Die Chefin von Ikea Schweiz, Simona Scarpaleggia, über Frauen in der Wirtschaft
«Frauen haben keine Probleme und sind kein Problem»

Sie ist eine von weniger Frauen, die es an die Spitze eines grossen Unternehmens geschafft haben. Genau darum ist Simona Scarpaleggia, Chefin von Ikea Schweiz, besonders engagiert im Kampf für starke Frauen in der Wirtschaft.
Publiziert: 11.10.2017 um 10:30 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 02:36 Uhr
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Engagiert: Simona Scarpaleggia.
Foto: Philippe Rossier
Interview: Katia Murmann

BLICK: Frau Scarpaleggia, wie beschreiben Sie Ihr Verhältnis zu Männern?
Simona Scarpaleggia: Als sehr gut. Warum?

Sie sind CEO von Ikea Schweiz und kämpfen für die Gleichstellung von Frauen im Beruf. Das hört sich gut an. Aber man macht sich nicht nur Freunde.
Wir können in der Schweiz und anderswo zeigen, dass Gleichstellung gut für das Geschäft ist. Es geht nicht darum, Männer zu bekämpfen. Sondern darum, dass Mädchen und Frauen die gleichen Chancen haben. Wenn ich mit jungen Frauen spreche, sagen sie mir: Ich will Karriere machen, aber überall sind nur Männer. Vielleicht ist das nichts für uns.

Was antworten Sie?
Ich glaube an die Kraft des Vorbildes.

Sie haben Ihre Karriere vor über 30 Jahren in Italien begonnen. Sie haben drei Kinder. Wie haben Sie das geschafft?
Es war hart. Der erste Schritt ist, dass wir Frauen ehrlich sein müssen. Und nicht alles kleinreden. Als ich angefangen habe, habe ich voll nach den Regeln der männlich dominierten Wirtschaft gespielt. In Italien hat man damals die wirklich wichtigen Meetings erst nach sechs Uhr abends gemacht. Weil Männer gewöhnt sind, gegen acht Uhr nach Hause zu gehen. Dann hat jemand für sie Abendessen gemacht, sich um die Kinder gekümmert, auf sie gewartet. Ich hatte keine Familie, keine Kinder und keinen Einfluss. Also musste ich nach den Regeln spielen. Aber in dem Moment, in dem ich mehr Verantwortung hatte, habe ich die Regeln geändert. Indem ich geändert habe, um welche Zeit wichtige Treffen stattfinden, konnte ich mehr Frauen die Möglichkeiten geben, an den wichtigen Meetings und Projekten teilzunehmen. Es klingt banal, aber es war wichtig für die Transformation.

Katia Murmann, Chefredaktorin Blick.ch, im Gespräch mit Scarpaleggia.
Foto: Philippe Rossier

Wie haben Sie sich mit Ihren Kindern organisiert?
Ich war sehr motiviert. Ich wollte immer arbeiten und eine Karriere haben. Aber ich wollte genauso sehr eine Familie. Also habe eine Nanny engagiert. Und ich habe alle meine Zeit entweder mit den Kindern oder der Arbeit verbracht. Ich hatte kaum Zeit für mich. Ich habe lange gearbeitet, dann habe ich mir Zeit für die Kinder genommen, ihnen Geschichten erzählt, mit ihnen gegessen, Hausaufgaben gemacht. Die ganz normalen Sachen, die man macht, die so schön sind. Und dann habe ich wieder gearbeitet. Für eine bestimmte Zeit gabs kein schickes Shopping, keine Partys und keinen Kaffee mit Freundinnen.

Viele Frauen in Führungspositionen wollen nicht darüber sprechen, wie sie sich organisieren. Sie sagen, einen Mann würde man das auch nicht fragen.
Es kommt darauf an, wie Sie fragen. Wenn Sie fragen, um der Frau ein schlechtes Gewissen zu machen, geht das gar nicht. Aber wie man sich organisiert, darauf kann man gut antworten. Das geht uns alle an.

