1'253'000'000 Fr. Mieteinnahmen durch gigantische Immobilienprojekte
So verändern die SBB das Bild der Schweiz

Eine internes Papier zeigt: Die Bahn will bis 2037 mit Liegenschaften mehr als ­doppelt so viel ver­dienen wie heute. Viele Städte erhalten dadurch ein neues Gesicht.
Publiziert: 26.07.2020 um 13:08 Uhr
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Aktualisiert: 29.07.2020 um 16:30 Uhr
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Zürich-Oerlikon – Franklinturm. Grundstücksfläche: 3500 m2. Fertigstellung: 2022.
Foto: ZVG
Thomas Schlittler

In der Schweizer Immobilienbranche kursiert folgender Spruch: «Die SBB? Eine Immobilien­gesellschaft, die nebenbei ein paar Schienen und Züge betreibt.»

Ganz falsch ist das nicht: Das Unternehmen hat rund 800 Bahn­höfe und 3600 Grundstücke in seinem Portfolio. Die Mieteinnahmen beliefen sich 2019 auf 559 Millionen Franken. Damit sind die Bundesbahnen die Nummer zwei im Schweizer Immobilienmarkt. Nur der Lebensversicherer Swiss Life verdient hierzulande noch mehr mit der Vermietung von Liegenschaften.

Doch den SBB reicht das nicht, der Konzern will mehr. In einer Präsentation für Mitarbeiter, die SonntagsBlick vorliegt, wird mit Blick in die Zukunft die «Ansage» gemacht: «SBB Immobilien ist die führende Immobilienfirma in der Schweiz.» Das konkrete Ziel: Bis 2037 sollen die jährlichen Mieterträge auf 1253 Millionen Franken erhöht werden – das wäre mehr als doppelt so viel wie heute. Die Präsentation stammt von Jürg Stöckli (50), dem ehemaligen Chef von SBB Immobilien. Er machte sie im Herbst 2018, kurz bevor er das Unternehmen verliess.

Ein kurzfristiges Denken für die Jahresabschlüsse
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BLICKpunkt von Christian Dorer:Das Immobilienverscherbeln der Staatsbetriebe

Zielvorgabe für optimale Entwicklung

Im Grundsatz sind die Pläne aber nach wie vor aktuell, wie SBB-Sprecher Reto Schärli auf Anfrage von SonntagsBlick sagt. An den 1253 Millionen Franken will sich das ­Unternehmen jedoch nicht messen lassen. «Diese Zahl lässt sich nur erreichen, wenn sich die Nach­frage absolut optimal entwickelt», erklärt Schärli. Die offizielle Zielvorgabe für 2037 ist deshalb etwas konservativer: rund eine Milliarde Franken Mieterträge pro Jahr.

Ambitioniert sind die Pläne, mit denen dieses Wachstum erreicht werden sollen, ohnehin. Aktuell ­haben die SBB rund 50 Immobi­lienprojekte in der Pipeline: Ob Basel, Bern, Freiburg, Genf, Lausanne VD, Lugano TI, Luzern, Neuenburg, Winterthur ZH oder Zürich – es gibt kaum eine Schweizer Stadt, in der die SBB nicht eines oder mehrere Liegenschaftsprojekte haben.

Auch in kleinen und mittelgrossen Gemeinden wie Bellinzona TI, Burgdorf BE, Castione TI, Cully VD, Dietikon ZH, Kloten ZH, Liestal BL, Locarno TI, Morges VD, Renens VD, Rotkreuz ZG, Satigny GE, Stäfa ZH und Thalwil ZH planen die SBB neue ­Gebäude oder gar ganze Quartiere.

Neue Zentren in Zürich, Freiburg und Basel

Viele Bauwerke werden das Gesicht der Ortszentren stark verändern, ähnlich der Europaallee in Zürich. Einige Beispiele: Der 68 Meter hohe Tour de l’Esplanade am Bahnhof Freiburg, der 2022 fertiggestellt werden soll. Im gleichen Jahr ist in Zürich-Oerlikon die Eröffnung des 80 Meter hohen Franklinturms geplant. Und am Bahnhof ­Basel werden Zugreisende ab 2028 von den drei 87 Meter hohen Nauentor-Hochhäusern begrüsst.

Insgesamt wollen die SBB in den kommenden zehn, fünfzehn Jahren eine Grundstücksfläche von mehr als 900'000 Quadratmetern bebauen. Das entspricht rund 125 Fussballfeldern.

Die meisten Gebäudekomplexe sehen eine gemischte Nutzung vor: Läden, Restaurants, Büros, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen – und viele, viele Wohnungen. 2037 soll rund ein Viertel der Immobilieneinnahmen von Mietwohnungen stammen, heisst es im internen SBB-Papier. Heute sind es weniger als zehn Prozent. Sprecher Schärli präzisiert: Insgesamt wollen die SBB rund 12'000 Wohnungen vermieten.

Vorantreibung der Gentrifizierung

Das birgt sozialen und politischen Sprengstoff: Bereits in der Vergangenheit wurden die SBB immer wieder dafür kritisiert, mit überteuerten Wohnungen die Gen­t­ri­fi­zie­rung voranzutreiben – also die Verdrängung der ansässigen Bevölkerung durch Leute mit ­dickem Portemonnaie. In Zukunft dürften die SBB diesbezüglich noch stärker im Fokus stehen.

Zwar versichert das Unter­nehmen seit langem, dass lang­fristig ein Drittel der Wohnungen im preisgünstigen Segment angeboten werden soll. Die Kritiker sind dadurch aber nicht verstummt. «Die SBB stützen sich bei ihren Berechnungen stark auf vergangene Errungenschaften», sagt Urs Hauser, Direktor des Verbands Wohnbaugenossenschaften Schweiz. SBB Immobilien verfüge im Bestand über viele preisgünstige Wohnungen. Diese befänden sich aber vorwiegend in mittleren und kleinen Bahnhöfen, wo ohnehin keine ­höheren Mieten drinliegen. Hauser: «Wir fordern deshalb, dass sich die SBB auch in Zukunft zum preisgünstigen Wohnungsbau bekennen und bei ihren Neubauprojekten ­einen hohen Anteil an preisgüns­tigen Wohnungen vorsehen.»

Beim neuen SBB-CEO Vincent Ducrot (57) scheint diese For­derung auf offene Ohren zu stossen. Bei seiner 100-Tage-Bilanz ­Anfang Juli sagte Ducrot zwar, dass er die ambitionierte Immobilienstrategie seines Vorgängers Andreas Meyer (59) grundsätzlich weiterführen werde. SBB Immo­bilien solle auch in Zukunft einen grossen Beitrag zur finanziellen Stabilität des Unternehmens leisten. «Das mit ­Immobilien verdiente Geld bleibt vollumfänglich im Bahnsystem», so Ducrot. Gleichzeitig versprach der neue Chef aber, dass die SBB zukünftig mehr preisgünstige Wohnungen anbieten werden. «Bislang wurde ein Drittel angestrebt, nun soll knapp die Hälfte der Wohnungen bis 2037 im preisgünstigen Segment sein», liess er per Medienmitteilung verlauten.

An diesen Worten werden ihn die Mieter im Land messen.

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