Finma-Chef Mark Branson über Gefahren für Schweizer Bankkunden
«Negativzinsen für Kleinsparer wären ein Risiko»

Noch nie hat sich die Finma so tief in die Karten blicken lassen. Zum ersten Mal spricht die Finanzmarktaufsicht über die grössten Risiken für Banken und Versicherungen und erklärt, weshalb Negativzinsen, Immobilienblase oder Cyberattacken uns alle etwas angehen.
Publiziert: 10.12.2019 um 20:30 Uhr
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Finma-Chef Mark Branson: «Wer als Letzter in einen Markt einsteigt, der muss sehr vorsichtig sein – und zahlt am Schluss nicht selten die Zeche.»
Foto: Keystone
Christian Kolbe

«Eine Premiere im Au Premier» erlaubt sich Finma-Chef Mark Branson einen kleinen Scherz. Ehe er loslegt und im ersten Stock des Restaurants im Hauptbahnhof Zürich über die grössten Risiken für den Finanzplatz spricht. Es ist das erste Mal, dass die Finanzmarkaufsicht (Finma) einen so tiefen Einblick in ihre Sorgen gibt. Im Gespräch mit BLICK macht Branson klar, dass Probleme der Banken uns alle treffen und was diese Risiken für den Einzelnen bedeuten.

BLICK: Die Finma hat die grössten Risiken für den Finanzplatz benannt. Eines aber fehlt, ein Börsencrash. Warum?
Mark Branson:
Viele Börsenplätze sind im historischen Vergleich tatsächlich sehr hoch bewertet. Aber die Vergangenheit hat auch gezeigt: Ein reiner Börsencrash ist für die Anleger zwar schmerzhaft, aber für die Banken verkraftbar, denn es stehen meist keine Kredite dahinter. Viel gefährlicher sind dagegen Immobilienkrisen, denn da läuft vieles mit Krediten, und die werden in der Krise teilweise nicht mehr zurückgezahlt.

Das heisst, eine grosse Sorge gilt dem Immobilienmarkt in der Schweiz?
Ja. Es fliesst sehr viel Geld auf der Suche nach Rendite in den Immobilienmarkt. Deshalb wird auch so viel gebaut. Und das führt zu Leerständen. Dies insbesondere bei Mietshäusern.

Zudem drängen immer mehr Private in den Markt mit Renditeliegenschaften.
Das Problem ist aus anderen Ländern bekannt: Wenn die Preise immer weiter steigen, ziehen sich die professionellen Anleger immer mehr zurück, private Investoren füllen die Lücke. Das heisst, sie zahlen die höchsten Preise, kurz bevor es zu einer Korrektur kommt. Wer als Letzter in einen Markt einsteigt, der muss sehr vorsichtig sein – und zahlt am Schluss nicht selten die Zeche.

Was heisst das für jemanden, der nur seine eigenen vier Wände bewohnt?
Die wichtigste Regel: Nur so viel für Hypozinsen ausgeben, wie man sich leisten kann, auch wenn später die Zinsen wieder steigen würden. Und wenn die Hauspreise sehr stark fallen, kann die Situation richtig unangenehm werden. Zum Beispiel wenn der Wert des Hauses plötzlich tiefer ist als die Hypothek, kann man sogar das Haus verlieren.

Kann die Finma in der Krise den kleinen Hausbesitzern helfen und nicht nur die Banken retten?
Unser Auftrag ist die Stabilität des Finanzsystems und der Institute, das nützt langfristig allen. Aber wir wollen auch klar nicht, dass die Kunden Hypotheken aufnehmen, die sie irgendwann nicht mehr bedienen können.

Diese sogenannten Tragbarkeitsregeln arbeiten mit einem Zins von bis zu fünf Prozent. Ist das noch zeitgemäss, wir leben seit fünf Jahren mit Negativzinsen?
Die Banken rechnen mit einem langjährigen Durchschnitt, es gibt keine fixe Regel. Die Zinsen müssen aber nicht ewig tief bleiben, sie können irgendwann wieder steigen. Und ein Hauskauf ist eine Investition über Jahrzehnte.

Aber selbst die Finma glaubt nicht daran, dass die Zinsen bald wieder steigen.
Das ist richtig, kurzfristig sieht es nicht nach einem Zinsanstieg aus. Aber der Finanzplatz muss sich für beides wappnen: Für das Tiefzinsumfeld ebenso wie für einen plötzlichen Zinsanstieg. Unsere Rolle ist es, verschiedene Szenarien zu betrachten. Es nützt auch dem Bankkunden, wenn das System in allen Szenarien stabil bleibt.