Kriegen Frauen in der Schweiz genügend Unterstützung?
Wir müssen Müttern und Vätern gute Lösungen anbieten. Hier haben wir ein Schulsystem, das es Eltern sehr schwer macht, zu arbeiten. Weil die Kinder über Mittag heimkommen und es fast keine Tagesschulen gibt. Und weil es sehr teuer ist, wenn sie Hilfe wollen. Das nimmt der Wirtschaft viel Potenzial. Meine Kinder sind bis 16.30 Uhr in die Schule gegangen. Sie haben dort zu Mittag gegessen und dort Hausaufgaben gemacht. Dann hat die Nanny sie abgeholt, und ich kam später heim, um mit ihnen zu essen.

Heute ist Internationaler Mädchentag

Auf der ganzen Welt übernehmen heute Mädchen die Positionen von Führungskräften aus Politik und Wirtschaft. Rund 600 Chefs in 60 Ländern folgen dem Ruf des Kinderhilfswerks Plan International und lassen Mädchen an ihrer Rolle teilhaben. Das Motto «Girls Takeover» (Jetzt übernehmen die Mädchen) soll Mädchen und junge Frauen motivieren, selbstbewusst durchs Leben zu gehen und an ihr Potenzial zu glauben. Dazu gibts heute eine Sonderausgabe des Blick am Abend: Mit starken Frauen, die Mädchen Mut machen.

Auf der ganzen Welt übernehmen heute Mädchen die Positionen von Führungskräften aus Politik und Wirtschaft. Rund 600 Chefs in 60 Ländern folgen dem Ruf des Kinderhilfswerks Plan International und lassen Mädchen an ihrer Rolle teilhaben. Das Motto «Girls Takeover» (Jetzt übernehmen die Mädchen) soll Mädchen und junge Frauen motivieren, selbstbewusst durchs Leben zu gehen und an ihr Potenzial zu glauben. Dazu gibts heute eine Sonderausgabe des Blick am Abend: Mit starken Frauen, die Mädchen Mut machen.

Wie weit sind Sie in Sachen Gleichstellung bei Ikea?
Bei Ikea glauben wir an Menschen. Wir haben den klaren Standpunkt, dass jeder gleiche Möglichkeiten und Chancen verdient hat. Bei Ikea Schweiz haben wir schon seit einigen Jahren Geschlechtergleichheit erreicht und werden regelmässig von einer unabhängigen Firma dafür zertifiziert. Bei den Mitarbeitenden und in meinem Managementbereich haben wir 50 Prozent Frauen und bezahlen für gleiche Arbeit den gleichen Lohn. Das ist ein sehr wichtiges Signal. Der Rest der Ikea-Gruppe will dieses Ziel bis 2020 erreichen.

Wie haben Sie das geschafft?
Als ich vor sieben Jahren anfing, haben wir eine Analyse gemacht. Man muss wissen, wo man steht. Als wir die Ergebnisse hatten, haben wir uns Ziele gesetzt und konkrete Schritte geplant, wie wir diese Ziele erreichen. Es ist keine grosse Sache.

Der Möbelmarkt in der Schweiz ist in Bewegung. Wir sind hier in Ihrem ersten Pop-up-Store an der Zürcher Bahnhofstrasse. Muss sich Ikea neu erfinden?
Wir müssen die Bedeutung von Retail neu definieren und näher bei den Menschen sein. Zeit ist heute fast das wertvollste Gut. Viele Menschen haben kein Auto mehr. Für sie haben wir die Kombination aus Läden in den Zentren, die nicht riesig sind, aber einen guten Einblick geben in unser Sortiment. Dazu die grossen Warenhäuser und Onlineshopping. Dort haben wir fantastisches Wachstum.

Werden weitere Pop-up-Stores folgen?
Das ist unser erster in der Schweiz. Wir sind sehr zufrieden, aber wir werden alles evaluieren und dann sehen, ob wir das Konzept weiterverfolgen.

Wie hoch ist der Anteil des Onlineshoppings am Umsatz?
Mittlerweile liegt er bei fünf bis sechs Prozent. Das Wachstum ist zweistellig. Die Leute wollen das. Sie leben heute anders. Weil wir alle so beschäftigt sind, ist Zeit zum wichtigsten Gut geworden. Darauf müssen wir Antworten finden. Wir möchten den Alltag der Menschen verbessern. Sie mit unseren Produkten, aber auch durch unsere Dienstleistungen, unterstützen.

