Rekordhitze, Unwetter – Klimaforscher Stocker warnt:
«Das ist die neue Normalität»

Hitzewellen werden bald bis zu zehn Mal häufiger auftreten, sagt der führende Schweizer Klimaforscher Thomas Stocker (58).
Publiziert: 25.06.2017 um 10:13 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 19:03 Uhr
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Thomas Stocker, Professor am Physikalischen Institut der Universität Bern.
Foto: Sabine Wunderlin
Interview: Adrian Meyer

Herr Stocker*, statt Schafskälte, wie häufig im Juni, hatten wir die ganze letzte Woche brütende Hitze. Was ist da los?

Thomas Stocker: Leider sehen wir die Fortsetzung eines Trends, den wir schon lange beobachten. Weltweit ist die Temperatur seit Beginn des 20. Jahrhunderts um ein Grad angestiegen, in der Schweiz gar um 1,8 Grad.

Werden Hitzewellen häufiger?
Das ist die neue Normalität. Wir sehen ein Fenster in die Zukunft. Wenn wir weiter so viele Treibhausgase ausstossen, werden Hitzewellen bis Ende des Jahrhunderts bis zu zehn Mal häufiger auftreten.

Knackt dieser Sommer die Rekorde von 2003?
Es ist noch zu früh, um ein Urteil zu fällen. Aber eine mehrtägige Hitzewelle wie diese Woche trocknet den Boden aus. Das wiederum verstärkt die Hitze. Genau das passierte 2003 und könnte dieses Jahr wieder auftreten.

Einen solchen Sommer gibt es eigentlich nur alle 500 Jahre.
Genau, aber bereits 2009 und 2015 hatten wir ähnlich heisse Sommer wie 2003. Auch 2011 und 2016 waren sehr warm. Die neun wärmsten Sommer der letzten 150 Jahre erlebten wir alle seit dem Jahr 2000. Und wir steuern wieder auf einen warmen Sommer zu.

Wird es bei uns bald so sein wie in Italien?
Ja, die Sommer werden sehr viel wärmer und trocken. Die Gletscher verschwinden, unser Wasserhaushalt wandelt sich, es fällt weniger Schnee und mehr Regen. Daneben wird der Temperatur­anstieg für jeden persönlich zur Herausforderung. Wir werden alle älter, Hitzewellen belasten uns gesundheitlich stärker.

Überzeugen solche Hitzesommer sogar Klimakritiker?
Es muss für sie ein Augenöffner sein. Der Klimawandel tut uns weh. Dem Hintersten und Letzten sollte klar sein, dass wir ein ernsthaftes Problem haben. Und dass die Schweiz davon nicht ausgeklammert ist. Wir sind sogar stärker betroffen. Leider gibt es immer noch Leute, die davon nichts wissen wollen. Das ist, um es diplomatisch auszudrücken, nichts anderes als Ignoranz. Fakten und wissenschaftliche Erkenntnisse werden bewusst ausgeblendet!

Tut die Schweiz genug im Kampf gegen den Klimawandel?
Bis 2030 unseren CO2-Ausstoss um die Hälfte zu reduzieren, ist ein gutes Ziel und absolut notwendig. Aber es ist nicht wirklich ehrgeizig. Dabei könnte die Schweiz als Pionierin zeigen, dass man als moderne Gesellschaft von fossilen Brennstoffen wegkommt. Für eine innovative Schweiz wäre das eine der wenigen Chancen, in ­einem grossen wirtschaftlichen Wachstumsbereich vorne mit dabei zu sein.

Schaffen wir es, die globale Erwärmung auf das erklärte Ziel von zwei Grad zu begrenzen?
Wir haben das CO2-Budget für dieses Ziel bereits zu über zwei Dritteln aufgebraucht. Und wir verbrauchen das restliche Drittel rasant. Wenn wir weitermachen wie bisher, bleiben uns noch 20 Jahre.

Was stimmt Sie optimistisch?
Dass sich mit dem Pariser Klimaabkommen praktisch alle Staaten auf ein Ziel einigten. Das gibt mir Hoffnung. In China und Europa ist der Ehrgeiz, Klimaschutz zu betreiben, noch grösser geworden.

Viele fühlen sich aber machtlos.
Wenn wir sagen, wir können sowieso nichts ­machen, erleiden wir ­einen ungebremsten Klimawandel mit einem weltweiten Temperaturanstieg von bis zu fünf Grad. Dann fahren wir mit vollem Tempo in eine Wand. Wenn wir die Erwärmung jedoch auf zwei oder zweieinhalb Grad begrenzen, ist die Kollision verkraftbar. Weil wir vorher abgebremst haben. Trotzdem müssen wir Geld in die Hand nehmen, um die Schäden zu reparieren. Ich hoffe wirklich, unsere Bremsen funktionieren.

Ein Drittel der Menschheit leidet unter tödlichen Hitzewellen. Sind Sie besorgt?
Selbstverständlich. Das Klima bedroht unsere Gesundheit nun direkt. Bei einer extremen Hitzewelle erreichen wir die Grenze unserer Lebensfähigkeit. Im Nahen Osten oder am Persischen Golf kommt man bald in eine Situation, in der man ohne technische Hilfsmittel nicht mehr überleben kann. In der Schweiz sind wir davon glücklicherweise noch verschont.

*Thomas Stocker ist Professor am Physikalischen Institut der Universität Bern

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