Sergio Marchionne (66), Chef und Sanierer von Fiat Chrysler, witzelte noch vor kurzem an einem Presseanlass über seinen Abgang beim Autokonzern: «Mein Nachfolger wird erst 30 Minuten vor der Ankündigung erfahren, dass er den Job bekommt.» Dass es nun fast so war, ist umso tragischer. Am Samstag teilte der italienisch-amerikanische Autobauer mit, dass Marchionne wegen schwerer gesundheitlicher Probleme per sofort zurücktreten muss.
Offizieller Grund: Komplikationen bei einer Operation. Vor drei Wochen wurde er an der rechten Schulter operiert. Seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte er am 26. Juni in Italien. Inzwischen wird er im Unispital Zürich behandelt – sein Zustand ist kritisch. Italienischen Medienberichten zufolge soll er an Lungenkrebs leiden und jetzt im Koma liegen. Marchionne ist als Kettenraucher bekannt. Seine einzige Schwester starb 1980 an Krebs.
Fiat Chrysler fit gemacht
Eiligst wurden am Samstag seine Posten bei Fiat Chrysler neu vergeben. Präsident von Ferrari wird John Elkann (42), Agnelli-Enkel und Fiat-Präsident. Elkann bezeichnet Marchionne in einem Brief an die Mitarbeiter als «wahren Mentor, Partner und engen Freund». Er habe bei Fiat Chrysler das Unmögliche möglich gemacht. Den Topjob im Konzern übernimmt der Brite Mike Manley (54). Geplant war Marchionnes Rücktritt erst für nächstes Jahr, bei Ferrari sollte er noch länger bleiben.
Der aus Chieti (I) in den Abruzzen stammende und als Teenager nach Kanada ausgewanderte Marchionne stieg 2004 bei Fiat ein. Das Unternehmen stand damals kurz vor der Pleite. Seit 2014 war er Mister Fiat Chrysler. Zu diesem Zeitpunkt fusionierten die beiden problembeladenen Unternehmen. Gemeinsam ging es seither aufwärts. Für das vergangene Jahr verkündete Marchionne im Januar einen Gewinnsprung. Der Autokonzern machte fast doppelt so viel Gewinn wie im Jahr zuvor. Ende Juni konnte Marchionne dann darüber jubeln, dass sein Unternehmen endlich schuldenfrei ist.
Zur Feier des Tages trug er eine Krawatte. Eine Ausnahme, denn seit Jahren besteht Marchionnes Uniform aus einem dunklen Pulli und dunklen Hosen. Er soll etwa 30 identische Pullover und Jeans in jedem seiner Häuser haben. Statt mit Mode beschäftigt er sich lieber mit schnellen Autos. Mit einem Ferrari 599 GTB verunfallte er vor rund zehn Jahren auf der A1 zwischen Rothrist AG und Gunzgen SO. Er hatte Glück: Niemand wurde verletzt.
Seinen Ruf als Sanierer verdiente er sich in Genf
Der Topmanager ist unermüdlich. Lieber als nachts schlief er unterwegs im Privatjet oder im Auto. Meetings setzte er gerne aufs Wochenende an. Lief etwas nicht nach Plan, machte er seinem Ärger laut Luft.
Denn auch dem erfolgsverwöhnten Marchionne gelingt nicht alles: Er wollte Fiat und Alfa Romeo in den USA gross machen – doch die Amerikaner verschmähten die europäischen Automarken.
Kritiker bemängeln zudem, dass Marchionne zu wenige neue Automodelle liefere. Und schliesslich erfasst 2017 auch die Dieselaffäre Fiat Chrysler. Das US-Justizdepartement verklagte den Konzern wegen illegaler Software zum Dieselbetrug.
Am Sonntag hat auch der Genfer Warenprüfkonzern SGS Marchionne als VR-Präsident ersetzt. Er war 15 Jahre für das Unternehmen tätig. Als CEO erarbeitete sich der ausgebildete Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer dort den Ruf als Sanierer. Die Familie Agnelli, Hauptaktionärin, zeigte sich beeindruckt und rief den Manager nach Turin (I).
Reicher «Schweizer»
Sein erster Topposten brachte den Italo-Kanadier schon zuvor in die Schweiz. Ab 1997 amtete er als CEO bei Alusuisse. Nach der Fusion mit der kanadischen Alcan wurde er zuerst CEO und später VR-Präsident der abgespaltenen Lonza. Bis 2010 sass er zudem im Verwaltungsrat der UBS.
Marchionne hat seinen offiziellen Wohnsitz in Schindellegi SZ, lebt aber in Blonay VD. Auf der «Bilanz»-Reichenliste steht er mit 550 Millionen Franken auf Platz 181. 2017 erhielt er als Geschäftsführer von Fiat Chrysler 10,9 Millionen Euro plus Aktien. Auch in Michigan (USA) hat er ein Anwesen.
Jetzt aber liegt er im Zürcher Unispital. Bei ihm sollen seine zwei erwachsenen Söhne, Alessio Giacomo und Jonathan Tyler, und seine Lebenspartnerin Manuela Battezzato sein. Auch John Elkann besuchte Marchionne am Spitalbett. Laut der italienischen «Repubblica» sagte er danach: «Sergio wird nie wiederkommen.»