Gerade hat Ikea eine Firma gekauft, die günstigen Zusammenbau anbietet. Wann kommt das in die Schweiz?
Wir testen das zuerst auf dem US-Markt und in Grossbritannien. Wenn es gut geht, rollen wir es überall aus, auch in der Schweiz.

Sie haben die Preise für Lieferungen bereits gesenkt. Werden auch die für den Zusammenbau sinken?
Ja, wir werden da viel mehr machen in der nächsten Zeit.

Was sind heute die meistverkauften Produkte?
Kerzen, Köttbullar, das Billy-Regal, Pax-Kleiderschränke und die blaue Tasche Frakta.

Ikea verdient immer mehr Geld mit Lebensmitteln und nicht mit Möbeln. Denken Sie darüber nach, in den Städten mit Restaurants zu expandieren?
Wir haben keine konkreten Pläne, aber ich schliesse es auf keinen Fall aus. Wir sind in der Stimmung, auszuprobieren und Neues zu schaffen. Das machen wir schon mit unseren Vegibällchen und den veganen Angeboten in unseren Restaurants. Die Gastronomie ist definitiv ein sehr spannendes Feld.

Ikea hat in den grossen Möbelhäusern sehr lange offen, teils bis 21 Uhr. Lohnt sich das denn?
Wir messen in jedem Kaufhaus die Besucherströme. Und wir sehen: Ab 17 Uhr sind sie am grössten. Was erlaubt ist, variiert von Kanton zu Kanton. Vielerorts gibt es eine grosse Skepsis, was die langen Öffnungszeiten angeht. In St. Gallen mussten wir vor den Richter, schliesslich wurde unser Gesuch abgelehnt. Dabei ist das Bedürfnis der Menschen klar da, auch am Abend lange einzukaufen. Unsere Läden sind bis zum Schluss gut gefüllt.

In Ländern wie Italien und den USA ist Sonntagsverkauf die Regel. Würden Sie sich das auch in der Schweiz wünschen?
In Italien ist es gar keine Frage: Man kann auch am Sonntag einkaufen. Aber hier in der Schweiz ist es ein grosses Politikum. Das kann ich nicht verstehen. Man sollte doch einfach schauen, was die Bedürfnisse der Menschen sind, und nicht auf eine kleine Minderheit hören, die verhindern will. Mit liberalen Öffnungszeiten entlastet man schliesslich auch arbeitende Eltern, weil sie dann zwei Tage Zeit zum Einkaufen haben und nicht alles am Samstag machen müssen. Hier würde ich mir auch von der Politik mehr Offenheit wünschen.

Heute nehmen Sie an der Girls Takeover-Aktion zum Internationalen Mädchentag teil. Was raten Sie jungen Frauen, die Karriere machen wollen?
Sei du selbst. Versuche nicht, jemand anderes zu sein, und nicht, Männer nachzuahmen. Du kannst viel mehr machen, wenn du authentisch bist. Dann brauchst du die richtigen Fähigkeiten. Sie sind es, was dich stark macht. Und du brauchst ein Netzwerk, das bringt Jobangebote und den wichtigen Austausch.

Aber Frauen sind nicht so stark beim Networking.
Wir, mich eingeschlossen, sind da sehr schlecht. Gut, ich habe jetzt ein Netzwerk. Aber ich arbeite auch schon seit über 30 Jahren. Statistisch gesehen vernetzen Frauen sich nicht aus Spass. Sie gehen zur Arbeit und danach heim zur Familie. Da bleibt kaum Zeit. Aber wir müssen es machen, weil es für uns und für den Job wichtig ist. Ein Mentor kann helfen. Aber wissen Sie: Ich bin entschieden gegen den Gedanken, dass Frauen ein Problem haben und man ihnen helfen muss. Wir haben keine Probleme, und wir sind kein Problem. Die Gesellschaft hat ein Problem, wenn sie Frauen nicht die gleichen Chancen gibt.

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