Buschiger Schnurrbart, weisses Haar und Tropenhelm: Albert Schweitzer wurde mit seinem pionierhaften Entwicklungsprojekt in Lambarene (Gabun) weltberühmt. Der Doktor und Philosoph, mit dem Friedensnobelpreis geehrt, gilt noch heute als einer der grössten Denker des 20. Jahrhunderts.
Doch wer war der Thurgauer Arzt, den Schweitzer kurz vor seinem Tod höchstpersönlich als seinen Nachfolger bestimmt hatte? Im Gegensatz zum «grand docteur» war Walter Munz weitgehend unter dem Radar der Öffentlichkeit. Ein Buch des Schweizer Medizinhistorikers Hines Mabika soll dies nun ändern. «Der Ruf von Lambarene» ist die erste Biografie über den am 31. August verstorbenen Walter Munz. Das Buch zeigt, wie Schweizer Mediziner während vieler Jahre das humanitäre und medizinische Engagement in Afrika prägten.
Von Arbon nach Afrika
«In der medizinischen Geschichte Afrikas blieben viele Ärzte und Mitarbeiter unerwähnt, die Albert Schweitzer in seiner Urwaldklinik unterstützten», sagt Mabika. «Doch diese Menschen haben eine wichtige Rolle gespielt.» Walter Munz stand gemäss Mabika stellvertretend für die vielen Schweizer Medizinerinnen und Mediziner der 1950er-Jahre, die ihre bedeutende akademische und praktische Ausbildung ins Ausland gebracht hatten.
«Munz hatte bereits als Jugendlicher davon geträumt, Albert Schweitzer in Afrika zu helfen», so Mabika, der mit dem Thurgauer Doktor befreundet war. «Mit 28 Jahren entdeckte er dann das Stelleninserat, in dem Schweitzer nach einem Arzt in Lambarene suchte.» Und schon reiste Munz von Arbon TG ins westafrikanische Gabun, wo er Schweitzer und sein Spital kennenlernte, operierte, Infektionen und Unfallopfer behandelte. Das war 1961.
Als Munz, nach zweieinhalb Jahren zurück in der Schweiz, eine Assistenzstelle für Innere Medizin antreten wollte, kam der Brief von Albert Schweitzer: Der Doktor spüre, dass seine Zeit zu Ende gehe, und bat Munz, sein Nachfolger zu werden. «Ich denke, dass Albert Schweitzer Munz gewählt hatte, weil er dessen tiefe Liebe für die Menschen im Gabun spürte», sagt Mabika. So wurde Walter Munz 1965 medizinischer Leiter des Spitals. Ein knappes halbes Jahr später starb Albert Schweitzer.
Das schwere Erbe neu umgesetzt
Als Munz das Lambarene-Spital übernahm, befand es sich laut Mabika in einer schwierigen Situation. «Die Gebäude mussten saniert werden, das Charisma des ‹grand docteur› war jedoch verblasst.» Viele europäische Mitarbeiter hatten keine Lust mehr, in Lambarene zu arbeiten. «Nun brauchte es nicht nur einen guten Chefarzt, sondern auch einen Diplomaten. Diese Aufgabe nahm Munz wahr und konnte somit das materielle und spirituelle Erbe Schweitzers weiterführen», so Mabika.
Eine bedeutende Eigenschaft von Munz sei das Interesse für die Kultur im Gabun gewesen. So habe sein Vorgänger Albert Schweitzer zwar ein hochgradig differenziertes Verständnis der sozialen Realitäten, doch hatte er sich weder um die einheimischen Sprachen bemüht noch versucht, der uralten afrikanischen Medizin ganzheitlich gegenüberzutreten. Das Spital in Lambarene steht bis heute. Mittlerweile sind fast alle Festangestellten gabunischer Herkunft.
Munz kehrte 1969 mit seiner Frau Jo, einer niederländischen Hebamme, in die Schweiz zurück. Die beiden hatten sich im Spital in Lambarene bei der Arbeit kennengelernt. Gemeinsam mit ihren drei Töchtern reisten sie über die Jahre viele Male erneut in den Gabun. 2014 wurde dem Ehepaar Munz «für herausragendes humanistisches Engagement» der internationale Albert-Schweitzer-Preis verliehen.
Kleiner Teil einer grossen Recherche
Der Medizinhistoriker Hines Mabika ist selber im Gabun geboren. Nach seinem Vortrag in Madrid wurde er von der Universität Basel für ein Projekt über schweizerische Missionshospitäler in Afrika angestellt. Nach Projektabschluss wechselte er an die Universität Bern, wo er bis heute assoziierter Forscher ist.
2013 sprach der Schweizer Nationalfonds die Finanzierung eines neuen Projekts von über einer halben Million Franken aus. «Darin ging es um die medizinische Praxis im Spital Albert Schweitzers in Lambarene, das ich meinem Chef in Bern vorgeschlagen hatte», sagt Mabika.
Das Buch «Der Ruf von Lambarene» ist Teil dieser Recherche. Das Buch zeigt alle wichtigen Stadien der Transformation des Spitals von einer Pionier-Einrichtung in ein dauerhaft weltweit anerkanntes medizinisches Forschungs- und Behandlungszentrum. Es erscheint Ende Oktober. «Munz geht als christlich geprägter Mensch mit einem grossen Herzen für die afrikanische Kultur in die Medizingeschichte ein», sagt Mabika.