Vom Papst bestätigt, sagt die Freiburgerin Virginie Baudois (23)
«Ich bin ein Wunder!»

Die Freiburger Nonne Marguerite Bays (1815–1879) wird nächsten Monat vom Vatikan heiliggesprochen. Eines der Wunder, das sie vollbracht haben soll, geschah an der heute 23-jährigen Virginie Baudois, einer Kosmetikerin in Bulle FR. BLICK hat sie besucht.
Publiziert: 23.09.2019 um 23:14 Uhr
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Aktualisiert: 23.09.2020 um 20:23 Uhr
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In Siviriez FR geschah vor 21 Jahren ein Wunder – ein katholisch anerkanntes.
Foto: JEAN-GUY PYTHON
Laurent Grabet (Text) und Jean-Guy Python (Fotos)

Bauernhäuser wie dieses am Ortseingang von Siviriez gibt es unzählige im Kanton Freiburg: dreistöckig, gebaut um die vorletzte Jahrhundertwende. Doch auf dem unscheinbaren Grundstück geschah vor 21 Jahren ein Wunder – ein katholisch anerkanntes, der Vatikan hat es offiziell bestätigt.

Hätte alles seinen irdischen Lauf genommen, wäre die kleine Virginie Baudois, damals 22 Monate alt, unter den Rädern eines 2,5 Tonnen schweren Traktors nach menschlichem Ermessen zu Tode gekommen. «Aber dann», erzählt ihr Grossvater Norbert Baudois, der dabei war, «kam die Heilige Marguerite Bays».

«Ich dachte, sie sei tot»

Es geschah am 6. März 1998. Virginie, ihre grosse Schwester und ihre Cousins verbringen die Zeit bei Grossvater Norbert. Die Eltern sind zu einer Landwirtschaftsmesse nach Paris gereist. Es gibt viel zu tun auf dem Hof. Der Winter neigt sich dem Ende zu, die Zäune zum Schutz vor Schneebrettern und die Markierungspfosten entlang der Strasse müssen weggeräumt werden. Norbert Baudois setzt sich auf seinen grünen Hürlimann-Traktor. Virginie sitzt auf seinem Schoss. Die älteren Kinder sammeln die Pfosten ein. Später übernimmt das achtjährige Mädchen das Steuer, für die damalige Zeit nichts Ungewöhnliches. Virginie, die Kleinste, bleibt auf dem Traktor sitzen.

Sogar der Traktor wurde untersucht

Die Einwohner von Siviriez FR schreiben Marguerite Bays gleich mehrere Wunder zu. Ab 1927 begann ein längeres Seligsprechungsverfahren. Als erstes Wunder wurde jenes von 1940 anerkannt. Bei einer Bergtour in den Freiburger Voralpen rutschte eine junge Frau aus und riss zwei der angeseilten Kollegen in die Tiefe. Der 19-jährige Marcel Menétrey überlebte als Einziger. Er hatte zuvor, wie er berichtete, ein Stossgebet Richtung Marguerite Bays ausgestossen, worauf sich das Seil durchtrennt habe und er nicht mit den andern heruntergezogen wurde.

Papst Johannes-Paul II. sprach Bays deswegen am 29. Oktober 1995 selig. Es gab unzählige alpinistische Gutachten – aber auch Kritik. So etwa, weil das «durchgetrennte» Seil Knoten hatte, wie auf einer später aufgetauchten Fotografie zu sehen ist, und sich einer davon gelöst haben könnte. Oder dass die fromme Bays nur Menétrey rettete und drei andere Menschen in den Tod stürzen liess, darunter ein Priester und ein Ministrant.

Trotz dieser weltlichen Einwände wurde das Verfahren zur Heiligsprechung eingeleitet – aber erst, nachdem Virginie Baudois den Unfall überlebt hatte. Der Traktor wurde im Rahmen der Überprüfung, die bis Januar 2019 dauerte, ebenso untersucht wie Virginie Baudois' medizinische Akte. Virginie, Norbert Baudois und die anderen Beteiligten mussten die Geschehnisse zudem noch einmal bezeugen – unter Eid auf die Bibel.

