USA - Iran
Irakisches Parlament fordert Ausweisung der US-Truppen aus dem Land

Im Irak wächst nach dem tödlichen US-Drohnenangriff auf den iranischen Top-General Ghassem Soleimani der Widerstand gegen die US-Soldaten im Land: Das irakische Parlament forderte am Sonntag die Ausweisung der US-Truppen aus dem Land.
Publiziert: 05.01.2020 um 00:37 Uhr
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Aktualisiert: 05.01.2020 um 23:59 Uhr
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US-Präsident Donald Trump hat im Falle einer iranischen Attacke auf US-Bürger oder US-Einrichtungen am Samstag (Ortszeit) eine harte Reaktion seitens der USA angekündigt. (Archivbild)
Foto: OLIVIER MATTHYS

Die Aufforderung der Hisbollah-Brigaden im Irak an irakische Truppen und Sicherheitskräfte, sich von US-Soldaten fernzuhalten, liess neue Angriffe befürchten.

Iraks geschäftsführender Ministerpräsident Adel Abdel Mahdi verurteilte im Parlament die gezielte Tötung des iranischen Top-Generals Soleimani und des irakischen Milizenführers Abu Mehdi al-Muhandis «als politischen Mord". Es gebe zwei Möglichkeiten: «Die ausländischen Truppen aufzurufen, sofort zu gehen, oder ihr Mandat in einem parlamentarischen Prozess zu überprüfen.»

Parlamentspräsident Mohammed al-Halbusi verlas anschliessend eine Erklärung, welche die «Regierung zwingt, die irakische Souveränität zu schützen". Dafür solle die Regierung das bestehende Hilfsgesuch an die internationalen Gemeinschaft für den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zurückziehen. «Erklärung angenommen», erklärte Halbusi, wohingegen einige Abgeordnete eine Abstimmung forderten.

Von 329 Parlamentariern waren nur 168 anwesend, kurdische Abgeordnete und die Mehrheit der sunnitischen Abgeordneten boykottierten die Sondersitzung. Sie befürworten die Präsenz der US-Truppen als Gegengewicht zum Einfluss des Iran. Derzeit sind etwa 5200 US-Soldaten im Irak stationiert.

Die US-Regierung bezeichnete die Forderung des irakischen Parlaments nach einem Abzug aller amerikanischen Soldaten als «enttäuschend". Die USA appellierten an die irakische Führung, den Entscheid in Anbetracht der «Bedeutung der anhaltenden Partnerschaft» der beiden Länder in wirtschaftlichen und sicherheitsrelevanten Belangen zu überprüfen, erklärte das US-Aussenministerium am Sonntag (Ortszeit). Zudem sei es im gemeinsamen Interesse, den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat fortzusetzen, hiess es.

Die USA warteten nun auf weitere Informationen bezüglich des rechtlichen Status' der Resolution des Parlaments und deren Konsequenzen, erklärte das Ministerium weiter. Damit spielte die US-Regierung darauf an, dass in der Sache vielleicht noch nicht das letzte Wort gesprochen ist, zumal im Irak derzeit nur ein geschäftsführender Regierungschef im Amt ist.

Am Samstagabend schlugen Raketen nahe der US-Botschaft in Bagdad sowie eines Luftwaffenstützpunkts ein, auf dem US-Soldaten stationiert sind. Die US-geführte internationale Koalition zum Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) setzte ihren Einsatz im Irak vorerst aus. Dies betreffe sowohl die Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte als auch den direkten Kampf gegen den IS, teilte die Koalition am Sonntag mit.

Laut US-Aussenminister Mike Pompeo geht Washington davon aus, dass eine «grosse Wahrscheinlichkeit» für Attacken auf US-Streitkräfte im Irak oder im Nordosten Syriens besteht.

Mindestens drei Raketen schlugen am Sonntagabend laut Polizeikreisen nahe der US-Botschaft in der hochgesicherten Grünen Zone in Bagdad ein. Die Angriffe erfolgten mehrere Stunden nach Ablauf eines Ultimatums der pro-iranischen Hisbollah-Brigaden, wonach sich irakische Soldaten von US-Truppen entfernen sollten. Angriffe waren damit befürchtet worden. Die Hisbollah-Brigaden sind im Irak Teil der Hasched-al-Schaabi-Milizen, deren Nummer zwei al-Muhandis war.

Soleimani und al-Muhandis waren am Freitag durch einen von Präsident Donald Trump angeordneten US-Drohnenangriff in Bagdad getötet worden. Soleimani war einer der einflussreichsten Militärs seines Landes und Anführer der gefürchteten Al-Kuds-Brigaden der iranischen Revolutionsgarden. Die Führung in Teheran kündigte «schwere Vergeltung» an.

Trump wiederum drohte, die USA würden 52 iranische Ziele «sehr schnell und sehr hart» angreifen, sollte der Iran US-Bürger oder US-Einrichtungen attackieren. Er stellte damit einen Bezug zum Geiseldrama in der US-Botschaft 1979 her, bei dem 52 US-Bürger gefangen genommen worden waren.

