Seit 2010 führt Daniel Röthlin (55) Ex Libris. Nicht unbedingt ein beneidenswerter Job: Die Migros-Tochter teilte gestern um 9 Uhr den 330 Mitarbeitern mit, dass 43 Filialen geschlossen würden. 114 Arbeitsplätze sind futsch. Röthlin, Vater zweier erwachsener Kinder, musste in den letzten Jahren bereits 60 Filialen dichtmachen. BLICK traf ihn am Zürcher Migros-Hauptsitz, wo eben ein, so heisst es, «überdurchschnittlicher Sozialplan» für Betroffene unterzeichnet wurde.
BLICK: Ex-Libris schliesst 43 Filialen. Warum gehen Sie so radikal über die Bücher?
Daniel Röthlin: Leider geht es nicht mehr weiter ohne diesen schmerzlichen Einschnitt. Bücher, Musik und Filme werden immer mehr im Internet eingekauft und konsumiert. Häufig auf ausländischen Plattformen. Das bekommen unsere Läden in aller Härte zu spüren.
Also ist für Sie einfach der Online-Marktplatz Amazon schuld?
Nein, Amazon trifft keine Schuld. Diesen Wettbewerb haben wir im Griff. Wir verkaufen unsere Bücher nicht teurer, sind teilweise sogar billiger. Vor zehn Jahren haben wir allerdings noch 70 Prozent unseres Filialumsatzes mit Musik und Film gemacht. Heute kauft niemand mehr Filme und Musik im Laden.
Streaming-Anbieter wie Netflix und Spotify, die Totengräber von DVDs und CDs?
Der Bereich Medien ist sehr stark von der Digitalisierung betroffen. Wir haben nicht nur eine Verschiebung vom Laden- zum Internet-Einkauf, sondern auch eine Digitalisierung der Medien selbst. Man kauft heute nicht mehr, sondern mietet Musik oder Filme für eine gewisse Zeit. Die Sharing-Economy verändert die Welt, auch die von Ex Libris. Man kauft nicht mehr, sondern konsumiert nur noch.
Sie haben diese Entwicklung verschlafen.
Ein klassischer Managementfehler!
Verschlafen haben wir überhaupt nichts, sonst gäbe es uns gar nicht mehr. Im Gegenteil, wir haben schon 2010 auf den Trend zu online gesetzt. Im letzten Jahr haben wir erstmals 62 Prozent unseres Gesamtumsatzes mit Internet-Verkäufen erzielt. Unser Online-Umsatz stieg allein im 2017 um 8 Prozent, der Umsatz der Filialen ging dagegen um 10 Prozent zurück.
Wie gehen Sie mit dem Entscheid um?
Der Entscheid ist mir extrem schwergefallen. Die Mitarbeitenden können nichts für diese Situation. Wir sind uns bewusst, dass für die betroffenen 114 Verkäuferinnen und Verkäufer eine sehr belastende Zeit beginnt. Wir müssen über die nächsten sechs Monate gestaffelt Kündigungen aussprechen. Für die Zukunft von Ex Libris und um die verbleibenden 215 Arbeitsplätze nachhaltig zu sichern, war der Entscheid leider unumgänglich.
Wie steht es um Ihr Kerngeschäft Bücher?
Im harten Wettbewerb gewinnen wir Marktanteile. Bei den Büchern konnten wir zweistellig zulegen. Wir sind dort klar die Nummer zwei hinter Orell Füssli. Amazon haben wir bei den Verkäufen überholt. Wir machen es besser als die anderen Medienhändler in der Schweiz. Nur gibt es bald gar niemand anders mehr.
Für meine Eltern war die volle Bücherwand noch Statussymbol. Ich habe nur noch ein Büchergestell. Und Sie?
Ich habe noch eine Bücherwand. Aktuell komme ich aber leider nicht zum Lesen. Ich bin einfach nur froh, wenn ich abends ins Bett fallen kann.
Werden Bücher physisch überleben?
Das Buch ist ein Kulturgut. Das Buch ist wertiger als ein Film oder Musik. Man nimmt es immer wieder in die Hand, blättert darin oder gibt es weiter. Das sieht man auch an den E-Book-Umsätzen, die immer noch minim sind.
Wenn man nach dem Buchkauf das Etikett wegrubbelt, kommen regelmässig tiefere Euro-Preise zum Vorschein. Ein Ärgernis!
Das ist mit ein Grund, warum Ex Libris 2012 Unterschriften für ein Referendum gegen die Buchpreisbindung gesammelt hat. Das ist eine Abzockerei deutscher Verlage gegenüber dem Schweizer Leser. Darum geben wir 20 Prozent auf jedes Buch, die wir aus dem eigenen Sack zahlen.