Die Einwohner von Siviriez FR schreiben Marguerite Bays gleich mehrere Wunder zu. Ab 1927 begann ein längeres Seligsprechungsverfahren. Als erstes Wunder wurde jenes von 1940 anerkannt. Bei einer Bergtour in den Freiburger Voralpen rutschte eine junge Frau aus und riss zwei der angeseilten Kollegen in die Tiefe. Der 19-jährige Marcel Menétrey überlebte als Einziger. Er hatte zuvor, wie er berichtete, ein Stossgebet Richtung Marguerite Bays ausgestossen, worauf sich das Seil durchtrennt habe und er nicht mit den andern heruntergezogen wurde.

Papst Johannes-Paul II. sprach Bays deswegen am 29. Oktober 1995 selig. Es gab unzählige alpinistische Gutachten – aber auch Kritik. So etwa, weil das «durchgetrennte» Seil Knoten hatte, wie auf einer später aufgetauchten Fotografie zu sehen ist, und sich einer davon gelöst haben könnte. Oder dass die fromme Bays nur Menétrey rettete und drei andere Menschen in den Tod stürzen liess, darunter ein Priester und ein Ministrant.

Trotz dieser weltlichen Einwände wurde das Verfahren zur Heiligsprechung eingeleitet – aber erst, nachdem Virginie Baudois den Unfall überlebt hatte. Der Traktor wurde im Rahmen der Überprüfung, die bis Januar 2019 dauerte, ebenso untersucht wie Virginie Baudois' medizinische Akte. Virginie, Norbert Baudois und die anderen Beteiligten mussten die Geschehnisse zudem noch einmal bezeugen – unter Eid auf die Bibel.

Plötzlich ertönt ein lauter Schrei. Nichts in seinem Leben sei für ihn so schmerzhaft gewesen wie dieser Unfall, erzählt der 88-jährige Norbert Baudois unter Tränen. «Ich sah noch, wie Virginie vor dem hinteren rechten Rad aufprallte. Bevor ich sie wegziehen konnte, rollten die Stollen schon über ihren Kopf. Als ich sie zu mir zog, wirkte ihr Körper leblos, ihr Gesicht eingedrückt. Ich dachte, sie sei tot – aber sie atmete. Da stiess es wie von allein aus mir heraus, direkt aus dem Herzen: ‹Merci, Marguerite!›»

«Das ist ein Wunder!»

Ein Onkel fährt das Mädchen ins Spital von Billens FR, wo es bis am Sonntag bleiben muss. Die verdutzten Ärzte stellen lediglich ein paar Hämatome fest. Die Organe sind intakt. Eine Erklärung für das Überleben: Die Knochen seien in diesem Alter halt noch besonders elastisch. Andere vermuten, dass das Mädchen nach seinem Sturz im Matsch versank, bevor der Traktor darüber rollte. Diese Theorie wird aber widerlegt. Denn auf dem Skianzug, den Virginie damals trug, findet man Pneuspuren, wogegen es auf dem Boden an der entsprechenden Stelle keinen einzigen Abdruck gibt. Einer der Ärzte ruft aus, was für Norbert Baudois ohnehin klar ist: «Das ist ein Wunder!»

Die katholische Kirche sieht das auch so. In den letzten Jahren hat sie das Ereignis einer eingehenden Prüfung unterzogen. Man kam zum Schluss: Marguerite Bays (1815–1879), die Schneiderin und Franziskanerin aus La Pierraz FR, hat hier ihr zweites Wunder vollbracht. Sie wird deshalb am 13. Oktober 2019 im Vatikan von Papst Franziskus posthum heiliggesprochen.

