Ist das die Zukunft der Arbeit?
Frühstück und Ferien ohne Limit

Die Mitarbeiter von Advanon in Zürich dürfen unbegrenzt Ferien beziehen, nutzen davon im Schnitt aber nur 23 Tage im Jahr.
Publiziert: 27.05.2018 um 13:47 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 18:07 Uhr
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Die meisten Mitarbeiter bei Advanon geniessen täglich ihr Gratisfrühstück.
Foto: Daniel Kellenberger
Harry Büsser

Nachdem im Robotermenü die Vier für «andere Anliegen» gewählt ist, meldet sich die Telefonistin der Firma Advanon. Im Unterschied zum Roboter darf sie unlimitiert Ferien beziehen. Auf die Frage, warum sie trotzdem im Büro sei, antwortet sie fröhlich: «Das Geschäft muss ja laufen!»

Advanon vermittelt Firmenkredite über eine Software-Plattform und ist das erste Schweizer Unternehmen, das unbegrenzt Fe­rien bietet. In den USA gibt es dies schon länger, inzwischen ist der Trend auch in Deutschland angekommen: Wie die Job-Plattform Joblift berichtet, stieg die Zahl von Arbeitgebern mit vergleichbaren Bedingungen im Jahr 2017 um 25 Prozent auf 130.

Lösung für Fachkräftemangel

Die Büros von Advanon liegen im Westen von Zürich. Es ist 9 Uhr, und die Mitarbeiter geniessen das täglich offerierte Frühstück. Mit am Tisch sitzt CEO Phil Lojacono (29): «Gute Software-Entwickler sind sehr schwer zu finden. Mit unlimitierten Ferien und anderen Ex­t­ras, etwa Homeoffice, bezahlten Ferienreisen oder Weiterbildungskursen können wir sie eher für unser Unternehmen begeistern.»

Gemäss Joblift funktioniert das Konzept: Stellen, die mit unbegrenzten Ferien verbunden sind, werden doppelt so schnell besetzt. Auch die Möglichkeit, ein Sabbatical einzulegen, wirkt attraktiv, wie Studien der Unternehmensberatung Kienbaum belegen. Während 2012 erst jedes zweite Unternehmen eine längere Auszeit vom Job anbot, waren es 2017 bereits zwei von drei. Zudem ist die maximale Dauer des Arbeitsunterbruchs von sechs auf zwölf Monate gestiegen.

Moderne Firmen bieten ihren Mitarbeitern mehr Freiheiten, sie werden jedoch nicht unbedingt genutzt: Bei Advanon bezogen 2017 nur sechs von 25 Mitarbeitern mehr als 25 Ferientage; im Durchschnitt waren es 23 Tage. Personalchefin Josie Biedermann (37): «Wir motivieren die Mitarbeiter wirklich dazu, 25 Ferientage pro Jahr zu beziehen.» Und CEO Lojacono: «Selbst wenn der Durchschnitt der bezogenen Ferientage 25 übersteigen würde, könnte ich hinter den unlimitierten Ferien stehen.»

Wieso beschränken sich die Mitarbeiter also selber? Ihnen werden Ziele gesetzt, die sie selbstverantwortlich erreichen müssen. Einfachstes Beispiel: Im Verkauf muss immer jemand ans Telefon gehen. Selbstorganisation ist aber nicht die alleinige Erklärung.

Zwei Team-Reisen pro Jahr

«Der Zusammenhalt zwischen den Mitarbeitern wird stark gefördert», sagt Stijn Pieper (27), Mitbegründer von Advanon. «Zweimal pro Jahr fliegen wir für zehn Tage mit dem ganzen Team in eine andere Stadt. Dort ist ein Wochenende für Spass reserviert – sonst arbeiten wir, organisieren Workshops und Hackathons.» Jeden Freitagabend stossen die Mitarbeiter aufs Wochenende an und gehen häufig gemeinsam in den Ausgang.

«Wir machen privat viel zusammen, gehen am Wochenende auch mal gemeinsam Ski fahren», so Stijn Pieper. «Ich würde sagen, dass viele Mitarbeiter Freunde sind.» Mitgründer Pieper sieht aber auch Nachteile: «Es gibt einen Gruppendruck.» Den vom Spass zu unterscheiden, ist manchmal schwierig.

Die alleinerziehende Katharina Böhringer ist an den Freitagabenden so gern mit dabei, dass sie – wann immer es geht – eine Kinderbetreuung organisiert. Böhringer, die aus Deutschland stammt, betont: «Für Mitarbeiter, die aus dem Ausland in die Schweiz kommen, ist es ein grosser Vorteil, dass man mit den Kollegen auch in den Ausgang geht. So hat man sofort Anschluss.»

Wo Chefs gewählt, aber auch abgewählt werden

Als die Firma Umantis aus St. Gallen in Schwierigkeiten geriet, verzichtete das Management einstimmig auf 20 Prozent des Lohns, die Mitarbeiter – ebenso einstimmig – auf zehn Prozent. Und als es 2012 um die Integration in die deutsche Haufe-Gruppe ging, stimmten die Mitarbeiter darüber ab. Im folgenden Jahr wurde der neue CEO gewählt. «Danach wollten sich weitere Führungskräfte jährlich wählen lassen», so Hermann Arnold (Bild), Mitgründer von Haufe-Umantis. «Über die gewählten Chefs können die Mit­arbeiter weniger meckern», sagt er. Der Preis dafür: «Chefs werden auch abgewählt.» Man habe sogar Positionen, die als Schleudersitze im Verruf seien. Die Gründe sind vielfältig: «Es gibt Teams, die ständig im roten Bereich laufen, denn wir wachsen jedes Jahr um 20 bis 50 Prozent.» Immerhin sei die Abwahl von Chefs inzwischen so normal, dass diese meist bei der Firma blieben und in anderem Kontext sogar neue Chefpositionen übernehmen könnten. Arnold erwähnt aber auch einen echten Nachteil des Chefkür-Systems: «Frauen wollen sich weniger der Wahl stellen.» Deshalb denke man inzwischen über ein neues, frauenfreundlicheres Wahlsys­tem nach.

Hermann Arnold, Mitgründer von Haufe-Umantis.

Als die Firma Umantis aus St. Gallen in Schwierigkeiten geriet, verzichtete das Management einstimmig auf 20 Prozent des Lohns, die Mitarbeiter – ebenso einstimmig – auf zehn Prozent. Und als es 2012 um die Integration in die deutsche Haufe-Gruppe ging, stimmten die Mitarbeiter darüber ab. Im folgenden Jahr wurde der neue CEO gewählt. «Danach wollten sich weitere Führungskräfte jährlich wählen lassen», so Hermann Arnold (Bild), Mitgründer von Haufe-Umantis. «Über die gewählten Chefs können die Mit­arbeiter weniger meckern», sagt er. Der Preis dafür: «Chefs werden auch abgewählt.» Man habe sogar Positionen, die als Schleudersitze im Verruf seien. Die Gründe sind vielfältig: «Es gibt Teams, die ständig im roten Bereich laufen, denn wir wachsen jedes Jahr um 20 bis 50 Prozent.» Immerhin sei die Abwahl von Chefs inzwischen so normal, dass diese meist bei der Firma blieben und in anderem Kontext sogar neue Chefpositionen übernehmen könnten. Arnold erwähnt aber auch einen echten Nachteil des Chefkür-Systems: «Frauen wollen sich weniger der Wahl stellen.» Deshalb denke man inzwischen über ein neues, frauenfreundlicheres Wahlsys­tem nach.

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