SonntagsBLICK: Sie lernten Maschinenzeichner, gingen erst danach studieren – heute sind Sie sicher froh, dass Sie beim Bund arbeiten. Hier ist ihr Job sicher!
Boris Zürcher: Als ich Anfang der 80er-Jahre Maschinenzeichner lernte, war das ein Handwerk: Saubere, tiefschwarze Striche ziehen, damit die Zeichnungen gut reproduziert werden konnten. Als ich wenige Jahre später in den Lehr-betrieb zurückkam, gab es meinen Beruf nicht mehr. Das technische Büro war ausgeräumt, fast alle Zeichnungsbretter waren weg. Man zeichnete auf dem Computer.
Sie haben also selber erlebt, wie ein traditioneller Beruf verschwindet?
Ja. Und darum weiss ich: Der Strukturwandel muss nicht negativ sein. Die beruflichen Anforderungern haben sich verändert, aber der Wohlstand hat zugenommen.
Was raten Sie jenen, deren Jobs es plötzlich nicht mehr gibt?
Das Schlagwort lautet: «Lebenslanges Lernen!» Das ist wie jeden Morgen Zähne putzen. Man sollte regelmässig etwas für die eigene Arbeitsmarktfähigkeit tun. So, dass man im eigenen Beruf und allgemein in der Arbeitswelt bestehen kann.
Der Frankenschock letztes Jahr stellte alles auf den Kopf. Experten sagen, er drücke erst jetzt auf den Arbeitsmarkt durch.
Der Frankenschock hat sich mit -einem leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit bemerkbar gemacht. Dass die Arbeitslosigkeit jetzt ansteigt, hat aber andere Gründe.
Zum Beispiel?
Die Konjunktur läuft weltweit – und vor allem in Europa – sehr schleppend. Das Wachstum ist tief, die Nachfrage in den Hauptabsatzmärkten stagniert.
Gehen in der Industrie Jobs verloren?
In absoluten Zahlen nicht unbedingt, aber anteilsmässig schon. Das ist seit Mitte der 60er-Jahre so.
Die Linken fordern eine Industriepolitik. Warum geht der Bund nicht darauf ein?
Schauen Sie ins Ausland. Dort, wo eine staatliche Industriepolitik betrieben wird, sind die Erfolge -bescheiden. Dafür sind die Kosten hoch. Die Schweiz ist wirtschaftlich so erfolgreich, weil wir den Strukturwandel immer wieder zugelassen haben.
Boris Zürcher (52) lernte Maschinenzeichner bei der Ammann Group in Langenthal BE – der Firma, die später vom aktuellen Bundespräsidenten Johann Schneider-Ammann (64) übernommen wurde. Schneider-Ammann ist heute Zürchers Chef, damals kannten sie sich nicht. Boris Zürcher studierte Volkswirtschaft und Soziologie. Seit zweieinhalb Jahren leitet er die Direktion für Arbeit beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) in Bern.
Boris Zürcher (52) lernte Maschinenzeichner bei der Ammann Group in Langenthal BE – der Firma, die später vom aktuellen Bundespräsidenten Johann Schneider-Ammann (64) übernommen wurde. Schneider-Ammann ist heute Zürchers Chef, damals kannten sie sich nicht. Boris Zürcher studierte Volkswirtschaft und Soziologie. Seit zweieinhalb Jahren leitet er die Direktion für Arbeit beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) in Bern.
Dann gefällt sich der Bund im Nichtstun?
Der Staat hat immer wieder vorübergehend interveniert. Denken Sie an die Swissair, die Bankenrettung oder die Einführung des Mindestkurses durch die Nationalbank. Und letztes Jahr haben wir Kurzarbeitsentschädigungen auch bei Währungsverwerfungen zugelassen. Es wird also interveniert, um negative Auswirkungen des Strukturwandels oder kurzfristige wirtschaftliche Verwerfungen abzufedern. Und mit der Arbeitslosenversicherung haben wir ein starkes Instrument, um wirtschaftliche Schocks aufzufangen. Insgesamt nimmt die Beschäftigung ja zu! 2015 hatten wir zwar zusätzliche 12 000 Arbeitslose, gleichzeitig jedoch ein Beschäftigungswachstum von fast 50 000 Personen!
Aber diese Leute kommen aus dem Ausland.
Nicht nur. In den letzten fünf Jahren haben wir das einheimische Potenzial viel besser ausgeschöpft. Bei den Frauen und älteren Arbeitnehmern konnten über 100 000 Personen zusätzlich für den Arbeitsmarkt aktiviert werden.
