Lenker mit Automaten-Prüfung sollen geschaltete Autos fahren dürfen. Fahrlehrer sind entsetzt.
Jetzt droht Chaos auf den Strassen

Das Bundesamt für Strassen will Junglenkern, die die Prüfung auf einem Automaten gemacht haben, das Fahren mit geschalteten Autos erlauben. Das sei gemeingefährlich, sagen Fahrlehrer. Der Bund provoziere ein Chaos auf den Strassen.
Publiziert: 20.08.2017 um 23:36 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 19:30 Uhr
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Fahrlehrer Ivo Schmitt sorgt sich um die Sicherheit auf den Strassen.
Foto: Siggi Bucher
Konrad Staehelin

Können Sie sich an Ihr erstes Mal hinter dem Lenkrad eines Autos erinnern? Ob Schleifpunkt verpasst oder falscher Gang drin: Jeder Neulenker, der seinen Fahrausweis auf einem Auto mit Handschaltung macht, müht sich bei seinen ersten Fahrversuchen mit diesen Problemen ab. Bis man das Schalten beherrscht, braucht es viele Stunden Übung. Vor allem das Anfahren am Berg ist für Anfänger oft ein Horror. Wer schalten kann, beherrscht das Fahrzeug. Manchen ist das zu kompliziert. Deshalb lernen sie auf einem Automaten Auto fahren – und dürfen später auch nur Automaten fahren. 

Jetzt will das Bundesamt für Strassen (Astra) Personen, die keine Ahnung vom Schalten haben, das Fahren von geschalteten Autos auf der Strasse erlauben. Ohne Beifahrer.

Konkret: Egal, ob man die Fahrprüfung auf einem Automaten oder Geschalteten ablegt, soll man bald mit allen Getriebetypen fahren dürfen. Aktuell gilt noch, dass man die Prüfung auf dem Geschalteten machen muss, um diesen danach alleine fahren zu dürfen.

Das Astra hat seinen Plan für eine Revision der Fahrausbildung im April vorgestellt (BLICK berichtete). Erst bei genauem Durchlesen wird klar, dass Automatik-Prüflinge von den Änderungen massiv profitieren würden. Auf Kosten der Verkehrssicherheit?

Fahrlehrer befürchten vermehrt Unfälle

«Ich finde, das ist ein kompletter Stumpfsinn», sagt Ivo Schmitt (46), Fahrlehrer aus Hattenhausen TG, zu BLICK. Zahlreiche andere Fahrlehrer äussern sich ähnlich. Schmitt warnt: «Kommt diese Regelung durch, wird der Verkehr massiv gefährlicher. Wenn jemand nur auf dem Automatik-Getriebe gelernt hat und plötzlich schalten muss, sind Unfälle vorprogrammiert. So ein Fahrer hat zum Beispiel keine Ahnung, wie er am Hang anfahren muss.»

Das Astra verteidigt sich, die Vorschläge seien noch in der Vernehmlassung, bei der verschiedenste Interessengruppen ihre Bedenken anmelden könnten. Was letztlich umgesetzt werde, sei noch offen, so Sprecher Thomas Rohrbach auf Anfrage.

Auch die Jungen Grünliberalen sind unzufrieden mit der Idee des Astra und haben einen Verbesserungsvorschlag: Automatik-Prüflinge müssten eine gewisse Anzahl Fahrstunden mit einem Schaltgetriebe nachweisen, damit sie auch einen Geschalteten fahren dürfen. «Das bringt auch nicht viel», sagt Fahrlehrer Schmitt. «Es braucht eine Prüfung, um zu sehen, ob jemand sicher fahren kann. Punkt.»

Astra: «Getriebeart fällt kaum mehr ins Gewicht»

Doch warum hat das Astra den Vorschlag überhaupt so aufgegleist, wenn er für so viel Kritik sorgt? Astra-Sprecher Rohrbach: «Die Unterschiede zwischen den einzelnen Automarken und Fahrzeugklassen sind heute so gross, die Bedienelemente und Assistenzsysteme derart unterschiedlich, dass die Getriebeart kaum mehr ins Gewicht fällt.»

75 Prozent aller Autos auf den Schweizer Strassen haben 2017 immer noch eine Handschaltung (siehe Grafik). Im Kanton Zürich macht jeder zwanzigste Neulenker seine Prüfung auf dem Automaten, 2005 waren es noch halb so viele – 2,5 Prozent.

