Loris P.*, sportliche Kleidung, gepflegter Dreitagebart, sympathisches Lächeln, ist 34 Jahre alt. Wir treffen ihn in einem Luzerner Café. P. zeigt sich offen und kommunikativ. Ein paar Stunden nach dem Treffen schreibt er ein SMS: «Danke für das Gespräch. Es hat gutgetan, mal alles rauszulassen.»
Der junge Mann wirkt unbeschwert, hat eine lockere, einnehmende Art. Doch der Innerschweizer trägt eine schwere Last mit sich herum: Er hat Schuldenprobleme. Und das seit mehr als acht Jahren.
Freunden und Arbeitskollegen sagte er nie etwas davon. Den einen verschwieg er es aus Scham, den anderen aus Angst: «Ich befürchtete, dass ich meine Stelle verliere, wenn mein Chef herausfindet, dass ich finanzielle Probleme habe.»
Lange Zeit kam P. mit einem Jahresbruttolohn von 60000 Franken über die Runden. Er führte kein extravagantes Leben. Doch er leistete sich eine eigene Wohnung. Leaste ein schickes Auto. Legte Wert auf Markenklamotten. Und gönnte sich ab und zu ein Abendessen in einem feinen Restaurant. «Es ging gerade so knapp auf. Reserven hatte ich aber keine.»
Dann durchlebt die kleine Firma, bei der er arbeitet, eine Auftragsflaute. P. verliert seine Stelle. «Beim Abgang bezahlte mir der Chef 1500 Franken weniger aus als mir zustanden. Er behauptete, ich hätte Minusstunden.» P. bestreitet das, aber er kann seinem Arbeitgeber nicht das Gegenteil beweisen. Die fehlenden 1500 Franken reichen aus, damit der Damm bricht: «Mit dem Jobverlust und diesen 1500 Franken ging alles los.»
Er bezahlt seine Rechnungen immer später. Mahnungen flattern ins Haus. Betreibungen drohen. P. reagiert so wie viele: Er spart dort, wo es anscheinend am wenigsten wehtut, bei den Steuern und den Krankenkassenprämien. «Das lässt sich am längsten aufschieben.»
Die Krankenkasse zahlte nicht
Einen Tiefpunkt erlebt er, als er in der Apotheke ein Medikament besorgen will. «Ich glaube, es war wegen einer Grippe oder so.» Die Frau an der Kasse teilt ihm mit, dass die Krankenkasse die Rechnung nicht übernehmen werde, weil er «auf so einer Liste» stehe. «Da habe ich mir gedacht: Verdammt, das kann es ja nicht sein. Jetzt muss ich etwas machen!»
Als er endlich wieder eine Stelle findet, steckt er bereits so tief im Schuldensumpf, dass sein Lohn gepfändet wird. Immerhin kann er mit seinen Gläubigern eine sogenannte stille Lohnpfändung aushandeln. Das heisst, er überweist die vereinbarten Tranchen selbst an seine Gläubiger. Auf diese Weise erfährt der Arbeitgeber nichts von seinen finan-ziellen Problemen.
Doch der Schuldenberg wird Jahr für Jahr grösser. Das Problem: Bei der Berechnung des Existenzminimums, mit dem die Höhe des pfändbaren Lohnanteils bestimmt wird, sind die Steuern ausgeklammert. P.: «Ich verstehe nicht, wieso man das macht. Das ist extrem frustrierend.» Am besten fände er es ohnehin, wenn die Steuern jeden Monat direkt vom Lohn abgezogen würden. «Mir würde das extrem helfen!»
Über die Jahre kumulieren sich seine Steuerschulden auf über 2 0 000 Franken. Dennoch wird P. vom Steueramt nicht betrieben. «Ich konnte das zum Glück abwenden, weil ich immer offen kommuniziert und meine Situation erklärt habe.» Dafür ist er seiner kleinen Wohngemeinde sehr dankbar.
Markenkleider kriegt er günstiger
Ohnehin sieht sich P. nicht als Opfer. Er kritisiert nicht andere, sondern sucht die Fehler bei sich selbst: «Ich habe sicher etwas über meine Verhältnisse gelebt.» Auf die teuren Markenklamotten angesprochen, die er beim Treffen trägt, sagt er: «Ein Freund von mir verkauft diese, deshalb kriege ich sie günstiger.» Es lohne sich bekanntlich, gute Kleider zu kaufen. Die hielten länger. «Aber vielleicht rede ich mir das auch nur ein.»
Nachdenklich fügt er hinzu: «Das Problem ist, dass ich nie gelernt habe, mit Geld umzugehen.» Auch P.s Eltern hatten ständig finanzielle Probleme. Und eines seiner Geschwister tappte wie er in die Schuldenfalle. Dadurch erfuhr er auch, dass es Schuldenberatungsstellen gibt, die Hilfe anbieten.
Vor drei Jahren wagte P. erstmals diesen Schritt. «Es kostete mich grosse Überwindung. Ich wollte mir lange nicht eingestehen, dass ich es alleine nicht auf die Reihe bekomme.» Doch es habe sich gelohnt. Er sei jetzt auf gutem Weg. «Bald fange ich mit einem neuen Job an. Wenn alles nach Plan läuft, bin ich in zwei Jahren schuldenfrei.»
Der Optimismus von P. ist ansteckend. Man denkt und hofft: Das kann nicht schiefgehen, das muss klappen.
Einen Tag nach dem Treffen kommt erneut ein SMS von P.: «Ich wünsche dir viel Erfolg mit deinem Bericht. Auf dass du viele Leute ermutigen und ansprechen kannst.»