Zuwanderungs-Kritiker sagen: Die Ausländer wandern in die Arbeitslosenkasse und damit in unsere Sozialwerke ein.
Es gibt keine Zuwanderung in die Arbeitslosenversicherung. Da schauen wir ganz genau hin. Wenn wir Missbräuche feststellen, ahnden wir diese.
Verdrängen billigere Ausländer die Schweizer aus den Jobs?
Nein. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Studien gemacht. Die belegen, dass es durch die Zuwanderung nicht zu einer Verdrängung auf dem Arbeitsmarkt kommt.
Trotzdem ist die Arbeitslosigkeit so hoch wie seit sechs Jahren nicht mehr.
Das hat aber nichts mit der Zuwanderung zu tun. Unsere Volkswirtschaft musste in den letzten Jahren in hoher Kadenz Schocks bewältigen: 2008 mit der Finanzkrise, dann die Euro-Krise bis hin zum Frankenschock. Jedes Mal stieg die Arbeitslosigkeit ein bisschen. Der Arbeitsmarkt konnte sich nie mehr über längere Zeit erholen, wie von Anfang bis Mitte der 2000er-Jahre.
Wann schreibt die Arbeitslosenversicherung (ALV) wieder schwarze Zahlen?
2010 erreichte die Schuld mit 7,2 Milliarden Franken einen Höchststand. Ende 2015 betrug die Verschuldung noch 2,6 Milliarden. Die ALV konnte sich in beachtlichem Tempo entschulden! Aber natürlich muss uns die Konjunktur Rückenwind geben. Dieses Jahr können wir voraussichtlich keine Schulden zurück zahlen.
Neu sind Büro-Jobs vom Strukturwandel betroffen. Ganze Abteilungen werden ausgelagert!
Das ist nichts Neues. Früher hatte jeder Chef eine Sekretärin. Heute setzt man schnell selber einen Brief auf. Die klassischen KV-Angestellten sind heute dafür höher qualifiziert und verdienen mehr.
Woher kommen denn die Jobs, wenn wir nur noch auslagern?
Die Schweiz ist äusserst erfolgreich darin, Wertschöpfungsprozesse zu holen. Und diese hier zu halten. Wir haben weltweit die höchste Dichte an internationalen Unternehmen. Und dann eröffnen sich durch neue Technologien immer wieder neue Geschäftsfelder.
Eine Altersgruppe kommt mit dieser Dynamik nicht zurecht: Die Ü50-Generation.
Die Arbeitslosigkeit ist vor allem bei den Jungen hoch. Bei der Ü50-Altersgruppe ist sie dagegen unterdurchschnittlich. Es gibt kein Auseinanderdriften der Generationen. Bei den 55- bis 64-Jährigen hat die Arbeitsmarktbeteiligung gar überdurchschnittlich zugenommen.
Bei den Ü50ern ist doch das -Problem, dass sie keinen Job mehr finden, wenn sie ihn mal verloren haben.
Das stimmt. Zwar ist das Risiko sehr tief, dass sie arbeitslos werden. Aber wenn sie es mal sind, haben sie mehr Mühe, zurück in den Arbeitsmarkt zu finden. Aber dem tragen wir Rechnung! Die Bezugsdauer bei der ALV ist deutlich länger. Und sie können länger an Arbeitsmarktmassnahmen teilnehmen.
Laut Studien wird bald jeder zweite Job von Robotern übernommen. Ökonomen sagen dann immer: Dafür entstehen neue Stellen. Was macht Sie so sicher?
An den Regelmässigkeiten, wie Jobs entstehen, hat sich nichts geändert. Wer hätte vor 15 Jahren gedacht, dass es heute App-Programmierer, Content-Manager oder Web-Publisher braucht?
Jetzt stimmen wir über das Bedingungslose Grundeinkommen ab. Es soll allen, die wegen der Digitalisierung den Job verlieren, ein Einkommen sichern.
Das bedingungslose Grundeinkommen ist vor allem eine bedingungslose Verantwortungslosigkeit! Es ist unschweizerisch. Denn bei uns gibt es den Konsens, dass man ein Einkommen durch eine entsprechende Leistung erzielen soll. Und: Die Digitalisierung wird eher Jobs schaffen als vernichten.
Sie haben zwei Kinder. Welche Ausbildung sollen sie machen, damit sie einen Job finden?
Ich rate ihnen, was meine Eltern mir geraten haben. «Lerne viel und mach das, was du tust, gut.» Es braucht Interesse und Engagement. So mache ich mir keine Sorgen um meine Jungs.