Es war ein ruhiger Dienstagmorgen - der erste Arbeitstag nach dem langen Osterwochenende. Punkt 7.17 Uhr, am 8. April 1969, erschütterte eine Explosion das beschauliche Freiamt. In der Schweizerischen Sprengstoff-Fabrik (SSF) flog fast alles in die Luft.
Die Bilanz der zwei Sekunden dauernden Explosion in der «Pulveri»: 18 Tote und 108 Verletzte. Über die Zahl der Toten hatte es kurz nach dem Unglück kaum Angaben gegeben. Viele der rund 400 Angestellten hatten das Gelände im ersten Schock fluchtartig verlassen. Sie waren nach Hause zurückgekehrt oder irrten in der Gegend umher.
Kilometerweite Zerstörung
Die mächtige Druckwelle und weggeschleuderte Mauerstücke beschädigten in einer Umgebung von neun Kilometern 1300 Gebäude. Kaum ein Gebäude auf dem Firmenareal blieb unbeschädigt. Die Explosion war auch im zwanzig Kilometer entfernten Aarau zu hören.
Damalige Augenzeuge sprach davon, es habe in der Freiämter Gemeinde ausgesehen «wie nach einem Bombenanschlag». Die 200 Rettungskräfte, Feuerwehr und Sanitärer standen im Dauereinsatz. Die Menschen waren geschockt.
«Wir dachten, es könne nichts mehr passieren. Angst hatten wir nie», gab der damalige Gemeindeschreiber von Dottikon einem Reporter der «Schweizer Illustrierten» zu Protokoll. Seit 56 Jahren bestehe die Sprengstoff-Fabrik. Man sei froh um die Arbeitsplätze und die Steuereinnahmen.
Die Gefahren waren bekannt
Auf dem Fabrikationsgelände wurde damals Sprengstoff für die Landesverteidigung sowie für den Kraftwerk-, Tunnel- und Wasserbau produziert. Die Bedeutung der Sprengstoffproduktion nahm allerdings ab.
Das Wissen um die Gefahren war sehr wohl bekannt: Auf dem Plan der Sprengstoff-Fabrik waren eigentliche «Todeszonen» eingezeichnet gewesen. Kam es zu einer Explosion in diesem Arealen, so mussten die Anwesenden gemäss Plan mit dem Tode rechnen.
Die Ursache blieb ungeklärt
Die genaue Ursache der verheerenden Explosion konnte nie restlos geklärt werden. Als wahrscheinlich gilt eine Fehlmanipulation in der Nitrierabteilung mit flüssigem Trinitrotoluol (TNT), einem Sprengstoff für militärische Zwecke. Es war übrigens bereits die vierte Explosion in Dottikon nach 1927, 1956 und 1964.
Bei der Katastrophe vor fünfzig Jahren kamen 13 Schweizer, drei Italiener und zwei Spanier ums Leben. Unter den Toten waren auch Bauarbeiter, die zum Zeitpunkt der Explosion auf dem Firmenareal beschäftigt waren.
Sachschaden von mehreren Millionen Franken
Auch für die Schweizerische Unfallversicherung (Suva) war die Explosion aufgrund der hohen Zahl der Schwerverletzten ein Grossereignis. Insgesamt sprach die Suva 69 Personen eine Rente zu. Für die Angehörigen der 18 Todesopfer waren die Rentenentscheide innerhalb von acht Tagen gefällt. Der Schaden auf dem Firmengelände wurde mit 8,5 Millionen Franken angegeben.
Heute erinnert am Standort in Dottikon nichts mehr an die gewaltige Explosion. Die 1913 gegründete Sprengstoff-Fabrik wurde 1984 von der EMS-Chemie von Christoph Blocher übernommen.
Auf chemische sicherheitstechnische Reaktionen spezialisiert
Sechs Jahre später wurde das Unternehmen in EMS Dottikon umgenannt. Es heisst mittlerweile Dottikon Exclusive Synthesis AG. Chef ist Markus Blocher, ein Sohn von Christoph Blocher. Das international tätige Unternehmen ist auf chemische sicherheitstechnische Reaktionen spezialisiert. Sprengstoff wird schon lange nicht mehr produziert.
Rund 600 Menschen arbeiten am Standort Dottikon. Im Geschäftsjahr 2017/2018 wurde ein Nettoumsatz von 158 Millionen Franken und ein Reingewinn von knapp 26 Millionen Franken erzielt.
Die Betriebsfeuerwehr der Dottikon ist seit 1981 eine von drei Chemiewehren des Aargaus und leistet mit ihrem Fahrzeugpark im Notfall Einsätze bei Ereignissen mit Gefahrengütern in über neunzig Gemeinden des Kantons.
(SDA)