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Kein Wunder verrechnet sich sein Amt
Oberster Statistiker trägt falschen Doktor-Titel

Ende 2018 musste der CEO der Hirslanden-Kliniken seinen Doktortitel streichen, den er jahrelang zu Unrecht getragen hatte. Jetzt kommt nach BLICK-Recherchen aus: In der Schweiz gibt es Dutzende solcher Fälle – viele davon ganz oben in Wirtschaft und Wissenschaft.
Publiziert: 01.03.2019 um 23:49 Uhr
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Aktualisiert: 12.02.2020 um 17:55 Uhr
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Falsche Dr.-Titel: BfS-Direktor Prof. Dr. Georges-Simon Ulrich beharrt auf seinem Kürzel.
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Konrad Staehelin
Konrad StaehelinWirtschafts-Redaktor

Reihenweise Fehler bei den Erbsenzählern der Nation. Nachdem es vergangenen Sommer fragwürdige Zahlen zu Ausschaffungen von kriminellen Ausländern publiziert hatte, titelte BLICK über das Bundesamt für Statistik (BfS): «Die Verrechner vom Dienst». Sie hatten nicht das erste Mal Fehler produziert.

Jetzt deckt BLICK eine weitere Peinlichkeit – und eine Erklärung für die Pannen? – auf: BfS-Direktor Georges-Simon Ulrich (50) führt einen falschen, nicht-wissenschaftlichen Dr.-Titel.

Ulrich ist kein Einzelfall. Er ist mit seinem falschen Dr. nur die Spitze des Eisbergs. Darum gehts: Dutzende Schweizer Manager und Wissenschaftler haben im angelsächsischen Raum ein Doctorate of Business Administration, kurz DBA, abgeschlossen. Damit darf man sich zwar im Studienland Dr. nennen, nicht aber in der Schweiz.

«Irreführend»

Das höchste akademische Organ der Schweiz, die Rektorenkonferenz der Hochschulen Swiss Universities, verlangt dafür nämlich «wissenschaftliche Kompetenz durch einen persönlichen und originären Beitrag zur Forschung». Ein DBA dagegen ist praxisorientiert. Darum bezeichnet Swiss Universities das Tragen des Dr.-Kürzels als «irreführend».

Swiss-Universities-Präsident Michael Hengartner (52) unterstrich dies schon letzten November in einem Brief ans Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation, der BLICK vorliegt. «Wir lehnen im vorliegenden Fall die Möglichkeit ab, die Abkürzung Dr. anstelle des DBA zu führen.»

Wichtig: Die erwähnten Personen haben jahrelang für den DBA studiert und Dutzende Tausend Franken Studiengebühren bezahlt. Aber eben nicht für einen Dr. in der Schweiz!

Öffentliche Personen

Im Dezember schon musste der CEO der Hirslanden-Kliniken Daniel Liedtke (48) seinen Dr.-Titel streichen. Er nennt sich nun DBA. Die neuen Recherchen, die BLICK vornehmlich auf der Karriere-Plattform Linkedin angestellt hat, entlarven nun unter anderem auch einen Hypotheken-Chef der Allianz-Versicherung und einen Portfolio-Manager der Post. Oder einen Immobilien-Manager beim Beratungs-Riesen EY.

Sie alle sitzen in wichtigen Positionen bei Grosskonzernen, sind aber öffentlich kaum relevant. Darum publiziert BLICK ihre Namen nicht. 

Bei BfS-Direktor Ulrich und Marc K. Peter (46) ist das anders. Ulrich ist einer der obersten Staatsangestellten der Schweiz, er führt in Neuenburg über 800 Mitarbeiter. Und Peter ist Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW.

BLICK hat bei allen genannten Personen nachgefragt, was sie sich dabei gedacht haben und was sie nun vorhaben. Beim Post-Manager kommt die Antwort von der Pressestelle: «Herr L. war sehr überrascht zu hören, dass er in der Schweiz seinem Namen den Titel Dr. nicht voranstellen darf.» Er habe erst durch die Anfrage davon erfahren und werde dies fortan nicht mehr tun. Ein Blick auf Linkedin zeigt: Er hat das Dr. wirklich gelöscht.

Nicht rechtlich geschützt

Peter dagegen schreibt, er werde den Dr.-Titel weiterführen. Das Bundesamt für Statistik verteidigt Direktor Georges-Simon Ulrich so: «Es handelt sich beim DBA um einen international anerkannten Titel, der sich in weiten Teilen Europas einer gesetzlichen Regelung erfreut, welche es DBA-Absolventen erlaubt, den Dr.-Titel zu führen.»

Allerdings nicht hierzulande. «In der Schweiz gibt es dafür keine gesetzliche Regelung», schreibt der BfS-Sprecher. Das stimmt – der Titel ist nicht geschützt. Darum drohen Direktor Ulrich und Professor Peter auch keine rechtlichen Probleme.

Welche Vorteile haben die falschen Dr. aus ihrem Titel gezogen? Sowohl beim eidgenössischen Personalamt als auch bei den betroffenen Konzernen heisst es, es gebe keine Regelung, nach der ein Titel einen direkten Einfluss auf Position oder Lohn hat.

Wider besseren Wissens

Aber: Kaum einer in der Schweiz weiss, was ein DBA ist. Wer sich stattdessen Dr. nennt, gewinnt an Prestige, hat in den Verhandlungen um Position und Lohn bessere Karten. Der Anreiz scheint klar.

Und wie schlimm ist die Sache jetzt? Die Anleitung für den Umgang mit Titeln durch die Swiss Universities war bis vor kurzem tatsächlich missverständlich. Das erklärt eine gewisse Verwirrung in der Sache.

Seit BLICK in den vergangenen Tagen jedoch bei Ulrich und Peter nachgefragt hat, ob sie trotz der mittlerweile klaren Faktenlage weiterfahren wollen wie bisher, ist das keine Entschuldigung mehr. Den Dr.-Titel tragen sie nun, obwohl dieser in der Schweiz keine Legitimität besitzt.

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