Sein Plan scheint verrückt. Fast im Wochenrhythmus verschwinden Kleiderläden, der Online-Riese Zalando wächst ungebremst. Trotzdem will Stefano Beraldo (60) den Schweizer Modemarkt erobern. Mit 147 Filialen, die er vergangenen Herbst vom serbelnden Modehaus Charles Vögele übernommen hat. Und ab Juli zu OVS umbauen wird.
In Italien ist Beraldo ein Star der Branche. Innert zwölf Jahren katapultierte er dort die Modekette OVS mit über 900 Filialen zum Marktführer – vor globalen Giganten wie Zara und H&M. BLICK trifft ihn vor dem Flagshipstore in Mailand.
Einkaufsstrasse Via Dante, unweit des Doms: Mit breiten Schritten betritt der top gestylte Beraldo den Laden, posiert kurz fürs Foto, spricht dabei mit der herbeigeeilten Filialmanagerin. Er sei umgänglich, aber ein sehr mächtiger Mann, sagt sie später zu BLICK. Im Showroom nimmt er sich Zeit für die Fragen.
Herr Beraldo, haben Sie schon Deutsch gelernt?
Stefano Beraldo: Nein, ich bin zu alt, um jetzt noch Deutsch zu lernen.
Wieso tun Sie sich Vögele an und kommen mit OVS in die Schweiz?
Aus mehreren Gründen: Wir können direkt mit einem hohen Marktanteil starten. Dank der Nähe zu Italien ist für uns die Logistik einfach. Vor allem aber ist die Schweiz ein attraktiver Markt, der im Fashion-Bereich nicht so stark umkämpft ist.
Wie wollen Sie den verstaubten Charles Vögele in ein florierendes Modehaus umbauen?
Wenn man heute in den Flagshipstore von Vögele in Zürich geht, ist es fast wie in einer Kirche. Ziemlich dunkel, keine Musik, nicht mehr zeitgemäss. Trotz guter Standorte verlor Charles Vögele jährlich an Marktanteil. Im neuen OVS-Laden wird man ein total anderes Einkaufserlebnis haben.
Klar, in OVS-Läden gibt es Musik, trendige Kleider, digitale Tools. Der typische Charles-Vögele-Kunde wird das nicht ansprechen.
Die werden uns nicht zu 100 Prozent mögen. So war es aber auch in Italien, als ich vor zwölf Jahren Oviesse übernommen und zur heutigen OVS umgebaut habe. Oviesse zielte auf ein älteres, konservatives Publikum ab – ähnlich wie heute Charles Vögele.
In Italien hat Beraldos Konzept Erfolg: schnittige Kleider für die ganze Familie. Kaufen die Eltern für ihre Kinder ein, können sie sich auch grad einkleiden. So erhöhte Beraldo den Marktanteil von anfänglich zwei auf sieben Prozent. 2016 steigerte er den Umsatz um 3,3 Prozent auf 1,4 Milliarden Euro – trotz Wirtschaftskrise. Doch Beraldo will mehr. Er glaubt, trotz Onlinehandel stationär wachsen zu können.
Auf die Frage, wie er denn künftig noch Kunden in die Läden locken will, reagiert er verschnupft. Er weiss: Die Kunden kommen. Auch in der Schweiz. Das zeigten die fünf Pilotfilialen, die OVS seit März in der Schweiz testet. Und doch:
Heutzutage fast 150 Filialen zu eröffnen, das ist ein verrückter Plan.
Sagen wir es so: Wenn Zalando derzeit 20 Prozent des Markts hat, dann kämpfen 50 traditionelle Modeketten um die restlichen 80 Prozent. In fünf Jahren werden es noch zehn Modehäuser sein. Ich will zu diesen zehn gehören.
Was haben Sie mit den fünf Pilotläden über die Schweizer Kunden gelernt?
Wir können beispielsweise im März in Zürich nicht dasselbe anbieten wie in Rom. Und: In der Schweiz mögen die Männer breitere und bequemere Hosen als in Italien. Dort verkaufen wir zu 70 Prozent eng geschnittene Hosen und 30 Prozent normale. In der Schweiz ist es umgekehrt.
Haben die Italiener einen besseren Modegeschmack?
Nein, aber einen anderen.
Wirklich?
Ehrlich gesagt, ich finde die Italiener haben einen guten Geschmack. Was Pharma, Banking, Uhren und Schokoladen anbelangt, haben Schweizer die Nase vorne. In Sachen Fashion können sie dafür von Italien lernen.
Seit der Übernahme haben Sie 240 Stellen in der Verwaltung und Logistik abgebaut. Werden noch mehr gehen müssen?
Es könnte höchstens noch kleine Anpassungen geben. Ein solcher Abbau wird aber nicht mehr folgen. Im Gegenteil: Wir werden Arbeitsplätze aufbauen. In den Läden brauchen wir mehr Mitarbeiter. Jeder der fünf Pilotläden verkauft zweimal so viele Kleider wie Charles Vögele. Wir brauchen deshalb mehr Personal, das die Kleider aufbereitet, nachfüllt, aufräumt und die Kassen bedient.
