HSG-Professorin Gudrun Sander hat nachgerechnet
Mütter fehlen nicht häufiger als Männer

Die St. Galler Wirtschaftsprofessorin Gudrun Sander sieht, dass Firmen, die Stellen nicht besetzen können, plötzlich sehr flexibel werden für Frauen, auch solche mit Kindern. Sie hält es für einen Mythos, dass Mütter im Job häufiger ausfallen als Männer.
Publiziert: 14.02.2019 um 23:05 Uhr
|
Aktualisiert: 16.02.2019 um 20:28 Uhr
Professorin Gudrun Sander sagt: «Die letzten zehn Jahre hat sich Einiges getan.»
Foto: Keystone
Claudia Gnehm

Die Betriebswirtschaftsprofessorin Gudrun Sander (54)* erlebt immer wieder, dass Unternehmen sich Diversität auf die Fahne schreiben. Doch in der Praxis Frauen benachteiligen.

BLICK: Wollen Arbeitgeber Frauen nach dem Mutterschaftsurlaub überhaupt behalten?
Gudrun Sander: Das ist sehr unterschiedlich. Dort, wo man sich gewohnt ist, viel mit Frauen zu arbeiten, ist es normal. Anderorts herrschen teilweise stereotype Bilder vor. Wie etwa ‹Frauen mit Kindern fallen immer aus›. Dort ist man dann weniger offen.

Woher kommt die Ablehnung gegenüber Müttern am Arbeitsplatz?
Unternehmen wollen einerseits Risiken minimieren, andererseits ist es auch teilweise schwierig Teilzeitstellen einzurichten.

Wieso?
Viele mittlere Kader stehen enorm unter Kostendruck und dürfen zum Beispiel die Anzahl Mitarbeitende nicht erhöhen. Wenn sie einer Mutter 70 Prozent anbieten, laufen sie Gefahr, dass ihnen die 30 Prozent aufgrund starrer Personalplanungsprozesse gekürzt werden.

Wie ändert man das?
Wir erleben oft, dass das Topmanagement sich zu mehr Diversität bekennt, dann in der Praxis nicht mehr Frauen eingestellt werden. Wenn man mehr Teilzeitstellen und mehr Flexibilität anbieten will, dann muss die ganze Personalplanung umgestellt werden. Zudem müssen die unteren Kader belohnt werden, wenn sie Frauen mit Teilzeitstellen behalten können, statt bestraft.

Sie sagen, der Fachkräftemangel spielt den Frauen in die Hände.
Ja. Bei Firmen, die Schwierigkeiten haben offene Stellen zu besetzen, sehen wir, dass sich sehr schnell viel bewegen kann – zum Beispiel im medizinischen Bereich.

In der Schweiz ist nur die Post bekannt für eine Rückkehrgarantie für Mütter. In Deutschland ist die Garantie obligatorisch. Wie ist das für Firmen?
Bei grösseren Unternehmen ist das eine Frage der Organisation. Wir sehen, dass Unternehmen in Deutschland dadurch weniger neue Mitarbeitende einstellen, weil sie zuerst den Pool von bestehenden Mitarbeitenden, die zurück wollen, berücksichtigen.

Wie erklären Sie sich, dass viele Frauen, denen nach dem Mutterschaftsurlaub gekündigt wird, nicht prozessieren, sondern einen Vergleich mit Stillschweigevereinbarung unterschrieben?
Ein juristischer Prozess ist ein grosser Kampf. Zudem verringern sich dadurch die Chancen am Arbeitsmarkt. Denn wer sich juristisch wehrt, wird stigmatisiert und der Schweizer Arbeitsmarkt ist relativ überschaubar. Die Schweizer Kultur hält ausserdem den Kompromiss hoch. Von daher ist es verständlich, wenn Frauen einem Vergleich zustimmen.

Was geht in den Arbeitgeber-Köpfen vor, die Mütter nach dem Mutterschaftsurlaub als Problem sehen?
Der Mutterschaftsurlaub wurde in der Schweiz 2005 eingeführt. Es ist also relativ neu, dass Mütter nach einer kurzen Pause in den Arbeitsmarkt zurückkehren. Aber es ist definitiv ein Mythos, dass Mütter immer ausfallen. Viele machen es, wie ich es machte; sie sichern sich für den Fall, dass ein Kind krank wird, mehrfach ab. Wenn Firmen die Absenzen auswerten, dann sehen sie häufig, dass es nicht die Mütter sind, die am meisten fehlen.

Wird es überhaupt besser für die Frauen auf dem Arbeitsmarkt?
Die letzten zehn Jahre hat sich einiges getan. Damals reagierten die Firmen ablehnend, wenn wir unser Rückkehrprogramm für qualifizierte Frauen «Women Back to Business» vorstellten. Inzwischen bemühen sich die Firmen wirklich um Wiedereinsteigerinnen. Sie haben gemerkt, dass Mütter engagierte und loyale Mitarbeiterinnen sind.

Was können die Frauen noch beitragen?
Manchmal müssen die Frauen die Arbeitgeberperspektive einnehmen und ihre Rechte nicht voll ausnutzen. Wenn die Kinder krank sind, können sie auch ihren Partner in die Pflicht nehmen. Die Kinder sterben nicht, wenn der Vater auf sie aufpassen muss.

*Gudrun Sander ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre und Diversity Management an der Hochschule St. Gallen.

Darf man bei der Bewerbung sein Kind verheimlichen?
2:51
Experte gibt Auskunft:Darf man bei der Bewerbung sein Kind verheimlichen?
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.