In der grössten Tierschutzorganisation des Landes brodelt es. Gewichtige Vorstandsmitglieder begehren auf – und erheben Vorwürfe gegen die Präsidentin und ihren engsten Mitarbeiterkreis. Der Schweizer Tierschutz (STS), der normalerweise Versäumnisse in Ställen, in Laboren oder der Fleischindustrie anprangert, sieht sich mit Missständen in den eigenen Reihen konfrontiert.
Dem SonntagsBlick liegen interne Dokumente vor. Sie ergeben ein Bild einer altehrwürdigen Organisation, die gerade die Kontrolle über sich selbst verliert. Ein Dachverband, millionenschwer und steuerbefreit, geprägt von einem autoritären Führungsstil, einer Kultur der Intransparenz – und Streitereien auf Führungsebene.
Konfrontiert mit den Recherchen, packen aktive und ehemalige Mitglieder des Zentralvorstands – eine Art Verwaltungsrat des Verbands – aus. Unter ihnen sind die SP-Nationalrätin Martina Munz, ETH-Agraringenieur Michel Roux und der TV-Talker Kurt Aeschbacher.
Die Präsidentin
Im Fokus der Kritik steht die Tierschutz-Präsidentin Nicole Ruch, Betriebsökonomin und Credit-Suisse-Bankerin aus Biel BE. Im November 2021 wurde sie an die Spitze des Verbands gewählt. Ihre Aufgabe sei rein strategischer Natur, sagte sie damals. Wichtig sei vor allem, Geld zu beschaffen: «Ohne Geld kann nichts erreicht werden.»
SP-Nationalrätin Martina Munz, die seit 2019 im Zentralvorstand des Tierschutzes sitzt, sagt: «An der Spitze des Verbands hat sich über die Jahre ein problematisches Machtgefüge installiert. Die Präsidentin verhält sich wie eine Alleinherrscherin. Ruch und ihre Leute führen den Verband autoritär und intransparent.»
Munz und andere Vorstandsmitglieder haben laut eigenen Angaben über eineinhalb Jahre versucht, die Probleme intern zu lösen – ohne Erfolg. Zuletzt forderten sie im Dezember eine interne Untersuchung wegen diverser Missstände.
Brisant: Die Nationalrätin, Agraringenieur Michel Roux und weitere STS-Insider haben offenbar Hinweise auf finanzielle Unregelmässigkeiten. Diese sollen die Verwaltung von Immobilien betreffen, die dem Tierschutz von Privatspendern überlassen wurden. Dokumente stützen den Verdacht. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Millionenschwer
Fakt ist: Der Verband nahm allein im letzten Jahr mehr als acht Millionen Franken ein, davon vier Millionen Legate und Erbschaften und 2,5 Millionen Spenden.
Der Ursprung der internen Probleme reicht zurück in die Ära des Ex-Präsidenten. Er führte den Tierschutz wie ein Patron sein KMU. Die neue Präsidentin habe es dann verpasst, die nötigen Reformen aufzugleisen, sagt Munz: «Sie schaltet und waltet eigenmächtig, arbeitet nicht mit kritischen Kräften zusammen, hält relevante Informationen zurück.»
Das Organigramm zeigt, dass Ruch fast alle wichtigen Ressorts selbst leitet. Als Chefin des Ressorts Sektionen beaufsichtigt sie die Aussenbeziehungen zu den 70 lokalen Tierschutz-Vereinen im Land, die dem Dachverband angegliedert sind. Darüber hinaus steht sie an der Spitze der Ressorts Finanzen, Personal und Kommunikation.
«Ruch verletzt sämtliche Good-Governance-Regeln», sagt Agraringenieur Michel Roux, der ebenfalls dem Zentralvorstand angehört, für den er wie Munz ehrenamtlich arbeitet. «Der Schweizerische Tierschutz muss dringend zu einer transparenten Führung zurückfinden, die dem Standard einer Non-Profit-Organisation entspricht», fordert er. Das hätten sowohl die Spenderinnen und Spender als auch die Auftraggeber des Verbandes verdient.
Der Schweizer Tierschutz reagiert auf Fragen von SonntagsBlick mit einer vierseitigen Stellungnahme. Darin weist Sprecher Simon Hubacher die Vorwürfe der Vorstandsmitglieder vehement zurück. Diese würden der Präsidentin und der Organisation gezielt schaden wollen. «Diese Kreise torpedieren den Kampf für mehr Tierwohl.»
Präsidentin Ruch übt das Präsidium laut dem Sprecher «engagiert, umsichtig, partizipativ und zielorientiert» aus. Die Vorwürfe würden ihrer Führungskompetenz in keiner Weise gerecht. Im Gegenteil: Der STS verzeichne ein Rekord an Spenden, seit Ruch das Präsidium übernommen habe.
Ist die Modernisierung schuld?
Hubacher führt die Unruhe innerhalb des Verbands auf den Modernisierungsprozess zurück, den die Präsidentin bei ihrem Amtsantritt angestossen hat. Der Reformprozess sei eine Herausforderung für alle Beteiligten, werde intern aber «als grosse Chance» wahrgenommen.
Die Verdachtsäusserungen der Vorstandsmitglieder, wonach es im Immobilienbereich zu finanziellen Unregelmässigkeiten gekommen sein soll, bezeichnet Hubacher als haltlos. Der Verband ist zurzeit daran, sein Immobilien-Portefeuille «einer kritischen Betrachtung» zu unterziehen. Dafür hat der STS laut Hubacher eine externe Beratungsfirma engagiert. Ob Handlungsbedarf bestehe, werde anhand der Ergebnisse entschieden. «Falls dem so ist, wird das Präsidium sofort die notwendigen Schritte umsetzen und darüber informieren.»
