Foto: Siggi Bucher

Andreas Meyer im Interview zum Unglück von Baden
«Ich wusste nichts von defekten Türen»

SBB-Chef Andreas Meyer (58) wehrt sich gegen empörende Gewerkschaftsforderungen und erklärt, warum er nicht an der Beerdigung des verunglückten Zugbegleiters war.
Publiziert: 18.08.2019 um 00:12 Uhr
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Aktualisiert: 19.08.2019 um 10:57 Uhr
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Von defekten Türen habe er nichts gewusst, sagt SBB-Chef Andreas Meyer (Mitte). Zusammen mit Toni Häne (r.), Leiter Personenverkehr, und Linus Looser (2.v.r.), Leiter Bahnproduktion,  stellt er sich den Fragen von SonntagsBlick.
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Tobias Marti und Danny Schlumpf (Interview), Siggi Bucher (Fotos)

SonntagsBlick: Haben die SBB Sicherheitspro­bleme?
Andreas Meyer: Nein, aber Fragen, die sich nach jedem tragischen Unfall stellen.

Woran machen Sie das fest?
Das Erste, was ich bei den SBB tat: Ich habe das Sicherheitssystem und die Kultur geprüft und Verbesserungen vorgenommen. Das ist seither eine Daueraufgabe. Vergessen Sie bei aller Tragik des Unfalls nicht: Die Eisenbahn ist das sicherste Verkehrsmittel. Und die Sicherheit hat sich über die letzten Jahre laufend verbessert.

Und doch hat man das Gefühl, etwas stimmt nicht mehr bei den SBB.
Wir spüren, dass unsere Mitarbeitenden teilweise verunsichert sind. Das ist in der aktuellen Situation völlig normal.

Für Passagiere bestehe keine ­Gefahr, sagten Sie. Nun wissen wir mittlerweile, dass auch Reisende teils schwer verletzt wurden. ­Haben Sie es nicht gewusst oder haben Sie es verschwiegen?
Wir haben nichts verschwiegen. Die Untersuchungen dauern immer noch an. In einem so grossen Unternehmen, wo Menschen zusammenarbeiten, können immer Fehler passieren. Man muss diese ins Verhältnis setzen zur Gesamtzahl der Türschliessungen; das sind jährlich rund 200 Millionen.

Und Sie haben nichts gewusst von dem Defekt an den Türen?
Nein.

Wussten Sie von den verletzten Passagieren und dem Personal?
Nein, wir gehen Hinweisen aber konsequent nach. Wir haben ein mehrstufiges Meldewesen. Ich weiss nicht, ob solche Meldungen bis zu unserem Sicherheitschef hochkommen, kann mir das aber nicht vorstellen.

Sie haben eine Sonderuntersuchung sämtlicher Wagen gestartet. Wie ist der Stand?
Wir haben bisher 250 Wagen und damit rund 1000 Türen untersucht. Dabei haben wir 20 Türen gefunden, bei denen der Einklemmschutz nicht funktionierte.

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Nach Tod von Zugchef Bruno R.*:Die SBB finden fünf Türen mit defektem Klemmschutz

Es sind also mit Sicherheit noch weitere Wagen mit defekten Türen im täglichen Verkehr unterwegs. Ist da die Sicherheit noch gewährleistet?
Ja, die Sicherheit ist gewährleistet. Wir geben nur Wagen wieder in den Verkehr, die sicher sind. Zudem ­haben unsere Zugbegleiter eine erhöhte Aufmerksamkeit bei diesen Wagentypen.

Wenn man den Abfertigungsprozess richtig durchführt, ist die ­Sicherheit gewährleistet?
Ja, der Abfertigungsprozess ist ­sicher.

Also muss man daraus schliessen: Beim Unfall hat der Abfertigungsprozess nicht funktioniert?
Die Untersuchung der Unfallursache ist Sache der Schweizerischen Unfalluntersuchungsstelle (Sust). Ich möchte über den Sachverhalt nicht spekulieren. Der verstorbene Kundenbegleiter war ein langjähriger, sehr zuverlässiger und geschätzter Kollege.

Trotzdem: Aus Ihrer Medienmitteilung konnte man schliessen, der verstorbene Mitarbeiter werde implizit selber für seinen Unfall verantwortlich gemacht.
Das weise ich aufs Schärfste zurück. Wir kennen den genauen Unfallhergang nicht. Wir gehen den aus unserer Sicht möglichen Ursachen konsequent nach. Im Rahmen der in solchen Fällen üblichen Sofortmass­nahmen.

Nach dem Tod des Mitarbeiters haben Sie drei Tage lang nicht darüber informiert.
Wir haben unsere Mitarbeitenden sofort informiert. Bei so einem Unfall kommuniziert gegen aussen nicht das Unternehmen, sondern in erster Linie und zuerst die Polizei und die Staatsanwaltschaft. Auch, weil sich der tragische Sachverhalt und die Ursache letztlich oft erst nach Monaten herausstellen und wir allen betroffenen Menschen Respekt schulden.