Sie haben mit dieser Billigstrategie den Kahlschlag herbeigeführt.
Im Gegenteil. Das Buchgeschäft ist unser Ertragspfeiler geworden. Insgesamt haben wir in der Vergangenheit die Rentabilitätsschwelle unterschritten, um das Personal für die Öffnungszeiten zu finanzieren oder die Ladenmieten bezahlen zu können. Wir wollten die Arbeitsplätze so lange wie möglich erhalten. Aber jetzt blieb uns nichts anderes übrig, als zu handeln.
Dann waren die Zahlen im letzten Jahr tiefrot?
Wenn immer weniger Kunden in die Läden kommen, fehlt am Ende des Tages einfach das Geld in der Kasse. Ex Libris hat im letzten Jahr einen Umsatz von 108 Millionen Franken erzielt. Das sind nur vier Millionen weniger als im Jahr zuvor. Unter dem Strich konnten wir aber keinen Gewinn erzielen.
Amazon kommt bald in die Schweiz. Werden Sie den Buchdeckel dann ganz zumachen und die übrigen vierzehn Filialen auch schliessen?
Ein weiterer Abbau ist nicht geplant. Wir haben eine gute Online-Strategie. Die Mehrheit der verbleibenden Filialen ist profitabel. Ich denke auch nicht, dass ausländische Anbieter mit Büchern in die Schweiz kommen. Das macht für mich keinen Sinn. Die machen ihre 500 Millionen in Deutschland, ohne eine Wertschöpfung abgeben zu müssen in der Schweiz.
Wie sagen Sie künftig Apple, Amazon und Co. den Kampf an?
Musik wie auch Filme bleiben im Sortiment, obwohl die Zahlen weiter einbrechen werden. Wir vollziehen jetzt den Wandel vom stationären Händler mit Online-Shop zum Online-Händler mit Filialen. Eine logische Fortführung der digitalen Transformation. Strategisch werden wir uns online stark aufs Buch ausrichten.
Haben Sie immer noch den «geilsten Job im Detailhandel», wie Sie vor fünf Jahren sagten?
Jeder geile Job hat auch seine Schattenseiten. Ich kann nun aber beweisen, dass wir unternehmerische Verantwortung wahrnehmen. Spass daran, das Unternehmen in die Zukunft zu führen, habe ich auch nach über zehn Jahren bei Ex Libris. Aber es gibt einfach schmerzliche Punkte. Der gestrige Entscheid war so einer.
Im Jahr 1947 entstand Ex-Libris als Buchklub, 1956 kaufte ihn Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler (1888–1962) auf, um damit gegen die Buchpreisbindung in der Schweiz anzukämpfen. 2010 betrieb die Migros-Tochter 114 Filialen und schrieb einen Umsatz von 191 Millionen Franken. Derzeit sind es noch 57 Standorte. Der Umsatz im letzten Jahr: 108 Millionen. Übrig bleiben jetzt noch 14 Filialen: Aarau, Basel Centralbahnplatz, Bern Bahnhof, Glattzentrum Wallisellen ZH, Lenzopark Lenzburg AG, Lyss BE, Pizolpark Mels SG, Rapperswil SG, Sursee LU, Illuster Uster ZH, Wil SG, Zürich Bahnhofplatz, Zürich Limmatplatz und Zürich Oerlikon. Online gehört Ex-Libris mit 21 Millionen Artikeln zum grössten Medien-Online-Shop der Schweiz.
Im Jahr 1947 entstand Ex-Libris als Buchklub, 1956 kaufte ihn Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler (1888–1962) auf, um damit gegen die Buchpreisbindung in der Schweiz anzukämpfen. 2010 betrieb die Migros-Tochter 114 Filialen und schrieb einen Umsatz von 191 Millionen Franken. Derzeit sind es noch 57 Standorte. Der Umsatz im letzten Jahr: 108 Millionen. Übrig bleiben jetzt noch 14 Filialen: Aarau, Basel Centralbahnplatz, Bern Bahnhof, Glattzentrum Wallisellen ZH, Lenzopark Lenzburg AG, Lyss BE, Pizolpark Mels SG, Rapperswil SG, Sursee LU, Illuster Uster ZH, Wil SG, Zürich Bahnhofplatz, Zürich Limmatplatz und Zürich Oerlikon. Online gehört Ex-Libris mit 21 Millionen Artikeln zum grössten Medien-Online-Shop der Schweiz.