Ein gewöhnlicher Arbeitstag beginnt für Almeira Ribeiro* mit 40 Minuten in Bahn und Bus. Von ihrem Wohnort in einem Zürcher Aussenquartier geht es zuerst hinauf auf die Forch. Dort zieht sie in einer noblen Wohnung ihre weisse Schürze mit dem Firmenlogo an und beginnt zu putzen. Zwei Stunden später verlässt sie das Haus und macht sich wieder auf den Weg. Die nächste Strecke führt sie per S-Bahn fast eine Stunde quer durch die Stadt ins Limmattal. Auch dort macht sie zwei Stunden lang sauber, dann geht es weiter zur letzten Station im Kanton Aargau.
Almeira Ribeiro ist Batmaid, eine jener Putzkräfte, für die der ehemalige Tennisstar Martina Hingis in Schweizer Städten von Plakatwänden lächelt: «Meine Batmaid ist ein Champion.» Ein Champion in Sachen Sauberkeit vielleicht, aber sicher nicht bezüglich Arbeitsbedingungen und Verdienst. Wenn Ribeiro nach sechs Stunden Arbeit nach Hause kommt, hat sie nicht einmal 130 Franken verdient.
Die Krise trifft Batmaids
Im Moment allerdings wäre Ribeiro froh, wenn sie überhaupt etwas verdienen würde. Die Corona-Krise trifft sie und ihre rund 2000 Kolleginnen und Kollegen, die als Batmaids arbeiten, besonders hart. Von rund einem Dutzend Haushalten, die sie vor der Krise sauber machte, sind Ribeiro gerade noch zwei geblieben.
Dass Almeira Ribeiro und ihre Kolleginnen auf keinen grünen Zweig kommen, hängt jedoch nicht nur mit dem Virus zusammen – sondern vor allem auch mit dem Geschäftsmodell der Vanguard SA in Lausanne, die die Plattform Batmaid.ch betreibt. Es erinnert stark an den Taxidienst Uber, der sich als reine Technologie-Plattform verkauft, aber möglichst wenig Verantwortung übernehmen will.
Vanguard ist nur Vermittler
Vanguard stellt die Reinigungskräfte nicht selber an, sondern vermittelt sie bloss an Leute, die ihre Wohnung putzen lassen wollen. Die Firma erledigt sämtliche Formalitäten, also unter anderem die Anmeldung bei der Sozialversicherung, Lohnabrechnungen und Quellensteuern. Gebucht wird eine Batmaid über das Smartphone, bezahlt über die Kreditkarte.
Die Batmaids könne man «online buchen, in 60 Sekunden», wirbt die Vanguard SA. Genauso schnell ist man die Putzkraft auch wieder los, wenn man sie nicht mehr braucht. Auftraggeberinnen und Auftraggeber können bis 48 Stunden vor dem vereinbarten Putztermin ohne Gründe und Kosten absagen. Das ist für die Klienten praktisch, geht aber den Putzkräften an die Existenz: Sie wissen erst zwei Tage im Voraus, ob sie überhaupt Arbeit und damit ein Einkommen haben.
Und selbst das ist minimal. Von den 32 Franken pro Stunde, die den Kundinnen und Kunden in Rechnung gestellt werden, erhält eine Putzkraft netto gerade einmal 20.90 Franken. Die Vanguard SA kassiert stolze 7.30 Franken, fast ein Viertel der Gesamtsumme. Die restlichen 3.80 Franken fallen für Sozialleistungen an.
Keine Arbeitgeber
Eric Laudet hört den Vergleich mit dem Taxidienst Uber nicht gern. «Uber nützt Leute aus und zahlt keine Sozialbeiträge», sagt der Mitgründer der Vanguard SA. «Wir hingegen holen viele Leute aus der Schwarzarbeit und rechnen die Sozialbeiträge im Namen der Kunden korrekt ab.» Dem ehemaligen Rohstoffhändler ist es wichtig festzuhalten: «Wir sind nur Vermittler, keine Arbeitgeber.»
Und genau da liegt das Problem. In einem «Arbeitsvermittlungs- und Mandatsvertrag» mit den Kundinnen und Kunden hält die Vanguard SA ausdrücklich fest, dass diese die Arbeitgeber der Putzkräfte sind: «Der Mandant ist der alleinige Arbeitgeber der Haushaltshilfe.»
Gegen Schwarzarbeit
Falls eine Batmaid mit ausländischem Pass nicht die notwendige Aufenthaltsbewilligung hat, geht die Busse gemäss Vertrag zulasten der Kunden. Für die Unfallversicherung der Batmaids wurden die Klientinnen und Klienten von Vanguard zudem Anfang Jahr aufgefordert, einem «Verband für den Kampf gegen die Schwarzarbeit» beizutreten.
