Mittwoch, 10.15 Uhr, SBB-Hauptsitz in Bern-Wankdorf: Andreas Meyer (58) erklärt überraschend seinen Rücktritt – nach fast 13 Jahren an der Spitze der SBB.
Im Publikum sitzt auch Kathrin Amacker (57), Kommunikationschefin der SBB. Keine 30 Stunden später steht die Baslerin selbst im Mittelpunkt. Im Zürcher Luxushotel Dolder Grand ist Amacker Hauptrednerin am sogenannten Corporate Reputation Summit. Dort gibt sie – Funktionärin eines subventionierten Bundesbetriebs – knapp 100 PR-Fachleuten aus der Privatwirtschaft Nachhilfe in Sachen Image-Politur.
«Reputation gehört auch bei den SBB zu den wichtigsten Anliegen des Unternehmens», stellt Amacker klar. Denn ein guter Ruf könne in der heutigen Zeit, in der sich Nachrichten in sozialen Medien in Windeseile verbreiteten, rasch und dauerhaft geschädigt werden.
Grösste Krise seit Jahren
Amacker weiss, wovon sie redet – genauer, als ihr lieb sein kann. Die SBB stecken in der grössten Krise seit Jahren: Überlastete Infrastruktur.
Fehlendes Rollmaterial. Lokführermangel. Überfüllte Züge. Verspätungen. Unzufriedenes Personal. Und vor einem Monat der tödliche Unfall eines Zugbegleiters, der die Frage aufwirft, ob in den vergangenen Jahren auf Kosten der Sicherheit gespart wurde.
Für Giorgio Tuti, Präsident der Gewerkschaft des Verkehrspersonals, steht fest: «Aufgrund der unzähligen Sparprogramme hat die Qualität der Angebote in den letzten Jahren abgenommen.» Die SBB – einst schweizerisches Identitätssymbol par excellence – könne ihr angeschlagenes Image jetzt nur mit einem guten Kerngeschäft wiederherstellen.
125 Vollzeitstellen in der PR-Abteilung
Die Konzernspitze sieht offensichtlich noch einen anderen Weg: eine gut geölte PR-Maschinerie.
Gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erhielt SonntagsBlick Einblick in einen vertraulichen Bericht des Bundesamts für Verkehr (BAV). Das Papier zeigt: Die Staatsbahn gibt 100 Millionen Franken für Marketing und Kommunikation aus. Pro Jahr! Ihre PR-Abteilung – CEO Meyer hat den Bereich sichtbar gestärkt – besteht aus 125 Vollzeitstellen. 2013 holte er Kommunikations-Chefin Amacker gar in die Konzernleitung.
Was macht das SBB-Marketing mit 100 Millionen Franken? Aufwendige Werbespots etwa. Auf dem hauseigenen Youtube-Channel wurden in den vergangenen sechs Jahren mehr als 600 Videos hochgeladen. Nicht nur für die Imagepflege, sondern auch zur Rekrutierung von Personal.
Die Marktforschungsabteilung wiederum stattet Pendler mit Pulsmessern aus, um herauszufinden, was sie beim Zugfahren als angenehm oder stressig empfinden.
BAV stellt das Ausmass der PR-Aktivitäten infrage
Seit einigen Monaten verfügen die SBB zudem über einen «Newsroom», also so etwas wie eine eigene Redaktion. Katja Walder, ehemalige Kolumnistin bei «Blick am Abend», wird für ihre Pendler-Kolumne mittlerweile von den Bundesbahnen bezahlt. Und im SBB-Blog finden sich nicht nur Berichte über Bahnthemen wie die Taufe des Gotthard-Zuges Giruno, sondern auch Beiträge wie «das kleine Einmaleins des Wanderns» oder ein Interview mit dem Präsidenten der Street Parade.
Das Bundesamt für Verkehr stellt das Ausmass dieser PR-Aktivitäten nun infrage. Im Nachgang zum Postauto-Subventionsskandal hat die Aufsichtsbehörde analysiert, ob die SBB in den subventionierten Bereichen Aufwendungen verrechnen, «die tatsächlich entstanden und für die zweckmässige Erfüllung der Aufgabe unbedingt erforderlich sind».
Im 24-seitigen Revisionsbericht kommt der Bund zwar zum Schluss, dass es bei den SBB keine Verstösse gegen das Subventionsrecht gegeben habe. Allerdings liessen die PR-Kosten grossen Interpretationsspielraum offen.
«Grossteil der Marketingkosten generiert Personenverkehr»
Das Bundesamt wirft unter anderem die Frage auf, ob diese Ausgaben notwendig seien und mit dem Gebot einer effizienten Verwendung der Bundessubventionen in Einklang stünden.
Obwohl die Kritik von ihrem Eigner stammt, reagieren die SBB empfindlich: «Die aufgeführten und ausgewählten Kostenarten bilden das Geschäftsmodell Kommunikation nicht ab und lassen durch die tendenziösen Formulierungen vermuten, dass die Kommunikation überdimensioniert sei», heisst es in der offiziellen Stellungnahme. Die SBB übernähmen Aufgaben für das Gesamtsystem Bahn, für welche sie teilweise nicht entschädigt würden und die andere Bahnen nicht hätten.
Auf Anfrage von SonntagsBlick präzisiert Sprecher Martin Meier: «Den Grossteil der Marketingkosten generiert der Personenverkehr. Und dort werden über die Hälfte der Marketingaktivitäten im Mandat für die ganze Branche umgesetzt.» Dies betreffe unter anderem die Vermarktung von GA, Halbtax, Jugendsortiment sowie die nationale Freizeitvermarktung. «Wir sind der Meinung, dass diesem Umstand im Strukturbericht nicht gebührend Rechnung getragen wird.»
Zurück zur Medienkonferenz am Mittwoch: Dort blieb der Rücktritt von CEO Andreas Meyer nicht die einzige Überraschung. Auch eine Zahl im Halbjahresbericht erstaunt: Die SBB erreichten im krisengeplagten ersten Halbjahr 2019 eine Kundenzufriedenheit von 75,5 Punkten – der beste Wert, seit 2014 ein neuer Zufriedenheitsindex eingeführt wurde.
Eine Folge der Marketingaktivitäten? Die SBB verneinen. «Positiv wirkten sich die Beurteilung von Fahrplan und Reisezeit sowie Sicherheit aus. Bei Letzterer erreichten wir einen Höchstwert», so Sprecher Meier. Im Zusammenhang mit dem tragischen Türen-Unglück in Baden habe dieser Wert im August jedoch abgenommen.