Das Astra erwartet, dass künftig mehr Leute die Prüfung auf dem Automaten machen werden. «Das ist eine positive Entwicklung: So hat man bei der Ausbildung mehr Zeit, sich auf den Verkehr zu konzentrieren statt aufs Schalten.»

Doch das bringt wenig, wenn der Neulenker sich später trotzdem an einer Handschaltung versucht. «Wer das Schalten nicht komplett verinnerlicht hat, kann zwar mit einem geschalteten Auto fahren, wenn er alleine auf der Strasse ist», sagt Brigitte Rufin (55), Fahrlehrerin aus Wil SG. Aber kaum sei man in einer komplizierten Situation und müsse sich auf den Verkehr konzentrieren, werde möglicherweise der Schleifpunkt verpasst, der Motor abgewürgt oder sonst eine gefährliche Situation verursacht. So wie das bei blutigen Anfängern nun mal passiere.

VCS stärkt Astra den Rücken

Kurt Egli (57), Autoexperte beim Verkehrsclub der Schweiz (VCS), versteht dieses Argument, stärkt aber dem Astra den Rücken. «Wir hätten die Regelung nicht angepasst, aber finden die Idee auch nicht schlimm.»

Der Grund: Wer nicht mit einem Geschalteten klarkomme, werde sich damit gar nicht auf die Strasse wagen. «Denken Sie nur einmal daran, wie viele junge Männer viel zu schnell innerorts fahren oder wie viele Menschen während des Fahrens am Handy hängen. Das sind die wirklich dringenden Probleme auf den Schweizer Strassen.»

Sofort Rückwärtsgang einlegen!

Kommentar von Leiter Wirtschaft a.i. Ulrich Rotzinger

Das Gänger-Verbot für Automatik-Fahrer soll fallen. Bei diesen Plänen des Bundesamts für Strassen (Astra) stehen mir die Haare zu Berge. Denn hinter den meisten Unfällen mit Personenschaden steht mensch­liches Versagen. Warum sollen Automatik-Fahrer eine Sonderbehandlung auf Kosten der Verkehrssicherheit ­erhalten?

Der Bund verstrickt sich in Widersprüche. Denn sonst lässt er nichts unversucht, um die Strassen sicherer zu machen. Das Alkoholverbot für Neulenker und Berufschauffeure oder das Lichtobligatorium am Tag sind nur zwei Beispiele. Insgesamt umfasst das Verkehrssicherheitspaket Via sicura 20 Massnahmen.Und sie greifen: Seit Inkrafttreten das Pakets im Jahr 2013 nahm die Verkehrs­sicherheit zu. Letztes Jahr verminderte sich die Zahl der Verkehrstoten sogar überproportional.

Das Erreichte jetzt durch ­einen Freipass für Automaten-Fahrer aufs Spiel zu setzen, ist fahrlässig. Hier sollte der Bund schleunigst den Rückwärtsgang einlegen.

Kommentar von Leiter Wirtschaft a.i. Ulrich Rotzinger

Das Gänger-Verbot für Automatik-Fahrer soll fallen. Bei diesen Plänen des Bundesamts für Strassen (Astra) stehen mir die Haare zu Berge. Denn hinter den meisten Unfällen mit Personenschaden steht mensch­liches Versagen. Warum sollen Automatik-Fahrer eine Sonderbehandlung auf Kosten der Verkehrssicherheit ­erhalten?

Der Bund verstrickt sich in Widersprüche. Denn sonst lässt er nichts unversucht, um die Strassen sicherer zu machen. Das Alkoholverbot für Neulenker und Berufschauffeure oder das Lichtobligatorium am Tag sind nur zwei Beispiele. Insgesamt umfasst das Verkehrssicherheitspaket Via sicura 20 Massnahmen.Und sie greifen: Seit Inkrafttreten das Pakets im Jahr 2013 nahm die Verkehrs­sicherheit zu. Letztes Jahr verminderte sich die Zahl der Verkehrstoten sogar überproportional.

Das Erreichte jetzt durch ­einen Freipass für Automaten-Fahrer aufs Spiel zu setzen, ist fahrlässig. Hier sollte der Bund schleunigst den Rückwärtsgang einlegen.

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