Er schliesse dann eine entsprechende Versicherung ab. Der Verband verfügt im Moment jedoch erst über eine Website «under construction». Eine Adresse oder die Namen von Verantwortlichen sind darauf nicht zu finden, auch keine Versicherungsbedingungen.
15 verschiedene Arbeitgeber
Für die Putzkräfte hat es einschneidende Konsequenzen, dass sie nicht direkt bei der Vanguard SA angestellt sind. Eine Batmaid mit 15 Kunden hat bei diesem Modell 15 verschiedene Arbeitgeber.
Wenn bei einem dieser Auftraggeber die Kreditkarte nicht gedeckt ist, muss die Putzkraft selbst schauen, wie sie zu ihrem Geld kommt. Das gilt auch bei der Verrechnung der Zeit für den Weg zur Wohnung der Auftraggeber. Es sei Sache der Putzkraft, das auszuhandeln, sagt Laudet. «Falls sie zu schüchtern ist, vermitteln wir selbstverständlich gern.»
Kein Minimallohn
Die vielen verschiedenen Arbeitgeber verhindern zudem, dass die Putzkräfte den Minimallohn von 21'330 Franken pro Arbeitgeber erreichen, den es für eine Anmeldung bei der zweiten Säule braucht. Damit fällt ein wichtiger Teil der Altersvorsorge weg.
Der Gesamtarbeitsvertrag der Reinigungsbranche für die Deutschschweiz sieht Beiträge an die berufliche Vorsorge hingegen ausdrücklich vor. Ein GAV bedeutet ausserdem: Die Paritätische Kommission, zusammengesetzt aus Arbeitgeber- und Angestelltenvertretern, kontrolliert Verschiedenes – Arbeitsbedingungen, vorgeschriebene Arbeitszeiten, vier Wochen bezahlte Ferien, eine Krankentaggeldversicherung, die einen Lohnausfall während zweier Jahre deckt. Die Vanguard SA will unter allen Umständen vermeiden, dass sie dem GAV unterstellt wird. Die Frage stelle sich gar nicht, sagt Eric Laudet, denn: «Wir sind nur Vermittler.»
Darum ist das Geschäftsmodell der Vanguard SA den Sozialpartnern der Reinigungsbranche ein Dorn im Auge. «Die Putzkräfte von Batmaid sind nur pseudoselbständig», sagt etwa Karin Funk, Geschäftsführerin von Allpura, dem Verband Schweizer Reinigungs-Unternehmen.
Unklare Rahmenbedingungen
Bei der Gewerkschaft Unia klingt es ähnlich. «Wenn Arbeitnehmerinnen nicht richtig abgesichert sind, dann bezahlt am Schluss die Allgemeinheit», sagt Aldo Ferrari, zuständig für den Sektor Gewerbe. «Vanguard hat ein Geschäftsmodell, bei dem die Rahmenbedingungen dringend geklärt werden müssen.»
Die Vanguard SA hat eine Bewilligung als sogenannte private Arbeitsvermittlung. Damit darf sie gegen eine einmalige Provisionszahlung – ähnlich wie ein Headhunter – Arbeitskräfte mit möglichen Arbeitgebern zusammenbringen.
Anders verhält es sich bei Personalverleihern, also Temporärfirmen. Bei ihnen sind die Arbeitskräfte angestellt und werden dann an Kunden ausgeliehen. Für diese Unternehmen gelten wesentlich höhere gesetzliche Anforderungen. So müssen sie unter anderem 50'000 Franken Kaution hinterlegen, um die Löhne abzusichern, sie müssen schriftliche Arbeits- und Dienstleistungsverträge abschliessen und sie werden anders besteuert als private Arbeitsvermittler. Auch für Temporärfirmen gibt es einen Gesamtarbeitsvertrag mit klaren Anstellungsbestimmungen.
Behörden entscheiden, welche Bestimmungen gelten
Ob die Vanguard SA mit ihren Batmaids nun als private Arbeitsvermittlung oder als Temporärfirma gilt und welche Bestimmungen gelten, müssen letztlich die Behörden entscheiden. Im Kanton Waadt, wo sich der Hauptsitz des Unternehmens befindet, untersucht mittlerweile das kantonale Arbeitsamt, welche Bestimmungen für die Batmaids künftig gelten sollen.
Trinkgeld müsse man den Batmaids übrigens nicht geben, schreibt Vanguard in einem Merkblatt an die Kunden. «Zögern Sie jedoch nicht, Ihrem Angestellten zu Weihnachten Schokolade zu schenken, falls Sie dies wünschen.»
* Name geändert
Dieser Artikel wurde aus dem Magazin «Beobachter» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.beobachter.ch
Dieser Artikel wurde aus dem Magazin «Beobachter» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.beobachter.ch
Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.
Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.