auf einer zentralen Buchungsplattform. Dieses Jahr setzen wir auf Velofahrer, zehn Wochenenden lang gehören die grössten Pässe den Gümmelern alleine. Diese Angebote sind für sich alleine betrachtet nicht wahnsinnig bahnbrechend. In der Summe werden sie den Berggebieten aber helfen, davon bin ich überzeugt.
Sind Sie für oder gegen Airbnb?
Für Airbnb, wenn sie die gleichen Spielregeln einhalten wie Hotels und Ferienwohnungen, also beispielsweise auch Kurtaxen bezahlen.
Haben Sie Airbnb selbst schon einmal getestet?
Nein. Ich hab zwar die App auf meinem Handy und schau mir ihre Angebote an. Aber übernachtet, nein, das hab ich noch nie. Es hat sich noch nie ergeben.
Sie sind also eher der Hoteltyp?
Nicht unbedingt. Im Winter bin ich eher der Ferienwohnungstyp. Kürzlich war ich mit der Familie in Montreux auch in einer Ferienwohnung, da fühlen wir uns wohl. Ich buche aber allerdings lieber über E-Domizil als über Airbnb, da bin ich ganz ehrlich.
Wo verbringen Sie Ihre Sommerferien?
Im Tessin in Gambarogno. Eine Woche lang mit der Familie. Wir werden wandern und mit dem Velo unterwegs sein, da kann ich so richtig entspannen.
Der Lohn Ihres Vorgängers war immer wieder ein Thema. Was verdienen Sie?
Rund 30 Prozent weniger als er. Ich fange neu an, der Bundesrat hat den Lohn gedeckelt, und der ST-Vorstand hat den Direktorenlohn generell etwas gesenkt. Es ist nur logisch, dass ich weniger verdiene als Jürg Schmid nach 18 Dienstjahren.
Verstehen Sie, dass Ihr Lohn so polarisiert?
Ja, das kann ich nachvollziehen. Kaderlöhne sind immer ein Thema, nicht nur bei Schweiz Tourismus, auch bei der Post oder den SBB. Damit muss man umgehen können.
Sie wollen den Herbst neu positionieren? Hat man die Herbstsaison bisher verschlafen?
Nein. Aber der Herbst ist stärker geworden wegen der modernen Reisegewohnheiten. Die Leute reisen kürzer, dafür häufiger und vor allem spontaner. Wegen des Klimawandels wird es im Herbst auch immer wärmer. Und man stört sich nicht, wenn es mal regnet oder Nebel aufzieht, es ist ja Herbst. Kulinarisch ist es eine spannende Saison. In den letzten Jahren haben wir bereits zugelegt im Herbst, das wollen wir ausbauen.
Sie haben einstecken müssen, als Sie verkündeten, dass das Marketing femininer werden soll, weil auch Frauen entscheiden, wohin es in den Ferien geht. Wie konnte das einem Marketingprofi wie Ihnen passieren?
Sie können mir aus jeder Aussage einen Strick drehen, wenn Sie wollen. Es bleibt ein Fakt, dass der Reiseentscheid oft von Frauen gefällt wird. Darum müssen wir diese auch direkt ansprechen. Das darf aber immer auch frech sein. Es muss unser Ziel sein, dass Sie mit Ihrer Familie an die Schweiz denken, wenn Sie die nächsten Ferien buchen.
Martin Nydegger (47) ist seit dem 1. Januar 2018 Direktor der Marketingorganisation Schweiz Tourismus mit rund 250 Mitarbeitern in 26 Ländern und einem Jahresbudget von 90 Millionen Franken. Der Berner ist verheiratet und Vater eines elfjährigen Sohnes. Er hat die Nachfolge von Jürg Schmid (56) angetreten, der sich nach 18 Jahren bei Schweiz Tourismus selbständig gemacht hat. Nydegger arbeitet seit 2005 bei Schweiz Tourismus. Er hatte drei Jahre lang die Niederlassung in Amsterdam geleitet. Zuvor war Martin Nydegger sechs Jahre Direktor der Tourismusorganisation Engadin Scuol.
Martin Nydegger (47) ist seit dem 1. Januar 2018 Direktor der Marketingorganisation Schweiz Tourismus mit rund 250 Mitarbeitern in 26 Ländern und einem Jahresbudget von 90 Millionen Franken. Der Berner ist verheiratet und Vater eines elfjährigen Sohnes. Er hat die Nachfolge von Jürg Schmid (56) angetreten, der sich nach 18 Jahren bei Schweiz Tourismus selbständig gemacht hat. Nydegger arbeitet seit 2005 bei Schweiz Tourismus. Er hatte drei Jahre lang die Niederlassung in Amsterdam geleitet. Zuvor war Martin Nydegger sechs Jahre Direktor der Tourismusorganisation Engadin Scuol.
2016 haben Sie den Jakobsweg gemacht. Welche Erkenntnis ist Ihnen auf den 900 Kilometern gekommen?
Ich bin nicht mit einer grossen Lebensfrage losmarschiert. Ich wandere gerne, für mich war es eine touristische Erfahrung. Das grosse Licht hab ich nicht gesehen, ich hab es gar nicht gesucht. Aber ich war beeindruckt von den tiefen Gesprächen, die ich führen konnte. Es war spannend zu sehen, wie gerne sich die Menschen bewegen, das Gemeinschaftserlebnis war toll. Wandern hat eine wichtige gesellschaftliche Bedeutung. Die gesammelten Erfahrungen werde ich in die nächsten Wanderprojekte einfliessen lassen.