CEO Marianne Wildi, die gute Bankerin
«Ich mache keine Börsengeschäfte, ich spare lieber»

Die Schweiz redet über das Gockelgehabe in der Bankenbranche. Marianne Wildi (54) ist anders. Die Chefin der Hypothekarbank Lenzburg und Verwaltungsrätin der Bankiervereinigung über die Affäre Vincenz, Marschmusik und was man im Musikverein über ihren Lohn denkt.
Publiziert: 07.10.2019 um 16:20 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2019 um 16:26 Uhr
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Marianne Wildi (54) ist seit 2010 CEO der Hypothekarbank Lenzburg. Sie ist die einzige Frau in der Konzernleitung.
Foto: Blick / Daniel Kellenberger
Rebecca Wyss

SonntagsBlick Magazin: Wie wichtig ist Geld für Sie?
Marianne Wildi: Ich will so viel davon haben, dass ich mich nicht hintersinnen muss, wenn ich einkaufen gehe. Aber ich definiere mich nicht darüber. 

Aber es beruhigt. 
Ja. Mein Vater hatte eine Schreinerei. Es kam nicht jeden Monat gleich viel herein. Wir mussten zu Hause aufs Geld schauen, deshalb bin ich heute vorsichtig. 

Ist das nicht eher untypisch für eine Bankerin?
Ja, ich bin kein typischer Banker. Ich mache keine Börsengeschäfte, ich spare lieber. Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ether habe ich auch mal gekauft. Aber für nicht mehr als 30 Franken. Vielleicht hätte ich Millionen gemacht, wenn ich mehr gewagt hätte. Aber das bin halt nicht ich. 

Sie verdienten letztes Jahr rund 413'000 Franken. Andere Banken-CEOs kassieren ein Mehrfaches davon. Ärgert Sie das?
Es wäre vermessen, mich zu beklagen. Wenn ich mein Einkommen mit jenem meiner Kunden vergleiche, verdiene ich sehr viel. Mein Bruder zum Beispiel muss mit weit weniger eine ganze Familie durchbringen. 

Die Hypothekarbank Lenzburg ist börsennotiert, muss die Löhne der Geschäftsleitung offenlegen. Wie finden Sie es, dass jetzt alle wissen, wie viel Sie verdienen?
Es war mir zu Beginn peinlich. Besonders nach dem ersten Geschäftsbericht, in dem mein Gehalt stand. In den Tagen nach der Publikation bezahlte mir ein Kollege aus dem Musikverein einen Kaffee. Mit den Worten: ‹Ich kann mir das leisten.›

Er wollte demonstrieren, dass Sie nichts Besseres sind.
Das tat auch gut. Damit war das Thema gegessen. 

Sie leisten sich trotz aller Bescheidenheit einen Mercedes CLS 500. Weshalb gerade dieses Auto?
Ich hatte einen Audi, bis mir der Garagist einmal schrieb: ‹Es wird Zeit, dass Sie wieder unter einem guten Stern fahren.› Seinen Satz fand ich so cool, dass ich ihn besuchen wollte. Ich sagte ihm aber vorher am Telefon, dass er sich abschminken kann, dass ich mir ein neues Auto kaufen würde. Dann ging er mit mir sein halbes Lager durch, und ich konnte nur noch sagen, ich wolle einen Kleinwagen. Nun wurde es ein schönes Coupé.

Als Sie vor 35 Jahren anfingen, hatten Banker noch keinen so schlechten Ruf. Bekommen Sie das heute zu spüren?
Das Image ist vom Typ Bank abhängig. Eine Studie hat gezeigt, dass der Begriff Regionalbank nicht negativ besetzt ist. Am Ende prägen die Mitarbeitenden an der Front, mit denen die Bevölkerung im Alltag zu tun hat, das Image einer Bank. Da hat man als lokal verwurzelte Bank einen Vorteil. Nicht einmal der Fall Vincenz hat den einzelnen Raiffeisenfilialen imagemässig geschadet.

Sie kennen Pierin Vincenz persönlich. Er steht im Verdacht, sich unrechtmässig bereichert zu haben. Was dachten Sie, als die Vorwürfe publik wurden?
Ein Mensch kann sich offenbar im Laufe der Zeit verändern. Ich mochte ihn und kenne diese Seite von ihm nicht.

