Das ändert sich in Ihrer Region
Jedes zehnte Spital muss schliessen

Das Gesundheitswesen in der Schweiz gilt als eines der besten, aber auch der teuersten der Welt. Ein Grund ist die hohe Dichte an Spitälern und Spitalbetten. Doch auf die Spitäler kommen grosse Umwälzungen zu.
Publiziert: 12.01.2020 um 23:11 Uhr
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Aktualisiert: 28.06.2020 um 20:51 Uhr
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Die Zahl der Spitalbetten und Spitäler wird in den kommenden Jahren zurückgehen.
Foto: Keystone
Christian Kolbe

Die Schweiz hat zu viele Spitäler – und vor allem sind diese oft zu gross. Das heisst, sie haben zu viele Betten. Insgesamt stehen in der Schweiz über 23'000 Betten für Patienten bereit. Mehr, als wir brauchen. Experten gehen davon aus, dass in den kommenden Jahren rund ein Zehntel der Spitäler und ein Viertel aller Spitalbetten verschwinden werden.

Ein grosses Sparpotenzial: Spitäler sind mit Abstand der grösste Kostenfaktor im Schweizer Gesundheitswesen. Vor allem in der obligatorischen Grundversicherung, in der die Spitäler über 40 Prozent der Kosten verursachen. Gut zwölf Milliarden Franken jährlich überweisen die Krankenversicherer an die rund 280 Spitäler in der Schweiz – bezahlt vom Prämienzahler.

Politische Entscheide

Gemäss den Experten könnte man bis zu 28 Spitäler in nächsten Jahren dichtmachen. Und damit bis 6000 Betten abbauen. Allerdings ist das Gesundheitswesen keine nüchterne Wissenschaft, sondern eine hochpolitische Sache. Darum wird auch längst nicht jedes Spital, das sich nicht mehr rechnet, geschlossen. Trotzdem geht die Entwicklung in diese Richtung: Sehr weit ist der Kanton St. Gallen, der die Zahl der Spitäler von neun auf vier reduzieren will. Im Kanton Zürich zum Beispiel könnten zwei Spitäler schliessen müssen.

Spital kommt zum Patienten

Conrad Engler (64), Geschäftsführer des Spitalverbands H+, fasst zusammen, was sich in den letzten Jahren verändern hat: «War es früher so, dass die Patienten ins Spital gingen, so kommt heute das Spital zu den Patienten, dorthin wo sie arbeiten und leben.» Heisst konkret: An zentraler Lage, zum Beispiel beim Bahnhof, entstehen immer mehr sogenannte Walk-in-Kliniken für die Erstversorgung der Bevölkerung. Oft auch als Ableger eines Spitals wie in Aarau oder künftig in Laufen BL.

Der Vorteil: Diese Standorte brauchen keine Spitalbetten. Akute Notfälle sind schnell im Spital, der Rest kann ambulant vor Ort behandelt werden. In Zukunft könnte das Spital sogar zu den Patienten nach Hause kommen. Erste Versuche in der Romandie im Bereich der Palliativmedizin sind vielversprechend. Schwerkranke Patienten können die letzten Tage in vertrauter Umgebung verbringen. Der Spitalarzt schaut nur noch vorbei, um die Schmerzmittel richtig einzustellen.

Weitere Wege in Kauf genommen

Noch einen Trend hat der Spitalverband ausgemacht: Für planbare Eingriffe seien Patienten bereit, ein bis zwei Stunden Anreise in Kauf zu nehmen und sich auch ausserkantonal behandeln zu lassen. Das heisst: Ein neues Hüftgelenk oder die Entfernung eines Abszesses – für solche Eingriffe braucht es kein Spital direkt vor der Haustür. «Jedem Tälchen sein Spitälchen – diese Zeiten sind endgültig vorbei», sagt Verbandsmann Engler.

Natürlich gebe es begründete Ausnahmen von dieser Regel, etwa in den weitläufigen Kantonen Graubünden oder Bern. Spitäler seien ja nicht nur ein Kostenfaktor, sondern in einigen Regionen auch wichtiger Arbeitgeber, wie etwa in der Zentralschweiz. Spitalschliessungen fallen Gesundheitsdirektoren denn auch schwer. Nicht zuletzt, weil einen das schon mal die Wiederwahl kosten kann.

