Die Schweiz taut auf, aber nur langsam. Angestellte, die seit dem Lockdown vom 16. März im Homeoffice arbeiteten, kehren etappenweise an ihre Firmen-Arbeitsplätze zurück. Eine SonntagsBlick-Umfrage bei grossen Unternehmen zeigt, dass die Zögerlichkeit einen Grund hat: zu gross ist die Angst vor einer zweiten Welle.
Für SBB-Mitarbeiter schalten die Signale am Montag auf Grün. Auch ein Viertel der Swisscom-Angestellten darf dann wieder ins Büro. Beim Personaldienstleister Adecco kehrt etwa die Hälfte der Angestellten in den nächsten Tagen ins Geschäft zurück, schrittweise. Das hat mit der komplizierten Umsetzung der Schutzmassnahmen zu tun. Gerade in Grossraumbüros ist die Einhaltung des geltenden Mindestabstands eine grosse Herausforderung. In vielen Geschäftsliegenschaften sogar kaum umsetzbar.
Positive Erfahrungen
Zuwarten will man noch bei UBS und Swiss, den Konzernen Roche und ABB. Auch andere Unternehmen wollen die Entwicklung genau beobachten. Google stellt es den Angestellten sogar frei, bis Ende Jahr im Homeoffice zu bleiben. Die Erfahrungen mit Heimarbeit seien überwiegend positiv.
Das Personal habe sich in den eigenen vier Wänden gut eingerichtet, teilen die befragten Unternehmen mit. Nach anfänglichen Schwierigkeiten habe sich die Kommunikation immer besser eingespielt. Ob sich die flexible Arbeitsform dereinst flächendeckend durchsetzen wird, bleibe abzuwarten. Da bleiben die Angaben zumeist vage. Heimarbeit sei auch nach der Krise im Prinzip möglich, so der Tenor. «Der Umfang von Homeoffice-Einsätzen variiert nach Bereich und Abteilung. Daher erfolgen sie jeweils nach individueller Absprache mit den Vorgesetzten», sagt Swiss-Sprecher Michael Stief.
1,4 Millionen im Homeoffice
Dabei ist Heimarbeit gar kein neues Phänomen. Viele Unternehmen, von Coop bis Swisscom, kennen flexible Arbeitsformen. Doch die Krise hat den Trend beschleunigt. Arbeiteten laut Bundesamt für Statistik bereits der Pandemie mehr als 1,1 Millionen Angestellte gelegentlich im Homeoffice, kamen während des Lockdowns nochmals rund 335’000 Personen dazu.
Marc K. Peter (47) rechnet damit, dass sich der Anteil der Mitarbeitenden im Homeoffice langfristig über alle Industrien hinweg verdreifacht. Der Leiter des Kompetenzzentrums Digitale Transformation an der Fachhochschule Nordwestschweiz sagt: «Entsprechend werden wir vermehrt neue Mischformen wie Homeoffice, Mobile Working, Coworking, Desk-Sharing sehen.»
«Geglücktes Experiment»
Tatsächlich scheinen die Schweizer Angestellten solche «Mischformen» zu goutieren. Eine aktuelle Umfrage des Forschungsinstituts Gfs Bern zeigt, dass eine Mehrheit die neue Situation überwiegend positiv bewertet. So waren 80 Prozent der Befragten während des Lockdowns zufrieden mit der Arbeit im Homeoffice. 78 Prozent gaben an, dass sie die Zeit privat sinnvoll nutzen konnten, die sie zuvor für den Arbeitsweg gebraucht hatten. Und 61 Prozent glauben, dass durch die Tätigkeit zu Hause ihr Beruf besser mit dem Privatleben harmoniert habe. Nur jeder Fünfte hingegen findet, dass Familie und Partnerschaft darunter leiden.
Valentin Vogt (59) spricht von einem geglückten Experiment. «Viele Unternehmen haben die positiven Aspekte der Digitalisierung kennengelernt», so der Präsident des Arbeitgeberverbands. Homeoffice habe die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gesteigert. Vogt warnt jedoch davor, die Heimarbeit zu romantisieren: «Es braucht eine klare Strategie und Führung, sonst wird das Homeoffice zur Falle.» Gerade für Familien.
Anders als die Freunde des Homeoffice tritt der Wirtschaftspsychologe Christian Fichter (48) ordentlich auf die Bremse: «Man lässt sich schneller ablenken, Arbeit und Freizeit verschwimmen und die Produktivität kann unter Umständen abnehmen.» Zudem fehle der Austausch mit den Kollegen. «Arbeit braucht Anwesenheit, vor allem Teamwork und Führung«, sagt Fichter. Das werde sich auch in Zukunft nicht ändern. Seine Warnung: «Ohne Selbstdisziplin droht im Homeoffice das Chaos.»
Wer übernimmt die Kosten?
Die Arbeit im Homeoffice wirft zudem die Frage auf, wer die Kosten für die heimische Infrastruktur übernimmt. Für die meisten von SonntagsBlick befragten Unternehmen gilt: Computer und Internetanschluss zahlt der Arbeitgeber. Für Miete, Pult und Stuhl muss in den meisten Fällen der Arbeitnehmer aufkommen.
Das Hauptargument: «Da allen Mitarbeitenden grundsätzlich ein Arbeitsplatz im Büro zur Verfügung steht, sehen wir von einer Entschädigung ab», sagt Migros-Sprecherin Cristina Maurer Frank stellvertretend für das Gros der Arbeitgeber. Anders sieht man es bei Swisscom und Roche. Sie stellen ihren Mitarbeitern auch Büro-Mobiliar zur Verfügung oder bieten beim Kauf von Stuhl und Pult Vorzugskonditionen an.
Künftig könnten Unternehmen dazu verpflichtet werden, einen Teil der Miete zu übernehmen. Ein wegweisendes Urteil hat das Bundesgericht bereits am 23. April 2019 gefällt. Der Mitarbeiter einer Zürcher Treuhandfirma hatte, wie die «Sonntags-Zeitung» berichtete, auf Entschädigung geklagt. Die Firma musste einen Teil der Miete übernehmen.
Sinkender Büroflächen-Bedarf
Giorgio Pardini (61), Geschäftsleitungsmitglied der Gewerkschaft Syndicom, sagt: «Wenn Homeoffice künftig auch ohne Coronavirus eine Chance haben soll, dann kann es nicht sein, dass Angestellte von ihrem Arbeitgeber keinen Beitrag an die Kosten im Homeoffice erhalten.» Heimarbeit dürfe nicht zur Auslagerung von Betriebskosten führen. «Wir fordern, dass die Unternehmen die gesamten Kosten für die Heimarbeit tragen.»
So oder so wird das Homeoffice zum relevanten Kostenfaktor. Unternehmen können sparen, da der Bedarf an teuren Büroräumlichkeiten abnimmt. Das bestätigt Donato Scognamiglio (48), Chef des Immobilien-Beratungsunternehmens Iazi: «Wir gehen davon aus, dass für die Zeit nach Corona weniger Büroflächen pro Mitarbeiter nachgefragt werden.» Viele Firmen, die flexiblen Arbeitsmodellen früher skeptisch gegenüberstanden, werden Homeoffice an ein bis zwei Tagen pro Woche einführen, glaubt Scognamiglio.