Als der Bundesrat den Lockdown verhängte, schrieben wir den 16. März. Fast alle Geschäfte, die keine Lebensmittel verkaufen, mussten vorübergehend dichtmachen. Seit diesem Tag tobt der Streit, ob die Miete für behördlich geschlossene Verkaufsflächen trotzdem geschuldet bleibt – oder nicht.
Der Bundesrat wollte sich in die Konfrontation zwischen Mietern und Vermietern nicht einmischen. Er rief dazu auf, «konstruktive und pragmatische» Lösungen zu finden. Doch die Lager stehen sich nach wie vor unversöhnlich gegenüber. Eine von Wirtschaftsminister Guy Parmelin (60) aufgebotene Taskforce scheiterte kläglich.
«Es gibt keine garantierte Mindestmiete»
Die Folge: pure Willkür. Grosszügige Vermieter gewährten kompletten Erlass. Wer weniger Glück hat, wird gedrängt, einen Kredit aufzunehmen, um zahlen zu können. Auf der anderen Seite gibt es Mieter, die sich in einer starken Verhandlungsposition sehen und die Zahlungen kommentarlos einstellen.
Sinnbild für diesen Wildwuchs ist ein Schreiben der Coop-Gruppe, das vor wenigen Tagen an diverse Vermieter ging. 2019 bezahlte der Detailhandelsriese insgesamt 741 Millionen Franken Miete. Heute sagt das Unternehmen: «Es wird für das Jahr 2020 eine an den Umsatz 2019 gekoppelte Miete vereinbart. Es gibt keine garantierte Mindestmiete.» Mit anderen Worten: Für jeden Franken, den die Coop-Gruppe 2020 in einer Liegenschaft weniger einnimmt als 2019, will sie weniger Miete zahlen.
Das Unternehmen begründet diese Haltung damit, man habe in den zum Konzern gehörenden Non-Food-Formaten wie Christ, Interdiscount, Fust, Livique oder Lumimart «eine massive Beeinträchtigung» erlitten. Die will Coop nicht allein tragen. «Es muss das Ziel sein, diese Einbussen und Verluste so aufzuteilen, dass die wirtschaftliche Zukunft beider Parteien möglichst gesichert bleibt.» Und schliesslich: «Zum Zeichen Ihres Einverständnisses bitten wir Sie, die beiliegende Briefkopie unterzeichnet bis zum 15. Mai 2020 an uns zurückzusenden.»
Bei den angeschriebenen Vermietern kommt das überhaupt nicht gut an. Einer, der anonym bleiben will, zeigt sich im Gespräch mit SonntagsBlick genervt: «Coop macht 30 Milliarden Umsatz und mehr als eine halbe Milliarde Gewinn pro Jahr – und nun tun sie so, als seien sie ein armes, kleines KMU, das kurz vor dem Aus steht!»
Was sei denn mit den Lebensmittel-Supermärkten, in denen Coop jetzt mehr Umsatz mache denn je? Bezahle man dort auch mehr Miete? Und bei Liegenschaften im Besitz von Coop – komme man den Mietern dort seinerseits entgegen? Der Konzern, von SonntagsBlick mit diesen Fragen konfrontiert, ging nicht darauf ein.
Fitness- und Sportcenter wollen nachziehen
Andererseits schwebt nicht nur Coop eine an den Umsatz gekoppelte Miete vor: Auch die Verbände der Fitness- und Sportcenter, der Schweizerischen Filialunternehmungen, der Geschäftsmieter sowie Gastrosuisse machen sich für eine solche Lösung stark.
In der Corona-Session des Parlaments, die morgen Montag beginnt, werden vorerst zwei andere Vorschläge diskutiert: Die Wirtschaftskommision (WAK) des Ständerats schlägt einen zweimonatigen Mieterlass für Kleinunternehmen vor, deren Miete 5000 Franken pro Monat nicht übersteigt. Die WAK des Nationalrats wiederum fordert, dass Betreiber von geschlossenen Betrieben ihrem Vermieter für die Zeit des Lockdowns nur 30 Prozent der Miete schulden.
Coop zu alledem: «Wir hoffen, dass der Bund und das Parlament eine klare Lösung für alle schaffen und damit langwierige Diskussionen vermieden werden können.»