Für ihre Kinder war es der coolste Job der Welt. «Die Mama arbeitet bei Smarties.» Auch als Muriel Lienau (52) nicht mehr Brand Managerin für Smarties von Nestlé in Frankfurt war, liess sie ihre Kinder noch ein paar Jahre im Glauben, dass sie bei Smarties arbeitet. «Sie waren richtig stolz darauf», sagt sie heute über ihre erste Funktion beim Nahrungsmittelkonzern.
So selbstverständlich für die heutige Nestlé-Schweiz-Chefin die Vereinbarung von Kindern und Karriere war, so speziell war das in Deutschland Anfang der 90er-Jahre. Das Umfeld habe zwar nichts gegen arbeitende Mütter gehabt, erzählt Lienau. «Aber ich war ein bisschen exotisch.» Als Französin sei sie gleich doppelt exotisch gewesen, sagt Lienau dem BLICK in einem Gespräch im Maison Cailler in Broc FR.
Schulfeste wollte sie nicht verpassen
Im Gegensatz zu Frankreich war in Deutschland keine Infrastruktur mit Krippen und Tagesschule vorhanden. Man habe sich selber organisieren müssen, führt sie aus. Und räumt ein: «Es gab Momente, wo es schon schwierig und alles ein bisschen viel war.» Aber sie fand das normal. Ohne Arbeit hätte ihr etwas gefehlt. Auch ihre zwei Schwestern hatten Kinder und arbeiteten.
Zwei Mal nach der Geburt ihrer zwei Töchter und zwei Jungs hatte sie ein paar Monate auf 80 Prozent reduziert. Zudem vereinbarte sie mit Nestlé, dass sie zweimal die Woche, die Kinder um 15 Uhr abholen konnte. Ihr ebenfalls berufstätiger Mann habe sie unterstützt.
Viele ihrer berufstätigen Freundinnen in Deutschland hätten ein schlechtes Gewissen gehabt wegen den Kindern. «Ich hatte nie ein schlechtes Gewissen, weil das in Frankreich normal war», erklärt Lienau. Allerdings hatte sie klare Prioritäten. «An Schulfesten und Elternabenden wollte ich dabei sein, da gab es keinen Kompromiss.» Ihr Arbeitgeber sei ihr entgegengekommen. «Aber ich habe mich auch getraut zu fragen», betont sie. Viele Frauen hätten das nicht gewagt.
Frankreich für Berufsfrauen einfacher als Deutschland
Ein Chef brachte ihr am Anfang ihrer Karriere bei, Schokolade zu verfeinern, und sagte, spasseshalber, wer conchieren könne, werde bei Nestlé Erfolg haben. Das schien sich bei Lienau zu bewahrheiten. In Deutschland stieg sie die Karriereleiter hoch bis zur Informations- und Marketingchefin Deutschland.
Im Jahr 2007 zog sie mit der Familie nach Frankreich um, wo sie zuerst den Kapselkaffee Nescafé Dolce Gusto verantwortete. Das Leben wurde einfacher – nicht nur weil die Kinder grösser waren. Das Umfeld mit Ganztagesschulen und vielen Müttern, die auch arbeiteten, erleichterte die Vereinbarkeit von Familie und Job. Lienau sagt: «Oft habe ich meinem Team in Paris gesagt, ihr habt es hier viel einfacher als in Deutschland.» In Frankreich arbeitete sie zuletzt als weltweite Chefin Verkauf und Marketing von Nestlés internationaler Wassersparte.
Nun lebt sie seit sieben Monaten am Genfersee und geht unter anderem der DNA der Schweizer Marken wie Thomy, Leisi und Cailler auf den Grund. Die Cailler-Schokolade, die heuer 200 Jahre alt wird, will sie für weitere 200 Jahre fit machen. Sie hat viel recherchiert und mit den Leuten gesprochen, um zu sehen, wie sie die Marke weiterentwickeln kann. Sie kennt auch die Deutschschweizer Zvieri-Tradition der Weggli und Cailler-Branchli.
Frauen, die nach Geburt des Kindes weiterarbeiten wollen, müssen immer häufiger davon Abstand nehmen. Die Diskriminierungen wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft nehmen zu.
1. Teil: Firmen ekeln junge Mütter raus
2. Teil: «Schwangere sind wie eine Seuche»
3. Teil: «Jetzt wehren sich die Mütter»
4. Teil: «Nestlé-Schweiz-Chefin: Ich würde Schwangere einstellen»
5. Teil: «Unternehmerin warnt vor Kosten, die Mütter verursachen»
6. Teil: «Sogar der Gewerbe-Boss ist sauer»
7. Teil: «Was Frauen mit Kindern auf dem Arbeitsmarkt erleben»
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Ziel mehr Frauen in der Führung
«Die Schweiz hat mich mit ihren vielen Innovationen im Handel überrascht», stellt Lienau fest. Sie hält die Schweiz mit den kaufkräftigen Konsumenten, die Lust haben, neue Sachen zu probieren, für einen idealen Testmarkt. Nicht lange nach ihrem Antritt lancierte sie zusammen mit Coop in der Romandie einen Test für Vegiprodukte. In den nächsten Wochen sind diese auch in der Deutschschweiz erhältlich.
Lienau ist nur eine von zwei, drei Müttern in der Schweiz in der Führung eines Grossunternehmens. In Führungspositionen bei Nestlé Schweiz traf sie einen Frauenanteil von 30 Prozent an. «Es könnten noch mehr sein, wir arbeiten daran», sagt sie. Zielt sie auf einen 50-Prozent-Anteil ab? «Nicht von heute auf morgen, aber wir werden uns Ziele setzen.»
«Diese Frage stellt sich gar nicht»
Dennoch sieht sie auch hier Hürden für Frauenkarrieren. Sie hofft, die Frauen ermutigen zu können. «Ich hatte bei Nestlé zwei Chefs, wo ich richtig das Gefühl hatte, sie unterstützen mich», sagt sie. Die Nestlé-Chefin untersucht bei allen Frauen in unteren Kaderstufen, was sie brauchen, um sie zu befördern – sei es Coaching oder mehr Flexibilität.
Würde sie auch eine schwangere Frau einstellen oder befördern? Lienau muss nicht zweimal überlegen: «Ja, wieso sollte ich keine schwangere Frau nehmen? Diese Frage stellt sich gar nicht. Es geht um Motivation und Kompetenz.»
Will sie jetzt, wo Nestlé auf den Gesundheitstrend setzt, die Cailler-Schokolade gesünder machen? «Nein, jeder Konsument weiss, was sich in der Schoggi befindet», sagt sie. Für gesundes Essen sei die Dosis entscheidend. Darum hätte sie ihren Kindern auch nie Smarties in Massen verboten.