«Ich gebe nicht damit an»

Das «Wunder» selbst, Virginie Baudois, erinnert sich nicht mehr an den Unfall. «Boom, grand-papa», habe sie damals im Spital nur gemurmelt, erzählt ihre Mutter. Heute ist die Überlebende 23 Jahre alt, eine junge Frau, scheinbar wie viele andere. Sie hat einen Freund, beide sind gläubig. Virginie Baudois arbeitet als Kosmetikerin in Bulle FR. Es kommt vor, dass Kundinnen sie scheu darum bitten, noch einmal ihre Geschichte zu erzählen. Was sie dann unaufgeregt auch tut. Aber sie wolle «weder damit angeben, noch schäme ich mich dafür», sagt Baudois.

«Als Kind war ich das kleine Wunder. Das Mädchen, das unter den Traktor kam. Mir machte das nichts aus. Als Teenager begann ich mir dann Fragen zu stellen: Warum ich? Habe ich durch dieses Privileg nun die Verpflichtung, alles besonders gut zu machen?» In einem Lager für junge Christen habe sie dann ausführlich darüber reden können. Seitdem akzeptiert sie das Wunder als Teil ihrer selbst.

Für die einen ein makabrer, weiterer Beweis für das Wunder, für andere schlicht schrecklicher Zufall: Wenige Wochen nach Virginies Unfall wurde in der Region ein kleiner Junge ebenfalls von einem Traktor überrollt. Er kam dabei ums Leben.

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Die Freiburger Nonne Marguerite Bays (1815–1879).
Foto: JEAN-GUY PYTHON

«Ich bin nie alleine»

Virginie Baudois sieht sich nicht als besonders religiös. Aber sie verpasst bis heute fast keine Messe zu Ehren von Marguerite Bays, die am 27. jedes Monats in Siviriez abgehalten wird. Nur wenige ihrer Freundinnen können diesen Eifer nachvollziehen. Ihr sei es jedoch ziemlich egal, was die anderen über sie denken.

Die junge Frau betet häufig, Marguerite findet darin stets ihren Platz. Jeden Tag denke sie an die künftige Heilige. Manchmal besucht Virginie auch die nahe gelegene Kapelle Notre Dame du Bois, wo Marguerite häufig betete und ihr einst die Mutter Gottes erschienen sein soll. «Ich fühle mich dort geborgen, ich bin nie alleine. Da ist diese Wärme.»

Viele in Siviriez sehen Marguerite Bays, an deren Körper sich jeden Freitag die Wundmale Christi gezeigt haben sollen, als lebendige Heilige. Grossvater Baudois huldigt ihr seit eh und je. Er war 1953 als einer von Tausenden zugegen, als ihre Leiche exhumiert und in die Kirche gebracht wurde. In seinem kleinen Privatmuseum, wo er jeden Freitag das Rosenkranzgebet spricht, sei ihm eines Tages ein Bildnis erschienen: Marguerite Bays, in der Nähe der Kapelle, umringt von sechs Kindern. Zufall? Baudois hatte zu dieser Zeit genau sechs Enkelkinder auf dem Hof. «Seit diesem Tag bete ich morgens und abends zu Marguerite, auf dass sie meine Familie beschützen möge.»

Marguerite Bays, die künftige Heilige

Weiblich. Und weltlich. Gleich zwei Eigenschaften erschwerten es Marguerite Bays (1815–1879), heiliggesprochen zu werden. Als die gelernte Schneiderin vor gut 200 Jahren im Weiler La Pierraz im Kanton Freiburg geboren wurde, sprach die Kirche noch lieber Könige und Kirchenmänner zu Heiligen.

Doch Bays Biografie passt: Noch keine 40 Jahre alt ist sie, als sie an Darmkrebs erkrankt – und urplötzlich gesundet. Jeden Freitag zeigen sich von da an angeblich die Wundmale Christi an ihren Händen. Bays tritt in eine Laiengemeinschaft des Franziskanerordens ein, kümmert sich um Kinder, Arme, Kranke und Sterbende. Der Diözesanbischof lässt ihre Stigmata 1973 ärztlich untersuchen, sie bleiben unerklärlich.

