Ach tote Kälber in einer Nacht. Der Walliser Viehbauer Andreas Schwery (56) konnte kaum glauben, was er sah, als er am Donnerstag vor einer Woche auf seine Weide oberhalb von Ernen VS ging, um nach seinen zwölf Jungrindern zu schauen. «Sie waren einfach nicht mehr da», so Schwery zu BLICK.
Fernab findet er drei seiner Tiere. «Sie waren ganz verschreckt. Ich wusste, dass etwas nicht stimmt.» Von den anderen Kälbern fehlte noch immer jede Spur. Doch dort, wo die Weide in einen steilen, steinigen Abhang übergeht, bemerkt der Bauer den kaputten, niedergetrampelten Zaun. Kurz darauf herrscht für Schwery traurige Gewissheit: «Als ich runterschaute sah ich meine Kälbli. Der Fluss hatte nicht viel Wasser, sonst hätte ich sie gar nicht entdeckt.»
«Wolf muss meine Kälber in Panik versetzt haben»
Die Tiere lagen im Bachbett der Binna – tot. «Für mich ist eine Welt zusammengebrochen. Meine Kälbli sind 50 Meter in den Tod gestürzt. Die meisten waren erst jährig. Mit denen hatte ich einen besonders engen Kontakt. Sie waren für mich fast wie Kinder», sagt Schwery. Insgesamt sind neun Kälber den steinigen Abhang hinuntergestürzt. Nur eines von ihnen hat den Sturz überlebt. Die anderen wurden zur Tierkadaverstelle gebracht.
Bis zu dem tragischen Vorfall hatte Schwery knapp 60 Rinder samt Kälbern. Der Verlust seiner Tiere hat den Landwirt nicht nur emotional hart getroffen, sondern auch finanziell. «Die Kälbli hatten pro Stück einen Wert von rund 2000 Franken», sagt der Viehbauer. Der Schaden beträgt also 16'000 Franken. Zwar hat Schwery eine Viehversicherung, doch diese würde nur die Hälfte seiner finanziellen Einbussen durch den Tod seiner Kälber decken.
Der Viehbauer ist überzeugt: «Ein Wolf muss meine Kälber in Panik versetzt haben.» Das Jungtier, das überlebte, habe «eine Bissverletzung» gehabt. Der Walliser Jagdchef Peter Scheibler kann den Verdacht von Schwery derzeit noch nicht bestätigen. Das Jungvieh, das den Sturz in die Tiefe überlebt hat, wurde aber laut Scheibler ebenso wie die toten Tiere «von Kopf bis Schwanz untersucht».
«Ich habe Angst um mein restliches Vieh»
Während die toten Tiere keine Wunden gehabt hätten, die auf einen Wolfsriss hinweisen würden, hatte das Jungvieh, das überlebte, ein Schlitz am Vorderlauf im Brustbereich. Dieser gleicht laut dem Jagdchef aber «nicht einer typischen Bissverletzung».
Fest steht: Im Raum Goms VS kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zu Wolfsangriffen. Über 50 Nutztiere wurden in der Region, wo auch Schwery sein Vieh hält, gerissen. Dem Wolfsrüden M108 konnten mittels DNA-Spuren mehrere Angriffe auf Schafe und ein Schottisches Hochlandrind nachgewiesen werden. «Bisher war es eher eine Ausnahme, dass ein Wolf ein Kalb oder Rind reisst. Zumal kleinere Nutztiere wohl einfacher zu erlegen sind», sagt der Walliser Jagdchef.
Ob M108 oder aber ein anderer Wolf in Zusammenhang mit dem mysteriösen Tod von Schwerys Vieh steht, soll die DNA-Probe zeigen, die von der Wunde vom verletzten Jungrind genommen wurde. Bis das Ergebnis vorliegt, dauert es im Schnitt zwei bis drei Wochen. Für Schwery geht das alles zu lange: «Ich habe Angst um mein restliches Vieh – dass es die Tiere auch erwischt.»