Verloren steht Petra R.* (54) auf dem Friedhof von Moghegno TI. «Hier wäre doch noch ein Plätzchen für meinen Mann gewesen. Über 17 Jahre hat er im Tessin gelebt. Er wollte in seinem geliebten Maggiatal begraben werden», davon ist die gebürtige Wienerin überzeugt. Doch ob der Zürcher je in der Sonnenstube seine letzte Ruhe erhält, steht in den Sternen.
Noch immer kann Petra R. den Irrsinn nicht glauben, der ihr widerfährt. Ihr Mann, Werner R.** (†66), war nach einem Schlaganfall schwerbehindert. Er wurde im Pflegeheim Residenza alle Betulle in Cevio TI stationär betreut, wo ihn seine Frau regelmässig besuchte. Dann geht es auch ihr gesundheitlich schlechter, sie kämpft mit Hüft- und Rückenleiden und ist nicht mehr so mobil. Beide können kaum Italienisch und haben amtliche Beistände.
«Werner wollte nie wieder in seine Heimat zurück»
Während einer finanziellen Krise trennte sich das Paar 2006 pro forma, damit das Einkommen der Frau nicht gepfändet werden konnte und die Familie so geschützt war. «Wir haben aber immer zusammengelebt, bis er in Pflege kam. Wir sind durch dick und dünn gegangen», sagt die Wahltessinerin. Ihr Werner habe schon viele Jahre keinen Kontakt mehr zur Familie in der Nordschweiz gehabt, so Petra R., «er wollte nie wieder in seine Heimat zurück».
Zum Jahresende verschlimmerte sich der Gesundheitszustand des ehemaligen Gastwirts. Werner R. kam darum ins Regionalspital La Carità nach Locarno TI. Am 31. Dezember 2019, um 15.40 Uhr, starb der Mann. Die Ehefrau wurde nicht informiert. Vom Ableben ihres Manns erfuhr sie nichts.
Erst nach zehn Tagen erfährt Petra R. vom Tod des Manns
Am 10. Januar erhält Petra R. einen Anruf von ihrem Beistand. Die Sterbeurkunde liege jetzt vor, man könnte eine Witwenrente beantragen. «Ich fiel aus allen Wolken», erzählt Petra R. «Sterbeurkunde von wem? Warum Witwenrente? Da erst erfuhr ich, dass mein Mann tot ist.» Es kommt noch schlimmer. «Als ich fragte, wo mein Mann denn liege, hiess es, der Leichnam sei schon weg», erzählt Petra R. weiter.
Petra R. klingelte Sturm. Beim Spital. Beim Pflegeheim. Bei der örtlichen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde ARP. «Niemand wollte mit mir sprechen. Ich wusste nicht, woran mein Mann gestorben war und wo sich seine Leiche befand», klagt Petra R. verzweifelt.
Sie erreichte schliesslich die Beiständin ihres Mannes. «Die Dame hat mich einfach ausgelacht», erinnert sich die Witwe mit Schaudern. Sie seien geschieden, habe die Beiständin behauptet, die Witwe habe daher nichts zu melden. «Aber das stimmt ja überhaupt nicht», wehrt sich Petra R. empört.
Walter R. soll in Wädenswil beerdigt werden
Erst nach unzähligen Nachfragen erfährt Petra R., dass die Schwester des Ehemanns die Abdankung von Werner R. für den 23. Januar in Wädenswil ZH plant. «Von Werners Familie habe ich nichts gehört und natürlich auch keine Einladung zur Abdankung erhalten», sagt die Witwe. Auch gegenüber BLICK will sich die Familie des Verstorbenen nicht äussern.
Dann, über zwei Wochen nach dem Tod von Werner R., gibt die Schwester endlich zu: Werner R. ist bereits kremiert. Es bleibt nur noch seine Asche. Petra R. bricht schluchzend zusammen: «Ich habe mich nicht von meinem Mann verabschieden dürfen.» Verbittert fügt sie hinzu: «Sie haben mir die Leiche meines Manns geklaut.»
Freigabe des Toten nur eine Panne?
Doch wie kam es zu diesem «Leichen-Raub»? Auf Anfrage von BLICK antwortet das Spital durch den Kommunikationsleiter des Tessiner Spitalverbunds, Mariano Masserini: «Bei der Einlieferung eines Patienten aus einem Pflegeheim teilt das Pflegeheim den Namen von dessen rechtlichem Beistand mit. Dieser wird vom Spital über den Zustand des Patienten auf dem Laufenden gehalten.» Mehr Erklärung gibt es nicht. Gab die Beiständin von Werner R. eine falsche Information? War die Freigabe der Leiche nur eine Panne?
Dass der Patient noch eine Ehefrau haben könnte, erwägt die Spitalleitung jedenfalls nicht und sie gab den Leichnam ohne Abklärung einfach anderen Familienangehörigen mit. «Mir geht es nicht ums Erbe», sagt Petra R. «Wir hatten ja kein Geld. Ich will nur, dass mein Mann dort beerdigt wird, wo er am liebsten gelebt hat. Im Tessin. In meiner Nähe.»
*Name der Redaktion bekannt
** Name von der Redaktion geändert