Schon als Bays stirbt, wird sie wie eine Heilige verehrt. Ihr Haus in La Pierraz und die Gemeinde Siviriez, wo sie starb, sind heute beliebte Pilgerorte. Am Sonntag wird sie in Rom heiliggesprochen.

Weiblich. Und weltlich. Gleich zwei Eigenschaften erschwerten es Marguerite Bays (1815–1879), heiliggesprochen zu werden. Als die gelernte Schneiderin vor gut 200 Jahren im Weiler La Pierraz im Kanton Freiburg geboren wurde, sprach die Kirche noch lieber Könige und Kirchenmänner zu Heiligen.

Doch Bays Biografie passt: Noch keine 40 Jahre alt ist sie, als sie an Darmkrebs erkrankt – und urplötzlich gesundet. Jeden Freitag zeigen sich von da an angeblich die Wundmale Christi an ihren Händen. Bays tritt in eine Laiengemeinschaft des Franziskanerordens ein, kümmert sich um Kinder, Arme, Kranke und Sterbende. Der Diözesanbischof lässt ihre Stigmata 1973 ärztlich untersuchen, sie bleiben unerklärlich.

Schon als Bays stirbt, wird sie wie eine Heilige verehrt. Ihr Haus in La Pierraz und die Gemeinde Siviriez, wo sie starb, sind heute beliebte Pilgerorte. Am Sonntag wird sie in Rom heiliggesprochen.

«Nur ihretwegen bin ich hier»

Virginie Baudois wiederum erwacht jeden Tag «voller Dankbarkeit», wie sie sagt. Dankbar zu sein für das, was man habe, das sei bereits ein Gebet, findet sie. Nächsten Monat reist sie mit ihrem Grossvater nach Rom, um der Heiligsprechung beizuwohnen, die durch sie, das Wunder, erst möglich wird. «Da dürfen wir nicht fehlen», sagt Virginie. «Es schliesst sich damit ein Kreis für Marguerite und auch für mich. Denn nur ihretwegen bin ich ja noch hier.»

Übersetzung: Silvan Kämpfen

An der Seite von Niklaus von Flüe

Nach dem Schweizer Schutzpatron Niklaus von Flüe (1417–1487) und der Missionsschwester Maria Bernarda Bütler (1848–1924) ist Marguerite Bays erst die dritte Schweizer Heilige seit Gründung der Eidgenossenschaft: Aus katholischer Sicht «vollkommene Menschen», die Wunder vollbracht haben – sie sollen die Gegenwart Gottes in der Person zeigen.

Für die Seligsprechung ist ein Wunder nötig, für die Heiligsprechung ein zweites. Die Verfahren liegen bei der päpstlichen Kongregation für Selig- und Heiligsprechungsprozesse und können Jahrzehnte dauern. Einen ersten Höhepunkt hatte der Heiligenkult im Mittelalter, eine Renaissance erlebte er unter Johannes Paul II. Er sprach innerhalb seiner 27 Jahre als Papst 1338 Menschen selig, 482 heilig. Papst Franziskus ist ähnlich engagiert unterwegs.

Nach dem Schweizer Schutzpatron Niklaus von Flüe (1417–1487) und der Missionsschwester Maria Bernarda Bütler (1848–1924) ist Marguerite Bays erst die dritte Schweizer Heilige seit Gründung der Eidgenossenschaft: Aus katholischer Sicht «vollkommene Menschen», die Wunder vollbracht haben – sie sollen die Gegenwart Gottes in der Person zeigen.

Für die Seligsprechung ist ein Wunder nötig, für die Heiligsprechung ein zweites. Die Verfahren liegen bei der päpstlichen Kongregation für Selig- und Heiligsprechungsprozesse und können Jahrzehnte dauern. Einen ersten Höhepunkt hatte der Heiligenkult im Mittelalter, eine Renaissance erlebte er unter Johannes Paul II. Er sprach innerhalb seiner 27 Jahre als Papst 1338 Menschen selig, 482 heilig. Papst Franziskus ist ähnlich engagiert unterwegs.

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