Val d'Entremont hat die meisten Lawinentoten
Das gefährlichste Tal der Schweiz

Wieder geht ein Winter mit vielen Lawinentoten vorbei. Eine BLICK-Analyse zeigt, wo in der Schweiz die meisten Menschen den Weissen Tod fanden.
Publiziert: 30.05.2019 um 23:38 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2024 um 00:05 Uhr
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Nirgends kamen in den letzten 20 Jahren so viele Menschen in Lawinen ums Leben wie im Val d'Entremont.
Foto: Keystone
Vinzenz Greiner

Es ist eines der tragischsten Lawinenunglücke der Schweizer Geschichte. Am Mittag des 26. März 2011 löst sich im Val d'Entremont im Gebiet des Grossen St. Bernhard eine Lawine und reisst zehn französische Tourengänger mit sich. Nur fünf von ihnen überleben.

Gemäss Daten des Schweizerischen Lawinenforschungsinstituts SLF gab es in den letzten 20 Jahren nur drei Lawinen in der Schweiz, die mehr Tote forderten.

Mehr Tote als in Davos oder Zermatt

Der Weisse Tod ist im Val d'Entremont keine Seltenheit. Im Gegenteil: Nirgends in der Schweiz kamen so viele Menschen in Lawinen um wie im Walliser Tal an der Grenze zu Italien. Seit 1998 löschten Lawinen in der Umgebung der Talgemeinde Bourg-Saint-Pierre am Grossen St. Bernard 22 Menschenleben aus. Ein trauriger Schweiz-Rekord. Zum Vergleich: in den Wintersport-Destinationen Davos GR und Zermatt VS kamen im selben Zeitraum 19 beziehungsweise 17 Menschen ums Leben.

In Liddes VS, gute fünf Kilometer vor Bourg-Saint-Pierre, waren es drei Tote. Rechnet man jene hinzu, die um Orsières VS am Eingang zum Val d'Entremont starben, sind es noch einmal sieben mehr. Warum lassen so viele Menschen in diesem Tal ihr Leben in Lawinen?

Zum einen sind einige Hänge steil – und je steiler, desto leichter können sich Lawinen lösen. Zum anderen gingen über die Hälfte der Todeslawinen im Val d'Entremont an Hängen ab, die nördlich oder eher nördlich exponiert sind. Sie sind tendenziell schattiger, die verschiedenen Schneeschichten verbinden sich also wegen fehlender Sonnenwärme schlecht und können leicht abrutschen.

Erst einmal keine ungewöhnliche Situation in der Schweiz. Was genau also macht das Val d'Entremont zum Tal des Todes?

Viele meinen, ein Lawinenpiepser reiche

Die Anzahl der Lawinenunfälle habe nicht nur mit Schneeschichten und geografischen Gegebenheiten zu tun, sagt SLF-Lawinenwarner Kurt Winkler (53), sondern auch damit, wie viele Menschen sich abseits von Pisten bewegen. Und das werden im Val d'Entremont immer mehr.

Kein Wunder: Schweiz Tourismus bewirbt das Tal des Todes als Skitouren- und Schneeschuhwander-Paradies. Unter Tourengängern hat sich die Region um den Grossen St. Bernard als Topdestination herumgesprochen – ohne Lawinensprengungen, dafür auch ohne störende Skipisten und mit Tiefschnee en masse.

Mittlerweile kämen auch Leute ohne viele Ahnung vom Tourengehen, sagt Gilbert Tornare (64), seit 27 Jahren Ammann der Gemeinde Bourg-Saint-Pierre und selber Tourengänger. Solche, die meinten, sie seien mit Helm und Lawinenpiepsgerät sicher. Tatsächlich starben 60 Prozent aller Lawinenopfer im Val d'Entremont bei Gefahrenstufe 3, also in einer kritischen Lawinensituation. Tornare: «Die Natur hat immer das letzte Wort.»

«Viele nehmen Ratschläge nicht an»

So wie an jenem Märztag 2011, als die fünf Tourgengänger starben. «Sie sind an einen Ort gegangen, wo normalerweise niemand hingehen würde», erinnert sich Tornare.

Vor allem nicht die Einheimischen. «In den letzten Jahren kam meines Wissens nur eine Person aus unserer Region in Lawinen um», erklärt Tornare. Die Talbewohner könnten das Wetter, die immer wieder entstehenden Wächten, die Berge lesen. Dieses Wissen zapfe aber kaum ein Tourist an. «Viele gehen bei schwierigen Bedingungen und hören nicht auf die Ratschläge der Leute aus der Region.»

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