Gopfried Stutz
Vollgeld am Flohmi

Auch mit der Abstimmung am 10. Juni wird sich das Grundproblem unseres Finanzwesens nicht lösen lassen.
Publiziert: 01.06.2018 um 23:43 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 17:28 Uhr
Claude Chatelain
«Auch ich finde es fatal, wie sehr unsere Gesellschaft von der Idee des ständigen Wachstums besessen ist.» Claude Chatelain
Foto: GAETAN BALLY

Am Samstag war ich wieder einmal auf dem Zürcher Bürkliplatz. Beim Schlendern über den Flohmarkt sprach mich eine ältere Frau an: Ob ich schon über das Vollgeld abgestimmt hätte. «Nein», gab ich zur Antwort, ich lehnte die Initiative aber ab. Den Prospekt brauchte ich nicht.
Am anderen Ende des Flohmi sprach mich wieder eine Dame an, vom Typus ganz ähnlich wie die erste. Auch sie etwa in meinem Alter, vielleicht ein bisschen darüber. Beide vermittelten den Eindruck, sie hätten eine christliche Botschaft zu verkünden. Von der zweiten lasse ich mich ins Gespräch verwickeln.

Die Misere unseres Finanzwesens werde doch mit der Vollgeld-Initiative nicht beseitigt, argumentierte ich. Das Problem sei doch, dass unsere Grossbanken viel zu gross seien, eben «too big to fail». Sie ging nicht darauf ein. Bei der Vollgeld-Initiative gehe es um etwas anderes.
Bei ihrer Predigt fing sie mit dem Jahr 1891 an, als die Herstellung privater Banknoten verboten wurde. Seither dürfe nur noch die Nationalbank Banknoten drucken. Heute aber sei die Realität eine andere. Der grösste Teil der Geldmenge sei nicht von der Nationalbank geschaffen worden, sondern von den Geschäftsbanken. Das wüssten die Leute gar nicht.

Ob sie denn ihrerseits wisse, dass es die Nationalbank war, die den Markt mit Franken überschwemmte, nur um unsere Währung zu schwächen. Auch auf diese Frage ging sie nicht ein. Bei einem Ja zur Vollgeld-Initiative müsste sich die Nationalbank anders verhalten, meinte sie. Eine andere Philosophie würde Einzug halten, dann wäre es vorbei mit diesem ewigen Wachstum.

Aha. Das war es also, was mir die Frau damit sagen wollte, dass es bei der Vollgeld-Initiative um etwas anderes gehe. Sie ist eine Wachstumskritikerin.

In diesem Punkt bin ich ganz bei ihr. Auch ich finde es fatal, wie sehr unsere Gesellschaft von der Idee des ständigen Wachstums besessen ist. Nur sehe ich nicht, was ein Ja zur Vollgeld-Initiative daran ändern sollte.
Lieber hätte ich mit der Dame über das wirkliche Problem gesprochen – über jenes «Too big fo fail» – und ihr gesagt, dass die Schweiz dem Bankverein und der Bankgesellschaft nie hätte erlauben dürfen, zur UBS zu fusionieren, damit derart monströs zu werden und für das Funktionieren der Wirtschaft unentbehrlich zu werden. Wenn der Finanzplatz in der Schweiz ein Risiko habe, dann dieses.

Ich hätte ihr auch gern erzählt, wie die USA anno 1911 Standard Oil zerschlugen und später AT&T in die so genannten Baby Bells aufspalteten: Weil der Erdöl-Konzern und der Telekom-Gigant einfach zu mächtig geworden waren. Und: Auch unsere Grossbanken sind zu mächtig.

Warum ich ihr das alles nicht erzählt habe? Sie wollte mir gar nicht zuhören.

Alle Abstimmungen auf einen Blick

Die Schweiz stimmt wieder ab: Erklärungen zu allen Initiativen, aktuelle News und prominente Stimmen zum Thema finden Sie hier.

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