Ich bin ein Mann, oder: Ich bin eine Frau. Nicht jeder Mensch kann das von sich selbst sagen. Personen, bei denen das Geschlecht des Körpers nicht mit dem Gefühl übereinstimmt. Als Transsexualität wird das bezeichnet und gilt weltweit als Persönlichkeits- und Verhaltensstörung.
Ein diskriminierendes Urteil, das so im Diagnosehandbuch «ICD-10» der Weltgesundheitsorganisation (WHO) abgedruckt ist. Das soll sich ändern: In der elften Ausgabe soll Transsexualität als Krankheit gestrichen werden. Der letzte Entwurf für das Handbuch mit dem kryptischen Namen «ICD-11» wurde am Montag veröffentlicht. Spätestens ab 2022 gilt es dann als beschlossene Sache.
«Viele Betroffene litten unter dem Stigma»
Die Betroffenen freuts: «Eine tolle Nachricht, besonders im Pride-Monat», heisst es etwa in den sozialen Medien. Ähnlich äussert sich Alecs Recher, Jurist beim Transgender Network Switzerland (TGNS): «Wir freuen uns darüber, mit der Änderung werden wir nicht mehr als ‹psychisch gestört› abgekanzelt.»
Der Grund für die Freude: Transgender-Personen, die ihr Geschlecht anpassen wollten, mussten sich bislang medizinisch als «persönlichkeits- oder verhaltensgestört» diagnostizieren lassen. Nur so konnten sie Therapien oder Behandlungen von Krankenkassen übernehmen lassen. «Das ist ein Stigma, unter dem viele Betroffene leiden», erklärt Recher.
Krankenkasse zahlt weiterhin
Neu wird statt von «Störung» von einem «Zustand» gesprochen. Ein Betroffener hat nicht mehr «Transsexualität», sondern eine «Geschlechterinkongruenz». «Eine Diagnose ist notwendig und üblich für alle medizinischen Behandlungen, nur schon für die Krankenkassenabrechnung», erklärt der Jurist Recher weiter. Das sei vergleichbar mit einer Schwangerschaft.
Auch Santésuisse-Sprecher Christophe Kaempf sagt zu BLICK, dass es bei den Kosten keine Änderung geben wird: «Das ICD-11 dient in der Schweiz den Ärzten lediglich als Hilfsinstrument, um Diagnosen zu fällen.» Er nennt die Computer-Sucht als Beispiel: Die WHO will das als offizielle Diagnose einführen. «Wer unter der Sucht litt, konnte sich heute schon von einem Arzt behandeln und die Kosten von der Krankenkasse übernehmen lassen.»