SP-Nationalrätin Martina Munz findet die Antworten des Verbands unbefriedigend: «Typisch», sagt sie. «Missstände werden abgestritten oder unter den Teppich gekehrt.»
Was auffällt: In der Amtszeit von Präsidentin Ruch kam es zu diversen namhaften Abgängen. Grund war offenbar in mehreren Fällen Intransparenz und der ruppige Führungsstil.
Mitte 2022 trat der Leiter für das Ressort Finanzen im Zentralvorstand per sofort zurück. Er war erst wenige Monate im Amt. Seither leitet die Präsidentin auch diesen Bereich selbst. In einem internen Schreiben erklärte er seinen Abgang: «Mein Ziel war es, den STS in den Bereichen Corporate Governance und Transparenz weiterzuentwickeln, ich musste dann aber feststellen, dass diese Entwicklung nicht überall erwünscht ist.» Ihm sei bewusst geworden, dass der gemeinsame Konsens und der verbindende Spirit an einigen Orten fehle. Und wie wenig wandelbar die Strukturen im Verband seien.
Laut mehreren gut informierten Quellen war der Finanzmann Unregelmässigkeiten auf der Spur. Zudem habe die Präsidentin ihm verboten, relevante Informationen wie Verträge, Spesenabrechnungen oder detaillierte Erfolgsrechnungen an Mitglieder des Zentralvorstands weiterzugeben.
Sprecher Hubacher sagt dazu: «Der STS handelt stets transparent. Es wurde nichts verboten, sondern lediglich die organisierte Weitergabe von Informationen geregelt und angemahnt.»
Inkompetenz und Intransparenz
Erst kürzlich kündigte Geschäftsleitungs-Mitglied Stefan Flückiger seinen Job als Verantwortlicher für den Bereich Agrarpolitik. Der Abgang rief die graue Eminenz des Schweizer Tierschutzes auf den Plan: den ehemaligen Geschäftsführer und heutiges Ehrenmitglied Hansuli Huber. In einer Nachricht an die Präsidentin und den Zentralvorstand, über die letzte Woche auch das Finanzportal «Inside Paradeplatz» berichtete, wählte er deutliche Worte: «Liebe Nicole, geschätzte Damen und Herren, so kann es nicht weitergehen! Der STS läuft Gefahr, in die dritte Liga abzusteigen hinsichtlich öffentlicher Beachtung, Leistungsausweis und Wirkung.» Inkompetenz und Intransparenz seien «der Tod jedes Verbandes».
Ein weiterer Leidtragender der internen Querelen ist TV-Moderator Kurt Aeschbacher. Auch er war 2022 Mitglied im Zentralvorstand. Auch er nur wenige Monate. Aeschbacher hätte den Bereich Kommunikation und Marketing auf Vordermann bringen sollen. Doch die Präsidentin bremste ihn aus. An einer Sitzung kam es dann zum Zerwürfnis, worauf er per sofort zurücktrat. «Ich war schockiert über die Zustände», sagt er gegenüber SonntagsBlick.
Besonders schlecht ist die Stimmung beim Kontrolldienst, einem der Herzstücke des Tierschutzes. Die Abteilung überwacht die Nutztierhaltung in rund 1500 Betrieben in der ganzen Schweiz und kontrolliert Schlachthöfe und Tiertransporte. In den letzten zwei Jahren haben elf von insgesamt rund 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gekündigt.
Unüblich viele Ausfälle beim Kontrolldienst
Die Betroffenen klagen: Die Arbeitszeiten beim Kontrolldienst seien übermässig lang, die Pausen unzureichend, die Arbeitslast gross. Vorstandsmitglied Michel Roux sagt dazu: «Der intransparente, chaotische Führungsstil der Präsidentin vergrault langjährige Mitarbeitende. Viele Angestellte leiden.» Durch Kündigungen und Rücktritte verliere der STS zunehmend wichtiges Know-how und laufe Gefahr, dass er seine Aufgaben nicht mehr zufriedenstellend erfüllen kann.
Verbandssprecher Simon Hubacher räumt ein, dass es beim Kontrolldienst in den letzten zwei Jahren zu «unüblich vielen Ausfällen aufgrund von Unfall, Krankheit und persönlichen Veränderungen» kam. Dennoch habe der Kontrolldienst seine Aufgaben bei den Tierhaltungs- und Tiertransportinspektionen stets professionell wahrnehmen können. «Dass Herausforderungen und Engpässe bei einzelnen Mitarbeitenden zu temporär erhöhter Arbeitsbelastung und Verunsicherungen führen können, ist eine Tatsache», schreibt der STS in seiner Stellungnahme. Darauf sei auf der Führungsebene sofort reagiert worden.
In einem Protestschreiben, das ein Grossteil der Kontrolldienst-Mitarbeitenden am Freitag an die Präsidentin geschickt hat, tönt das anders: «Wir haben tatsächlich massive Probleme beim Kontrolldienst», schreiben die Angestellten. Und: «Diverse Mitarbeitende haben sich persönlich an Sie, Frau Ruch, gewandt und ihrer Besorgnis Ausdruck verliehen. Leider ohne Erfolg.» Man stehe an einem Punkt, an dem ein «Weiter wie bisher» nicht mehr akzeptiert werden könne.
Ebenfalls am Freitag wandte sich Präsidentin Nicole Ruch in einem Mail persönlich an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Dachverbandes. Darin schreibt sie: «Wir gehen davon aus, dass der SonntagsBlick einen Bericht veröffentlichen wird, in dem verschiedene Themen kritisch aufgenommen werden.» Es sei offensichtlich, dass «die Verursacher» solcher Berichte dem Schweizer Tierschutz Schaden zufügen wollen. Die Präsidentin wies die Mitarbeitenden an, gemeinsam nach vorne zu schauen.
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