Interviews gibt Luca Cordero di Montezemolo (69) kaum noch, seit er nicht mehr Ferrari-Chef ist. An einem heissen Sommertag bittet er BLICK dennoch hemdsärmlig in den weiten Salon seiner Villa.
Hier in den sonnenverbrannten Hügeln vor Bologna hat der Sohn eines piemontesischen Markgrafen seine Kindheit verbracht und später geheiratet. Hier hatte er vor dem Interview auch eine Telefonkonferenz mit Investoren aus Abu Dhabi.
Diese vertritt er im Verwaltungsrat von Unicredit, Italiens grösster Bank. Bekannt wurde di Montezemolo aber als junger Rennfahrer in einem Fiat 500 – dem Modell, das in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag feiert. Er organisierte 1990 die Fussball-WM in Italien, war später Fiat-, Ferrari-, Maserati-Chef, aber auch Präsident von Italiens grösster Arbeitgeberorganisation. Zuletzt präsidierte er die Fluglinie Alitalia.
«Industrie ist mein Blut»
Seit kurzem ist er Verwaltungsrat der Zürcher Renova Management AG, der Schaltzentrale von Oligarch Viktor Vekselberg (60). Di Montezemolo ist Hansdampf in allen Boxengassen.
BLICK: Herr di Montezemolo, was ist Ihre Verbindung zu Herrn Vekselberg?
Luca di Montezemolo: Ich kenne ihn seit mehr als 15 Jahren. Er ist einer meiner Freunde. Als einer der Ersten investierte er in meinen Beteiligungsfonds Charme. Letztes Jahr fragte er mich, ob ich dem Verwaltungsrat von Renova beitreten wolle. Ich fragte, wer noch dabei sei. Er sagte: Joe Ackermann. Und da habe ich entschieden mitzumachen.
Ackermann kenne er schon seit über zehn Jahren – auch er ein Freund. Für di Montezemolo scheint es nur diese Kategorie zu geben. Geschäftspartner können abspringen, Freunde bleiben. Kalkül oder Folge seines offenen Charakters? Das Netzwerk ist jedenfalls die Grundlage für Erfolg und Popularität des Italieners. Er pflegt es – eine Hand wäscht die andere.
Was bringen Sie mit zu Renova?
Industrie ist mein Blut. Ich gebe in diesem Bereich gerne Ratschläge.
Dann müsste Ihnen die italienische Autoindustrie das Blut in den Adern gefrieren lassen!
Sie macht mich traurig. Lancia ist mehr oder weniger am Ende. Maserati ist eine sehr gute Marke, hat aber niedrige Produktionszahlen. Der Businessplan von Alfa Romeo ist ein grosses Fragezeichen. Fiat Chrysler ist zwar eine starke internationale Gruppe, aber Fiat ist kein italienisches Unternehmen mehr.
Fiat Chrysler sitzt in den USA. Als Fiats Europasitz aus Steuergründen in die Niederlande verlegt wurde, ging auch der Stolz vieler Italiener dahin. Italien ist nur noch Produktionsstandort.
Der gute Monarch
Fiat, das sei «basta», sagt auch der Mann, der di Montezemolo seit 25 Jahren chauffiert. Heute mit einem VW Passat. Das Gefühl, als er mit Mitte 20 Fahrer des Adligen wurde? Lächelnd schaut er nach oben, die Hände gefaltet.
Erzählen Italiener von di Montezemolo, beschreiben sie einen guten Monarchen, der zum Volk schaut. Auch bei Ferrari sei er eher fürsorglicher Fürst denn harter Chef gewesen, hört man. 2014 übergab er dort das Zepter an Sergio Marchionne (65).
Wie beurteilen Sie die Arbeit von Ferrari-Chef Marchionne?