Spitalplanung zahlt sich aus

Deshalb fordert der Krankenkassenverband Santésuisse mehr Mitsprache bei den Spitallisten. Jenen Listen, die Spitäler zur Abrechnung über die Grundversicherung berechtigen. «Es braucht unbedingt eine interkantonale Spitalplanung», erklärt Verena Nold (57), Direktorin von Santésuisse. «Und ein Beschwerderecht der Krankenkassen gegen die Aufnahme von Spitälern auf die Spitalliste.»

Es könne nicht sein, dass die Kassen – und damit die Prämienzahler – nur zahlen, aber nicht mitreden dürften, sagt Nold. Und nennt ein Beispiel für eine erfolgreiche Spitalplanung: «In Zürich sind die Prämien dank des Umbaus der Spitallandschaft tiefer als in vergleichbaren Kantonen.» Mehr ambulante Behandlungen und mehr Gesundheits- und Versorgungszentren statt vollwertiger Spitäler: Den Weg werden andere Kantone also noch beschreiten müssen.

Und diesen Spitälern geht es in Zukunft an den Kragen:

Grossregion Zürich

Im Kanton Zürich steht für 2023 die Erneuerung der Spitalliste an. Nur Einrichtungen, die auf dieser Liste stehen, können auch über die obligatorische Grundversicherung abrechnen. Für einige Spitäler könnte es eng werden. Selbst die beiden Zürcher Stadtspitäler Triemli und Waid arbeiten noch zu kostenintensiv. Wohl chancenlos ist das Spital Affoltern am Albis, das bereits hätte geschlossen werden sollen. Dagegen hat sich die Stimmbevölkerung zwar erfolgreich gewehrt. Doch mehr als ein Ambulatorium liegt wohl nicht drin, zu gross ist die Spitaldichte in der Region. Experten gehen davon aus, dass im Raum Zürich noch zwei weitere Spitäler schliessen müssen.

Schaffhausen

Der Kanton Schaffhausen leistet sich einen Neubau des Kantonsspitals. Ungewiss ist die Zukunft der Klinik Belair. Die Hirslanden-Gruppe wollte die Klinik schliessen. Nun hat sie das Swiss Medical Network gekauft.

Ostschweiz

In der Ostschweiz steht der radikalste Umbau in der Schweizer Spitallandschaft bevor: Der Kanton St. Gallen reduziert die Zahl seiner Akutspitäler von heute neun auf vier. Das stationäre Angebot konzentriert sich künftig auf die Standorte Grabs, Uznach, Wil und St. Gallen. Die Spitäler Altstätten, Wattwil, Flawil, Rorschach und Walenstadt werden zu regionalen Gesundheitszentren umgebaut. Das hat Folgen für die ganze Region: Der an der Landsgemeinde bereits beschlossene Neubau des Spitals Appenzell ist wieder infrage gestellt. In Appenzell Ausserrhoden dürfte das Spital Herisau gesichert sein, der Standort Heiden ist gefährdet. Dieses Spital ist zu klein und zu teuer. Doch der neue Gesundheitsdirektor will erst mal abwarten.

Keine Veränderungen stehen derzeit im Thurgau an. Hier wird im Februar das neue Spital Frauenfeld eröffnet. Erfreulich: Der Neubau kostet weniger als ursprünglich geplant.

Südostschweiz

Der Kanton Graubünden ist ein Spezialfall. Eigentlich würde das Kantonsspital Chur völlig für die Grundversorgung der Bevölkerung ausreichen. Doch wegen der geografischen Gegebenheiten im Gebirge braucht es integrierte Versorgungszentren in einzelnen Tälern, um die Erreichbarkeit der Kliniken innert nützlicher Frist zu gewährleisten. Als gelungenes Beispiel für diese Art von Kleinspital gilt das Spital Prättigau in Schiers. Im Val Müstair liegt das kleinste Spital der Schweiz mit gerade mal zehn Betten.