Irans Aussenminister Mohammed Dschawad Sarif warnte die USA, jede Entscheidung, die Kulturstätten des Landes ins Visier zu nehmen, sei ein «Kriegsverbrechen".

Der Iran bestellte wegen der Drohungen den Schweizer Botschafter in Teheran ein, der die USA in dem Land diplomatisch mitvertritt. Die «feindseligen und bedrohlichen» Aussagen Trumps seien «absolut inakzeptabel und verstossen gegen internationale Gesetze», sagte Vizeaussenminister Abbas Araghchi dazu.

Unterdessen bezog der Iran den Atomstreit in die aktuelle Auseinandersetzung mit ein. Am Sonntagabend kündigte der Iran laut der Nachrichtenagentur Irna in einer Presseerklärung an, das Land werde nun sein Atomprogramm unbegrenzt weiterführen und auch Uran unlimitiert anreichern.

«Für das iranische Atomprogramm bestehen keine Einschränkungen mehr im operationellen Gebiet», teilte die iranische Regierung am späten Sonntagabend mit. Dies betreffe «die Fähigkeit zur Urananreicherung, den Anteil der Urananreicherung und andere Bereiche von Forschung und Entwicklung". Von jetzt an werde «das iranische Atomprogramm ausschliesslich auf Basis seiner technischen Notwendigkeiten fortgeführt".

Damit bleibt unklar, bis zu welchem Grad der Iran sein Uran anreichern will. Auch die Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA würde weitergeführt werden, hiess es. Teheran teilte ausserdem mit, sollten die Sanktionen aufgehoben werden und der Iran von dem Atomabkommen profitieren, sei das Land bereit, seinen Verpflichtungen entsprechend des Vertrags wieder nachzukommen.

Die Europäische Union bemühte sich derweil um Vermittlung zwischen den Lagern: Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell telefonierte am Wochenende mit dem iranischen Aussenminister Sarif und lud ihn nach Brüssel ein, wie die EU mitteilte.

Zudem habe Borrell seine Sorge über die zunehmend gewalttätigen Konfrontationen im Irak und über die Tötung des iranischen Generals Soleimani bei einem US-Luftangriff in Bagdad zum Ausdruck gebracht. Er habe den Iran dazu gedrängt, Zurückhaltung zu üben, jede Reaktion vorsichtig abzuwägen und eine weitere Eskalation zu vermeiden.

Grossbritannien kündigte zugleich an, zwei Kriegsschiffe in den Persischen Golf schicken. Der Zerstörer «HMS Defender» und die Fregatte «HMS Montrose» sollten Handelsschiffe in der Strasse von Hormus schützen, teilte Verteidigungsminister Ben Wallace nach einem Gespräch mit seinem US-Amtskollegen Mark Esper mit. In der Strasse von Hormus war es im Sommer 2019 zu mehreren Angriffen auf Öltanker gekommen, hinter denen die USA den Iran vermuten.

Deutschland, Grossbritannien und Frankreich riefen zudem alle Seiten zu «äusserster Zurückhaltung» auf. «Es kommt nunmehr entscheidend darauf an, zu deeskalieren», heisst es in einer gemeinsamen Erklärung der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem britischen Premierminister Boris Johnson, die das Bundespresseamt in Berlin am Sonntagabend veröffentlichte. «Wir appellieren an alle beteiligten Akteure, äusserste Zurückhaltung und Verantwortungsbewusstsein an den Tag zu legen. Die aktuelle Spirale der Gewalt in Irak muss beendet werden.»

Deutschland, Frankreich und Grossbritannien bekannten sich zugleich zur Fortsetzung des Kampfes gegen die Terrormiliz Islamischer Staat. Diesem komme weiterhin hohe Priorität zu. «Der Erhalt der Koalition besitzt in diesem Zusammenhang einen hohen Stellenwert. Wir fordern daher die irakischen Stellen auf, der Koalition weiterhin die erforderliche Unterstützung zu leisten.» Das irakische Parlament hatte die Regierung in Bagdad zuvor aufgefordert, den Abzug aller ausländischen Truppen im Land einzuleiten, die Teil des US-geführten Bündnisses zum Kampf gegen den IS sind.

Der Iran sei aufgerufen, von weiteren gewalttätigen Aktionen oder deren Unterstützung abzusehen und sämtliche Massnahmen zurückzunehmen, die nicht mit dem Nuklearabkommen in Einklang stünden, heisst es in der Erklärung.

Begleitet von massiven Drohungen gegen die USA begannen die mehrtägigen Trauerfeiern für Soleimani im Iran. Vor der Beisetzung Soleimanis am Dienstag in seiner Geburtsstadt Kerman finden in mehreren iranischen Städten Trauerzeremonien statt. Am Montag soll Irans geistliches Oberhaupt Ayatollah Ali Chamenei an Soleimanis Sarg beten.

(SDA)

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