Wie viele Jobs schaffen Sie?
Zwischen 150 und 200.
Im Pilotladen in Basel hat BLICK keine Angestellte gesehen, die älter als 40 sind. Bei Charles Vögele gibt es viele ältere Mitarbeiter. Müssen die gehen?
Sie dürfen bleiben. Wir wollen niemanden entlassen, weil er alt ist.
Was wäre mit Charles Vögele passiert, wenn Sie ihn nicht übernommen hätten?
Charles Vögele hätte nicht überleben können und wäre bankrott gegangen.
Sie sind also der Retter?
Das bin nicht nur ich alleine. Es sind auch die Banken, die Investoren.
Was hat Vögele falsch gemacht?
Das möchte ich lieber nicht kommentieren.
Was machen Sie als Unternehmen besser?
Vögele hat beispielsweise unter den hohen Logistikkosten gelitten. Sie lieferten die Kleider direkt an der Stange in die Läden. Wir können viel mehr liefern, weil wir die Kleider abgepackt ausfahren. Die Lieferung kostete bei Vögele 1.60 Franken pro Stück, bei uns nur 60 Rappen.
2000 starteten Sie schon einmal einen Versuch mit Oviesse, der aber misslang.
Das war nicht ich. Und es war nicht OVS. Das ist heute eine total anderes Unternehmen.
Sie spielen Gitarre und Schlagzeug. Wären Sie nicht lieber Rockstar geworden?
Wieso? Möchten Sie wissen, wann das nächste Konzert stattfindet?
Beraldo nimmt sein Smartphone aus dem Sakko und spielt ein Lied ab. Eine Gitarre setzt ein, dann das Keyboard, dann Drums. Sein eigens komponiertes Stück erinnert entfernt an Pink Floyd. Würde er nicht ein Mode-Imperium orchestrieren, er hätte wohl gute Chancen als Musiker gehabt.
Ende Oktober sind die Filialen von Charles Vögele endgültig Geschichte. Violett weicht Weiss. Die OVS-Läden sollen heller, moderner und digitaler sein. So werden etwa im Flagshipstore nahe der Zürcher Bahnhofstrasse und in der Filiale in Bern eine digitale Umkleidekabine stehen, der sogenannte Magic Fitting Room.
Bildschirm statt Spiegel
BLICK hat einen solche Umkleidekabine in Mailand (I) inspiziert. Statt eines Spiegels gibt es einen mannshohen Bildschirm. Auf diesem können sich Kunden auch von hinten betrachten – und sehen, ob die Kleider von allen Seiten passen. Sie können Fotos schiessen und diese auf den sozialen Medien teilen. Zudem gibt es in den beiden Filialen einen sogenannten Interactive Kiosk – eine Station, bei der Kunden beispielsweise ein Etikett scannen können und weitere Informationen über das Kleidungsstück erhalten. Etwa in welcher Filiale es noch welche Grössen gibt. Man kann sich aber auch direkt ein Kleidungsstück in eine Filiale oder nach Hause bestellen.
Fokus auf Familie
Von der Konkurrenz abheben will sich OVS nicht nur digital, sondern auch mit seinen Kollektionen. «Wir sind besonders stark bei Kinderkleidern und fokussieren auf die Familie», sagt OVS-Chef Stefano Beraldo. Preislich ist OVS tiefer als Zara und vergleichbar mit H&M.
Ende Oktober sind die Filialen von Charles Vögele endgültig Geschichte. Violett weicht Weiss. Die OVS-Läden sollen heller, moderner und digitaler sein. So werden etwa im Flagshipstore nahe der Zürcher Bahnhofstrasse und in der Filiale in Bern eine digitale Umkleidekabine stehen, der sogenannte Magic Fitting Room.
Bildschirm statt Spiegel
BLICK hat einen solche Umkleidekabine in Mailand (I) inspiziert. Statt eines Spiegels gibt es einen mannshohen Bildschirm. Auf diesem können sich Kunden auch von hinten betrachten – und sehen, ob die Kleider von allen Seiten passen. Sie können Fotos schiessen und diese auf den sozialen Medien teilen. Zudem gibt es in den beiden Filialen einen sogenannten Interactive Kiosk – eine Station, bei der Kunden beispielsweise ein Etikett scannen können und weitere Informationen über das Kleidungsstück erhalten. Etwa in welcher Filiale es noch welche Grössen gibt. Man kann sich aber auch direkt ein Kleidungsstück in eine Filiale oder nach Hause bestellen.
Fokus auf Familie
Von der Konkurrenz abheben will sich OVS nicht nur digital, sondern auch mit seinen Kollektionen. «Wir sind besonders stark bei Kinderkleidern und fokussieren auf die Familie», sagt OVS-Chef Stefano Beraldo. Preislich ist OVS tiefer als Zara und vergleichbar mit H&M.