Als ich Ferrari 2014 verliess, gab es scharfe Kritik. Ich weiss, wie sich das anfühlt. Ich möchte Marchionne nicht auf eine öffentliche Bühne stellen. Fest steht aber: Ferrari ist heute anders. Ferrari produziert mehr. Aber es ist notwendig, die Exklusivität und den Wert der klassischen Autos zu erhalten.
Marchionne lebt teilweise im Kanton Schwyz. Wo haben Sie Ihr Haus?
Ich liebe die Schweiz. Aber ich habe nie darüber nachgedacht, mein Land zu verlassen und im Ausland zu leben.
Sind Sie häufig in der Schweiz?
Als ich die Fussball-WM in Italien organisierte, war ich mehrmals in Zürich, um mit der Fifa zu sprechen. Als ich CEO von Cinzano war, habe ich viel in Genf gearbeitet und häufig Zürich besucht. Ich mochte den See mit seinen Parks und den vielen Orten, wo man Velo fahren oder spazieren kann. Die Renova-Sitzungen waren bisher immer in anderen europäischen Städten. Das letzte Mal war ich vor vier Jahren in Zürich, als ich Joe Ackermann getroffen habe.
Mit solchen Treffen pflegt di Montezemolo Freundschaften – und damit eine Art Hofstaat getreuer Gefolgsleute. Michael Schumacher (48) gehört auch dazu. «Ich vermisse Michael», sagt di Montezemolo. Wie es dem verunglückten Formel-1-Fahrer geht, wann er ihn zum letzten Mal gesehen hat, sagt er nicht. Freundschaft, das ist eben Loyalität. Und die trägt er auf seinen Armen: Die Initialen seiner fünf Kinder hat er sich tätowieren lassen.
Fast in die Politik gegangen
Loyalität bedeutet auch, da zu sein: Wenn jemand anruft, nimmt di Montezemolo immer ab und erzählt danach begeistert von der Person. «Man muss immer Menschen um sich scharen, die kompetenter sind als man selbst», sagt er. «Die Zeit der One-Man-Shows ist vorbei.»
Ein Seitenhieb gegen Silvio Berlusconi (80). Der Ex-Premier gilt als das Gegenteil di Montezemolos: selbstverliebt, aufbrausend, skandalverstrickt, moralisch flexibel. Immer wieder – wie kürzlich in einem Interview – brachte der Chef der wiedererstarkten Partei Forza Italia den Adligen als möglichen Minister ins Spiel. Das entlockt diesem nur ein Lächeln.
Warum gingen Sie nie in die Politik, wie so viele forderten?
Vor vier Jahren war ich kurz davor. Meine Frau war dagegen. Wenn wir damals dieselbe Situation wie heute gehabt hätten, wäre meine Entscheidung vielleicht anders ausgefallen. Aber ich kann auch etwas für mein Land tun, ohne professioneller Politiker zu sein.
Das Land serbelt. Seit der Finanzkrise hat sich die Jugendarbeitslosigkeit verdoppelt, in keinem anderen EU-Staat sind die Wachstumsaussichten so düster. Laut di Montezemolo wird Italien abgehängt, weil man es verpasst habe, Auflagen für Firmen abzubauen und steuerliche Anreize zu geben.
Fehler bei Alitalia
Er ist aber optimistisch. Man brauche jetzt Teamgeist: «Wir Italiener sind zu individualistisch. Wir haben so viel Exzellenz, wir müssen nur all das zusammennehmen!»
Als Alitalia-Präsident gelang ihm das nicht. Die Büezer lehnten seine Reformen ab. Die Fluglinie steht zum Verkauf. Es sei ein Fehler gewesen, erst im Frühjahr den Posten geräumt zu haben. «Ich war ein Präsident ohne Exekutivkompetenzen – also ohne Macht.»
Ein kleines Alitalia-Flugzeug steht verloren in einem Regal zwischen roten Ferrari-Erinnerungen. Di Montezemolo verbittet sich ein Foto. Ein ohnmächtiger Fürst? Undenkbar.