Welcher Chef eines Milliardenkonzerns macht seine Interviewtermine heute noch selbst aus? Es gibt kaum mehr einen. Die alte Garde tritt ab. Jetzt ist Franz Julen (58) dran. Ab Januar wird er nur noch in Verwaltungsräten sitzen, das ist weniger hektisch. Bestätigt sind Präsidien bei Valora und den Bergbahnen seiner Heimat Zermatt VS, ein drittes folgt. Viele hätten ihn stattdessen gerne als Präsident von Swiss Olympic gesehen. Julen sagte ab.
Am Freitag vor Weihnachten hatte Julen seinen letzten Arbeitstag bei Intersport. BLICK half ihm im Konzernhauptsitz in Bern-Wankdorf beim Kistenpacken. Weder beim Organisieren des Termins noch beim Gegenlesen des Textes redete ein Firmensprecher drein.
Richtiger Zeitpunkt
«Klar bin ich ein bisschen wehmütig», sagt er, im Bürostuhl mehr liegend als sitzend. «Aber vor allem bin ich stolz, die Gruppe in so gutem Zustand zu übergeben.» Ab Januar wird der Amerikaner Victor Duran (49) den Konzern führen. Julen hat ihn seit September eingearbeitet und den Partnern auf der ganzen Welt vorgestellt. «Viele Chefs verpassen den richtigen Zeitpunkt, zu gehen. Das ist mir nicht passiert.»
Während er spricht, spielt er mit der Zimmerkarte eines Berner Hotels. Dort schläft er, wenn er nicht spätnachts im Auto nach Hause nach Zug fahren mag. Die Wände im fast leeren Büro sind kahl. Bis am Vortag hingen hier noch Trikots, Bilder, Urkunden. Abschied nehmen. Ein letztes Mail schreiben, das letzte Mal Kaffee holen. Espresso, schwarz.
Als Julen 1998 bei Intersport anheuerte, war das Unternehmen mit fünf Milliarden Euro Umsatz eine traditionelle Einkaufsorganisation im westeuropäischen Markt. Unter ihm als CEO ist sie zum mit Abstand grössten Sportartikelverkäufer der Welt gewachsen. Umsatz in 65 Ländern: 11,5 Milliarden. Der Firma geht es gut, obwohl das Wintersportgeschäft auch diese Saison wieder lahmt.
Richtige Investitionen
Dafür hat Julen das Terrain im Wachstumsmarkt China bestellt. «Eine Goldgrube» nennt er die kürzlich unterschriebene Zusammenarbeit mit dem führenden Onlinehändler im Reich der Mitte. Auch der intern umstrittene Kauf der US-Sneakerkette The Athlete’s Foot von 2012 scheint sich auszuzahlen. Julen erklärt mehrfach: «Dafür werden die mir hier noch lange dankbar sein.»
Er selbst wurde durch den Konzernerfolg zum gefragten Mann, dem man gerne ein schönes Geschenk macht. Die liebsten Andenken, die Julen zum Abschied in die Kartonschachtel packt: Ein Trikot von Argentiniens Fussballnati, signiert: «Für Franz Julen, Lionel Messi». Der Schuh, mit dem Usain Bolt diesen Sommer in Rio zu Olympia-Gold über 100 Meter sprintete. Und ein Deutschland-Leibchen, unterschrieben von allen Fussball-Weltmeistern 2014.
Während des Interviews ruft Julens Frau Antoinette (53) an. «Ich bin beschäftigt. Aber das ist das letzte Mal, dass ich dir das sage», antwortet er ihr. Als er aufgelegt hat, meint er: «Ich will jetzt endlich mehr Zeit mit ihr verbringen.» Es sei aber auch Zeit für frisches Blut im Unternehmen. «19 Jahre die gleichen Ansprachen, die gleiche Denkweise, das reicht», erklärt er seinen Rücktritt. Keiner hat ihn von ihm verlangt.
Richtiges Bauchgefühl
Schon vor eineinhalb Jahren hatte er sich dazu entschieden. Knall auf Fall, an einem einzigen Wochenende. Wie immer schon. «Ich bin entscheidungsfreudig. Das ist für mich Führungsstärke.» Heisst: Nicht zu viel abwägen, auch auf den Bauch hören. Und das Risiko in Kauf nehmen, durch Schnellschüsse Fehlentscheidungen zu treffen. «Ich habe so schon viele gute Deals abgeschlossen. Man kann sich auch zu Tode analysieren.» Alte Schule halt. Hemdsärmlig, zum Anfassen.
Was wäre wohl, wenn der Julen von damals sich heute auf eine Stelle bei Intersport bewerben würde? «Ich will es mir gar nicht vorstellen. Heute haben alle unsere Bewerber Abschlüsse von Topunis.» Julen dagegen hat nicht studiert, sondern sich im Skizirkus hochgerackert. Sein Sprungbrett: Bruder Max (55) fuhr 1984 zu Olympia-Gold im Riesenslalom – mit Franz als Servicemann. Der Beginn einer Tellerwäscherkarriere nach Walliser Art.
«Mein Bruder hatte Talent, ich habe Ehrgeiz», sagt er. Ist er deswegen eitel? Nach solch delikaten Fragen lehnt sich Julen jeweils noch weiter im Stuhl zurück, denkt nach. Fünf, zehn Sekunden lang ist es still im Büro. Die Antwort: «Um eine Firma wie Intersport glaubwürdig zu führen, sollte der Chef den Sport repräsentieren. Er sollte Sport treiben, kein Übergewicht haben, sportlich gut angezogen sein, gesund aussehen. Da ist sicher auch eine gewisse Eitelkeit dabei.»