Tessin

Die Tessiner Spitäler werden nicht darum herumkommen, gewisse Leistungen an einzelnen Standorten zu konzentrieren. Im Bereich Kindermedizin ist dies bereits geschehen.

Innerschweiz

Dreh- und Angelpunkt der Spitalplanung in der Innerschweiz ist das Kantonsspital Luzern. Dieses soll zu einer AG umgewandelt werden und eine Mehrheitsbeteiligung am Kantonsspital Nidwalden erwerben. In Obwalden wird noch darüber nachgedacht, ob sich der Halbkanton der Innerschweizer Versorgungsregion anschliessen soll. Klar ist, dass diese Entwicklung zu einer Konzentration gewisser Leistungen an einzelnen Standorten führen wird. Schon jetzt werden die meisten Geburten in der Region in Luzern durchgeführt. Das Kantonsspital Luzern ist mit mehr als 7000 Angestellten der grösste Arbeitgeber in der Zentralschweiz. Während sich in Glarus das Kantonsspital eine finanzielle Fitnesskur verpassen musste, wird in Uri kräftig um- und neu gebaut.

Zug und Schwyz

In Zug hat sich in den letzten zehn Jahren das Zentralspital in Baar bewährt. In Schwyz dagegen dürfte es mit den drei Spitälern in Schwyz, Einsiedeln und Lachen eine Klinik zu viel haben. Der Druck zur Verkleinerung des Spitalangebots dürfte steigen. Die meisten Innerschweizer Kantone arbeiten eng mit ausserkantonalen Anbietern zusammen.

Nordwestschweiz

Die grosse Spitalfusion hatte in Basel an der Urne keine Chance. Also müssen jetzt kleinere Kooperationsschritte in Angriff genommen werden. Immerhin schaffen die beiden Basel nun eine Versorgungsregion mit einer gemeinsamen Spitalpolitik. Das wirkt sich im Moment vor allem in Baselland aus. Der Standort Bruderholz des Kantonsspitals reduziert Betten und Angebot in grossen Stil, arbeitet im Bereich Orthopädie mit der Hirslanden-Gruppe zusammen. In Laufen entsteht ein Ambulatorium beim Bahnhof – ohne die stationären Betten aber nahe beim Patienten. In Basel-Stadt sind die Konzepte noch nicht so weit gereift. Aber ohne Konzentration des Leistungsangebots an einzelnen Standorten und vermehrte Zusammenarbeit unter den Spitälern wird es nicht gehen.

Aargau und Jura

Im Aargau sind die beiden Kantonsspitäler in Aarau und Baden unbestritten. In diese wird auch kräftig investiert. Die kleineren Spitäler im Kanton dagegen sollen zu regionalen Gesundheitszentren mit Notfallstation umgebaut werden. Das ist der Plan der Regierung.

Im Kanton Jura dagegen sind die beiden Standorte in Delsberg und Pruntrut derzeit unbestritten.

Bern und Mittelland

Den radikalen Abbau von Standorten kann sich der Kanton nicht leisten, dafür ist er flächenmässig zu gross. Also versucht die Gesundheitsdirektion über die Vergabe von Operationen und Leistungen die Spitallandschaft zu steuern. Dieser Prozess ist gerade im Gange. Die verschiedenen regionalen Spitalverbunde müssen ihre Zusammenarbeit verstärken, wenn sie langfristig überleben wollen. Das grösste Potenzial für die Schliessung einzelner Spitäler gibt es in der Stadt Bern.

Solothurn

Solothurn hat sich gerade einen 340 Millionen teuren Neubau des Bürgerspitals geleistet. Nach Abbau sieht es in diesem Kanton derzeit nicht aus. Daneben entsteht eine ganze Reihe von lokalen Gesundheitszentren.

Romandie

Anders als in der Deutschschweiz verläuft die Diskussion in der Romandie. Spitäler gehören zum Service public und dürfen auch etwas kosten. Dafür erhalten sie eine viel grössere Abgeltung für gemeinwirtschaftliche Leistungen, also etwa für Forschung oder auch einen gepflegten Spitalpark. Die Spitäler stehen deshalb nicht unter so einem hohen Kostendruck. Veränderungen der Spitallandschaft sind im Moment eher unwahrscheinlich.

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