Schon ab 100'000 Franken verlangen gewisse Banken Negativzinsen von ihren Kunden. Gibt es aus Sicht der Finma eine Schmerzgrenze, die nicht unterschritten werden darf?
Keine konkrete. Die Banken sind hier frei. Sie stehen unter Druck wegen der Tiefzinsen. Aber wenn sie Negativzinsen breit an ihre Kunden weitergeben würden, könnte sich deren Verhalten ändern. Negativzinsen für Kleinsparer wären ein Risiko. Denn es könnte sein, dass die Kunden ihr Geld dann nicht mehr bei einer Bank deponieren wollen. Wenn dadurch viel Geld aus dem System abgezogen würde, würde uns das schon Sorgen bereiten. Und den Banken auch: Sie brauchen das Geld der Sparer, um Kredite zu finanzieren.

Wie wird sich die Bankbranche in den nächsten Jahren verändern?
Im Bankgeschäft erfolgreich zu sein, ist nicht mehr so einfach, wie es früher war. Es kommen neue Geschäftsmodelle auf, und es braucht eine Auseinandersetzung mit den digitalen Möglichkeiten im Banking. Nur die fitten Banken haben eine erfolgreiche Zukunft vor sich. Die tiefen Zinsen stellen vieles im Bankgeschäft in Frage.

Eine Kritik an der aktuellen Geldpolitik?
Nein, überhaupt nicht. Die Nationalbank gestaltet die Geldpolitik im Interesse des Landes. Und die SNB teilt unsere Sorgen über die Nebenwirkungen der Tiefzinsen.

Bald verschwindet die Libor-Hypothek. Was heisst das für die Finanzierung des Hauskaufs?
Es stimmt, dass der Libor verschwinden wird. Aber er wird ersetzt werden. Für den Kunden ist das also nicht weiter schlimm. Für die Banken hingegen sind die Herausforderungen der Umstellung gross. Die Banken dürfen das nicht unterschätzen.

Trotzdem tun sie es in den Augen der Finma, wie kann das bei so einer zentralen Umstellung sein?
Niemand freut sich über diesen Wandel. Er generiert viel Aufwand. Aber er ist nötig, denn der Libor hatte Schwachstellen, wurde auch manipuliert. Nun braucht es einen gewissen Weckruf, mit diesem Projekt vorwärtszumachen.

Wie gross ist die Gefahr durch digitale Angriffe auf das Finanzsystem?
Cyberkriminalität betrifft nicht nur die Banken, wir alle müssen aufpassen, was mit unseren Daten passiert. Wenn wir nicht aufpassen, haben plötzlich Kriminelle Zugang zu unseren Konten. Die Gefahr, sein Geld zu verlieren, ist für jeden real. Cyberkriminalität ist eine Industrie, die nicht an der Schweizer Grenze haltmacht.

Wie kann sich der Einzelne schützen?
Etwas weniger gutgläubig sein. Die Cyberwelt ist voller Fallen, es kann schon reichen, auf einen Link zu klicken, und der Schaden ist angerichtet. Das gilt für Private ebenso wie für Firmen und Behörden.

Die Finma ist ein Kind der Finanzkrise, feierte in diesem Jahr den zehnten Geburtstag. Was hat sich seither verändert?
Niemand hat in der ersten Zeit der Finma den Bedarf nach strengerer Regulierung hinterfragt. Es war allen klar, die Grossbanken brauchen mehr Kapital. Doch der Mensch neigt zum Vergessen. Der Preis für sichere und stabile Banken wird heute wieder mehr in Frage gestellt, nicht nur in der Schweiz.

Was tut die Finma gegen das Vergessen?
Wir erinnern stetig daran, dass eine grosse Finanzindustrie ein hohes Mass an Sicherheit braucht, grosse Banken brauchen eine dicke Kapitaldecke. Wir sind dafür bezahlt, nie zu vergessen.

Der Bankenschreck

Mark Branson ist seit April 2014 der oberste Finanzaufseher der Schweiz. Der Chef der Finanzmarktaufsicht Finma weiss genau, wie man den Banken – und Versicherungen – in der Schweiz auf die Finger schaut. Denn bevor der Brite mit Schweizer Pass die Seiten gewechselt hat, sammelte er jede Menge Erfahrung bei den Grossbanken. Bei der UBS stieg Branson gar bis zum Finanzchef der Vermögensverwaltung und der Schweizer Bank auf.

Mark Branson ist seit April 2014 der oberste Finanzaufseher der Schweiz. Der Chef der Finanzmarktaufsicht Finma weiss genau, wie man den Banken – und Versicherungen – in der Schweiz auf die Finger schaut. Denn bevor der Brite mit Schweizer Pass die Seiten gewechselt hat, sammelte er jede Menge Erfahrung bei den Grossbanken. Bei der UBS stieg Branson gar bis zum Finanzchef der Vermögensverwaltung und der Schweizer Bank auf.

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