Das könnte auch Ihnen passieren!
Ich versuche, Person und Funktion nicht zu vermischen. Als ich frisch CEO geworden war, lud mich jemand, den ich nicht so gut kenne, zu seiner Geburtstagsfeier ein. Ich verstand zuerst nicht, weshalb. Dann begriff ich, dass die Einladung gar nicht mir Marianne Wildi als Person, sondern mir als Funktionsträger galt.

Das auseinander zu halten, dürfte schwierig sein, wenn man wie Sie so viele Funktionen auf sich vereint. Sie gelten als mächtigste Frau im Aargau.
Das Wort Macht hat mit Missbrauch zu tun. Ich gebe mir die grösste Mühe, mein Netzwerk korrekt zu nutzen. Ich spüre keine Macht, sondern viel Verantwortung. Und ich erarbeite mir lieber etwas. Nur so fühlt es sich verdient an.

Da hört man Ihnen die Tochter eines hart arbeitenden Unternehmers an.
Deswegen weiss ich überhaupt, für was man eine Bank braucht. Meine Mutter erinnert sich noch gut an das Gespräch mit ihrem ersten Kundenberater, meine Eltern brauchten ja einen Kredit für das Geschäft. Wenn ich es mir jetzt so überlege, drehte sich eigentlich schon vieles in meinem Privatleben um diese Bank, bevor ich hier anfing.

Wollten Sie immer schon Bankerin werden?
Gar nicht. Ich wollte Kriminalist werden, weil ich so gerne Kriminalromane las. Deshalb machte ich in jungen Jahren Judo und übte mit der Luftpistole schiessen. Für die Polizeischule musste ich aber zuerst einen Beruf erlernen. Nach dem KV mit 19 Jahren rief ich auf gut Glück die damalige Personalchefin der Hypi an. Sie war die Schwester meiner Primarlehrerin. Wochen später holte sie mich hierher, weil keiner ihrer Lehrlinge in die Informatik wollte. 

Warum wechselten Sie schliesslich doch nicht zur Polizei?
Mir gefiel das logische Denken, das ich für meinen Programmierer-Job brauchte. Das ist bis heute so: Am liebsten ordne ich Dinge und löse komplexe Probleme. 

Waren Sie gut in Mathe?
In der Schule war ich nicht begeistert von Mathematik. Ich war sowieso eher eine Minimalistin, schaute, dass die Noten gerade reichten, damit ich durchkomme. Mehr wollte ich gar nicht. Ich hatte ja Wichtigeres vor, musste zur Musikvereinsprobe und ins Judo. 

Trotzdem brachten Sie es zur CEO. Wie haben Sie das geschafft? 
Ich hatte wichtige Begleiter auf meinem Weg. Mein erster Chef war ein visionärer Kopf, von ihm konnte ich viel lernen. Als ich CEO wurde, konnte ich mit dem Verwaltungsratspräsidenten Unsicherheiten diskutieren. Ich war nie alleine. 

Bodenständig

Marianne Wildi (54) und die Hypothekarbank Lenzburg sind untrennbar miteinander verbunden. Seit 35 Jahren ist sie der Bank treu. Dort bekam sie ihren ersten Job – als Programmiererin. Heute ist sie nicht nur CEO, sondern auch Präsidentin der Aargauischen Industrie- und Handelskammer und die einzige Frau im Verwaltungsrat der Schweizerischen Bankiervereinigung. Die «Bilanz» zählt sie deshalb zu den 100 Top-Bankern der Schweiz. Trotz allem ist Wildi auf dem Boden geblieben. Seit ihrer Jugend spielt sie Posaune bei der Musikgesellschaft Hunzenschwil-Schafisheim. In Schafisheim AG ist sie aufgewachsen.

Marianne Wildi (54) und die Hypothekarbank Lenzburg sind untrennbar miteinander verbunden. Seit 35 Jahren ist sie der Bank treu. Dort bekam sie ihren ersten Job – als Programmiererin. Heute ist sie nicht nur CEO, sondern auch Präsidentin der Aargauischen Industrie- und Handelskammer und die einzige Frau im Verwaltungsrat der Schweizerischen Bankiervereinigung. Die «Bilanz» zählt sie deshalb zu den 100 Top-Bankern der Schweiz. Trotz allem ist Wildi auf dem Boden geblieben. Seit ihrer Jugend spielt sie Posaune bei der Musikgesellschaft Hunzenschwil-Schafisheim. In Schafisheim AG ist sie aufgewachsen.

