Albert Rösti (51) tupft sich den Schweiss von der Stirn, lächelt etwas verlegen und sagt dann: «Ich getraue es fast nicht zu sagen.» Kindheitserinnerungen an das Rütli habe er keine. Das erste Mal war er hier, als er schon über 40 war, vor rund elf Jahren. Auf einem Fraktionsausflug seiner Partei, der SVP.
Keine Schulreise führte ihn auf die historische Wiese über dem Vierwaldstättersee. Kein Familienausflug. «Ich war ein Bauernkind», rechtfertigt er sich an diesem Morgen auf dem Weg vom Schiffssteg hinauf zur Rütliwiese. Die Sommerferien habe er jeweils auf der Alp verbracht.
Nun aber, als Parteipräsident der SVP, gönnt er sich einen Tag der Sommerferien auf dem Rütli. Im Schlepptau: Journalistinnen und Journalisten, Kameraleute und Fotografen, die seiner Einladung zu diesem «Spaziergang mit Hintergrundgesprächen» gefolgt sind, wie er immer wieder betont.
Widerstandsgeist wie Guisan
Eine politische Veranstaltung durchführen auf der Wiese, das darf er nämlich nicht. So steht es in der Benutzungsordnung für das Rütli. «Und das respektieren wir selbstverständlich», sagt Rösti. Den Ausflug hatte der SVP-Präsident unter das Motto gestellt: «Wie ist es um die Schweiz bestellt?»
Seine Statements gibt Rösti daher im Eiltempo auf der zehnminütigen Schifffahrt von Brunnen und auf den paar Metern hinauf zur Rütliwiese ab. Dies auf den Tag genau 79 Jahre nachdem General Henri Guisan beim so genannten Rütlirapport das Volk zu neuem Widerstandsgeist motivierte.
Und genau das wolle er heute auch, sagt Rösti. Klar, die Umstände vor 79 Jahren seien nicht vergleichbar mit den heutigen. Aber die Symbolik. «Wenn wir den Rahmenvertrag mit der EU unterschreiben, verlieren wir die Unabhängigkeit», sagt Rösti einmal in eine Fernsehkamera, einmal in ein Radiomikrofon, einmal einem schreibenden Journalisten. Die Schweiz solle widerstandsfähig bleiben.
«Schatz, jetzt kommen wir im Fernsehen»
Dann fügt er an: «Ich bin aber auch hier, um Kraft zu tanken für die Wahlen im Herbst.» Und dies sagt er auch zwei Wanderern, die wie er an diesem Vormittag einen Ausflug zur sagenumwobenen Gründungsstätte der Eidgenossenschaft unternehmen.
Das Paar erkennt ihn sofort. Der SVP-Parteipräsident schüttelt ihnen die Hände – vor laufender Fernsehkamera. Und als Rösti mit dem Journalistentross weiter zieht, sagt die Frau zu ihrem Mann, der mit dem Handy noch ein Erinnerungsfoto schiesst: «Schatz, jetzt kommen wir im Fernsehen.»
Zu verlieren, sei keine Schande
Angst, dass die SVP als grosse Verliererin aus den Wahlen hervorgehen könnte, hat Rösti nicht. Auch nach dem schlechten Abschneiden bei den kantonalen Wahlen in Zürich und Luzern. Es wäre schlicht falsch, in Sorge zu sein. Aber Kraft brauche er schon. Und zu verlieren sei schliesslich keine Schande. «Man muss einfach wieder aufstehen», sagt er und überholt die Journalisten.
Er stellt sich vor sie hin und sagt, er wolle sich noch schnell zur Klimadebatte äussern. Ja, das Klima verändere sich, das könne man nicht leugnen. Es ist gut 35 Grad, Rösti schwitzt und sagt: «Schaut diese wunderschöne Landschaft an. Wenn wir unsere Bauern mit zusätzlichen Abgaben belasten, steigen die Kosten, der Import nimmt zu und folglich auch der CO2-Ausstoss.»
Nun steht Rösti oben auf der Wiese, über ihm weht die Schweizerfahne. Er juchzt aus voller Kehle und geniesst es sichtlich, sich an diesem historischen Ort in Szene zu setzen. «Jetzt ist aber Zeit für den Apéro im Restaurant Rütlihaus», sagt er. Zu lange will er in unmittelbarer Nähe der Wiese nicht stehen bleiben und Fragen beantworten. Nicht, dass ihm dieser Ausflug noch zum Verhängnis wird.
(SDA/sf)