Sie sind immerhin hingestanden und tun es jetzt gegenüber SonntagsBlick erneut. Nicht so Verwaltungsratspräsidentin Monika Ribar. Sie will sich erst Mitte September öffentlich äussern. Wenn die Halbjahreszahlen publiziert werden. Ist das angemessen?
Das ist auf jeden Fall angemessen. Die operative Verantwortung inklusive der Kommunikation in anspruchsvollen Phasen liegt bei mir. Monika Ribar und ich sind laufend in Kontakt, bei einem internen Anlass haben wir beide Tränen in den Augen gehabt.

Stecken die SBB in einer Krise?
Wir sind in einer schwierigen Situation. Der Mitarbeiter ist erst am vergangenen Freitag beerdigt worden. Wir sind noch in Trauer.

Waren Sie an denn der Beerdigung?
Personenverkehrschef Toni Häne war dabei. Er hat auch gesprochen, auf Wunsch der Witwe.

Warum sind nicht Sie an die Beerdigung gegangen?
Wir haben uns entschieden, dass ein Mitglied der Konzernleitung geht. Toni Häne ist der oberste operative Chef des Verstorbenen. Es gibt Fälle, bei denen ich an die Beerdigung gehe.

Wäre es nicht ein vertrauensbildendes Signal gewesen, wenn der oberste Chef geht?
Es war angemessen, nicht an die Beerdigung zu gehen. Die Konzernleitung war durch Toni Häne und Markus Jordi, unseren Personalchef, vertreten. Ich habe am Beerdigungstag an dringenden Fragen zur Fernverkehrskonzession gearbeitet. Jemand von uns musste sich schliesslich darum kümmern. In Gedanken war ich beim verstorbenen Kollegen.

Die Kundgebung am Bahnhof Zürich hat gezeigt: In der Belegschaft herrscht Trauer. Irgendetwas scheint kaputtgegangen zu sein.
Ich verstehe die Trauer und teile sie. Die Kundgebung hat gezeigt, wie wichtig das Thema Sicherheit ist.

Gibt es Mitarbeiter, die Angst ­haben wegen der Türen?
Sicher Respekt, wie ich auch. Angst glaube ich nicht. Ich habe mit einigen Zugbegleitern persönlich gesprochen.

Sind die Leute immer noch gleich zufrieden wie vor 13 Jahren, als Sie den Chefposten übernahmen?
Es gibt immer wieder auch schwierige Reorganisationen im Betrieb. Die Gewerkschaften sind bei jeder Reorganisation frühzeitig einbezogen.

Ihr Salär von knapp einer Million Franken ist bei den Gewerkschaften immer wieder ein Thema.
Ich glaube nicht, dass mein Lohn im Zusammenhang mit diesem tragischen Unfall wichtig ist. Mich stört ganz besonders, dass man nach diesem tragischen Unfall Gewinnbeteiligungen des Personals fordert, obwohl wir Beteiligungen des Personals an Produktivitätssteigerungen angeboten hatten. Was abgelehnt wurde. Die Forderungen der Gewerkschaften erfolgten zu einem Zeitpunkt, als der verunfallte Mitarbeitende noch nicht einmal beerdigt worden war. Ich gehe davon aus, dass dies unter dem Schock der Ereignisse gesagt wurde. Sonst wäre es schlicht schlechter Stil der ­Gewerkschaften.

Beim Verkaufspersonal wurden die Pausen von 15 auf zehn Minuten gekürzt. Das klingt nach einem Detail – aber was für ein Signal an die Mitarbeitenden wird damit gesendet?
In einem grossen Unternehmen passiert ganz viel. Ich schüttle manchmal den Kopf, wenn ich von bestimmten Dingen und Entscheidungen erfahre. Mir sind die Mitarbeitenden wichtig. Die Sache mit den gekürzten Pausen werde ich überprüfen. Aber ich fordere auch Respekt vor der Arbeit unserer Kadermitglieder.

Im September muss Toni Häne vor der Verkehrskommission in Bern erscheinen. Sie wird ihn nach den Gründen für die notorischen Verspätungen im Bahnverkehr fragen. Was wird er antworten?
Wir haben Probleme mit den Dosto-Fernverkehrszügen, die Verspätungen haben. Es gab auch Planungsfehler bei den Einsätzen der Lokführer. Aber ich will festhalten: Es ist unglaublich, was die SBB leisten. Gerade jetzt bei der Fête des Vignerons und vielen weiteren Veranstaltungen im Sommer stellen wir 1900 Extrazüge. Und es benutzten im ersten Halbjahr mehr Kunden die SBB als je zuvor.

Diese Extrazüge führen uns zum Angebot der SBB. Ist das Angebot schlicht zu gross? Wäre kleiner und dafür pünktlicher nicht besser?
Die Schweiz hat sich entschieden, das Bahnnetz weiter auszubauen. Diese Mobilität ist ein Teil der ­Lebensqualität der Schweiz.

Sie sind schon 13 Jahre im Amt.
Ich bin zwar nicht mehr neu, aber noch frisch.

Sind Sie noch der Richtige auf diesem Posten?
Auch diese anspruchsvolle Situation werde ich mit meinem Team meistern. Das hier ist nicht meine erste Krise. Aber das ist ein schwieriger Teil meiner Aufgabe. Bei den SBB fährt ein gewisses Risiko immer mit.

Haben Pendler nun Angst?
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Nach Tür-Unfall in Baden AG:Haben Pendler nun Angst?
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