Warum ist das wichtig für Sie?
Ich möchte Vertraute um mich herum haben, mit denen ich auch mal ein Problem besprechen kann. So kann ich gut mit viel Verantwortung umgehen. Ich will nicht alleine an der Spitze thronen, und alle machen einen Hofknicks nur für lustig.

Mussten Sie für Ihre Karriere auf Dinge verzichten?
Ich habe nie geplant, zu heiraten und fünf Kinder zu haben. Wenn dem so wäre, hätte ich schon auf etwas verzichten müssen. Ich hatte andere Prioritäten. Ich arbeite gerne.

Wie finden Sie es eigentlich, dass oft hervorgehoben wird, dass Sie als Frau eine Bank führen?
Das ist mir egal. Mir ist bloss wichtig, dass ich keine Quotenfrau bin.

Was ist schlimm daran?
Ich müsste mich dauernd dafür entschuldigen, dass ich den Posten nur bekommen habe, weil ich eine Frau bin. Ich wurde nicht CEO, weil ich so lange schon im Betrieb war. Oder weil ich begünstigt wurde. Ich habe mich ständig weitergebildet und mir alles erarbeitet. Deshalb bin ich auch gegen Frauenquoten.

In der Konzernleitung sind Sie umzingelt von Männern. Färbt das ab?
Ich beobachte bestimmte Verhaltensmuster an mir, was ich lustig finde. Wenn ich beispielsweise mit einer Gruppe von Leuten unterwegs bin, laufe ich automatisch voraus. Oder ich warte auch, bis mir jemand die Türe aufhält. Weil ich der Chef bin. Ich bin aber nicht immer dominant.

Wann nicht?
In Sitzungen schweige ich manchmal und höre nur zu. 

Glaubt man Ihren Mitarbeitern, reden Sie dann jeweils per SMS.
Das ist etwas anderes! Ich kommuniziere halt gerne. Deshalb gehe ich ohne Telefon auch nirgends hin. Obwohl: Es traut mir's ja niemand zu, aber gestern war ich zwei Stunden lang ohne Handy im Haus unterwegs und habs nicht einmal vermisst.

Ist ein Gerangel wie im Fall der beiden Banker-Gockel Iqbal Khan und Tidjane Thiam auch bei Frauen-CEOs denkbar?
Meinungsdifferenzen auf dieser hohen Kaderstufe sollten unabhängig von Frau und Mann rechtzeitig und mit Anstand ausdiskutiert werden. Man sieht sich bekanntlicherweise immer mindestens zweimal im Leben.

Was raten Sie jungen Frauen, die Karriere machen wollen?
Egal ob Frau oder Mann – es ist wichtig, dass man engagiert arbeitet, sich immer weiterbildet und den Mut hat, sich zu verändern, wenns nicht passt. Gut ist, wenn man nicht auf zu grossem Fuss lebt. Dann hat man auch die Freiheit, einen Job zu kündigen. 

Neben Ihrem zeitintensiven Job spielen Sie Posaune in einem Musikverein und treten am Feierabend auch mal in einem Altersheim auf. Was gibt Ihnen die Musik?
Das Musikmachen ist ein kompletter Gegensatz zu meinem Berufsalltag. Wenn ich spiele, kann ich an nichts anderes mehr denken. Und mein Umfeld dort ist so anders als jenes auf der Bank. Die Musikleute kenne ich, seit ich 14 bin. Das hält einen auch auf dem Boden.

Welche Musik hören Sie gerade?
Eine kanadische Band, die Country mit französischem Chanson mischt. Ich mag alles, was melodisch klingt. Sogar Marschmusik. Viele können ja nichts damit anfangen. 

Vielleicht weil ihr etwas militärisch-angestaubtes anhaftet. Was gefällt Ihnen an dieser Musik?
Dass die Leute mitklatschen. Ich war mal mit zwei anderen Gästen zu einem Podiumsgespräch eingeladen. Bei jedem von uns spielte man ein Lied, das wir vorab ausgesucht hatten. Zuerst kam also ein extravagantes Chanson, dann ein rassiger Tango, und zum Schluss kam ich mit dem Polizist-Wäckerli-Marsch. Auf einen Schlag war das Publikum hellwach und klatschte mit. Das ist doch cool!

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