Stephen Rapp (68) isst eilig eine Entenkeule und redet über Kriegsverbrechen, Gräueltaten und Folter. Aus Zeitgründen muss der ehemalige US-Sonderbotschafter für Kriegsverbrechen sein Mittagessen im Museum des Roten Kreuzes in Genf während des Gesprächs mit BLICK einnehmen. Rapp ist ein gefragter Mann, er hetzt von Vorträgen und Interviews zu Treffen mit Botschaftern und Menschenrechtsaktivisten.
Anfang der Woche sprach er in Genf am internationalen Filmfestival für Menschenrechte über den «historischen Moment», wie er ihn nennt: die erste internationale Strafanzeige gegen das Regime des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad (51). Für die Anzeige sammelte er 3600 Seiten an Beweisen. Die Situation in Syrien treibt ihn so stark um, dass er dafür keinen Lohn verlangt.
BLICK: Herr Rapp, haben Sie Albträume?
Stephen Rapp: Manchmal leide ich an Schlaflosigkeit. Es ist unmöglich, Distanz zu wahren. Als ich die Gräueltaten in Ruanda strafrechtlich verfolgte, hatte ich mit Menschen zu tun, die zusammen mit 5000 anderen Tutsi in einer Kirche ausharrten, während Hutu-Soldaten Granaten in die Menge warfen. Dann kamen die Milizen mit Macheten und hackten die Überlebenden tot. Manche überlebten schwer verletzt unter den Leichenbergen, während ihre Kinder geköpft wurden.
Wie verkraften Sie dieses Leid?
Indem ich versuche, die Täter in den Knast zu bringen. Die traumatischen Erfahrungen der Opfer treiben mich an.
Sie haben die erste internationale Strafanzeige gegen das Assad-Regime vorbereitet. Sie sichteten Beweise aus syrischen Foltergefängnissen. Sie mussten sich eine Menge schrecklicher Bilder anschauen.
Syrien ist etwas völlig Neuartiges. Es gelang, den bosnisch-serbischen General Ratko Mladic wegen des Massakers von Srebrenica nach 16 Jahren zu verhaften. Wir stellten ihn vor Gericht. Das war sogar möglich mit kongolesischen Warlords. Aber wegen des Vetos der Russen können wir nicht vor dem Internationalen Strafgerichtshof klagen. Wir können nur dafür sorgen, dass nationale Gerichte aktiv werden.
So wie in Spanien, wo Sie die Strafanzeige gegen neun Mitglieder von Assads innerem Zirkel stellten. Warum in Spanien?
Spanien klagte bereits den chilenischen Diktator Pinochet an. In Spanien gelten Verwandte von Verschwundenen als Opfer. Ich schaffte es, eine Syrerin mit spanischem Pass zu finden, deren Bruder in einem Regime-Gefängnis gefoltert und ermordet wurde. Damit kann ein spanisches Gericht die Täter strafrechtlich verfolgen. Wir glauben, dass gegen sie bald internationale Haftbefehle ausgestellt werden.
Gegen wen richtet sich die Strafanzeige?
Wir nennen die Namen der Täter nicht. So wissen sie nicht, dass sie bald gesucht werden. Es handelt sich um enge Gefolgsleute Assads. Seine Nummer zwei, Chefs der Geheimdienste und die Leiter des Foltergefängnisses in Damaskus.
Wie sind Sie auf die spanische Klägerin gestossen?
Vor drei Jahren veröffentlichte ein ehemaliger syrischer Militärfotograf mit dem Codenamen Caesar mehr als 55’000 Fotos von Syrern, die in Folterkerkern getötet wurden. Auf den meisten Fotos sind die Ermordeten mit einer eigenen Nummer versehen. Man sieht, wann sie in welchem Gefängnis ermordet wurden! Eine syrische Exilgruppierung veröffentlichte die Fotos. Irgendjemand erkannte darunter den Bruder unserer spanischen Klägerin. Und schickte ihr das Bild ihres toten Bruders per SMS, als sie gerade in Madrid ihre Mittagspause machte.
Die Caesar-Fotos sind der bisher überzeugendste Beweis für Assads Gräueltaten. Wie wichtig sind diese Beweise?
Sie sind sehr wertvoll. Wir haben gegen Assad härtere Beweise als gegen die Nazis. Die Nazis hatten zwar viele ihrer Verbrechen dokumentiert. Aber nie fotografierten sie die Ermordeten, versahen sie mit einer Identifikationsnummer und schrieben noch die Ermordungsstätte dazu. Die Kriegsverbrechen in Syrien sind noch schwerer zu leugnen als der Holocaust.
Frustriert Sie das nicht, dass Sie Beweise für Gräueltaten sammeln, sie aber nie verhindern können?
Unser Leben im Westen ist darum nicht widerlich, brutal und kurz, weil wir ein Rechtsstaatsprinzip haben. Wenn jemand ein schweres Verbrechen begeht, tun wir alles dafür, ihn vor Gericht zu stellen. Das schüchtert ein und etabliert Normen. Als Deutschland vor zwei Jahren Oskar Groening, den Buchhalter von Auschwitz, vor Gericht stellte, war das ein wichtiges Signal. Künftige Kriegsverbrechen verhindert man, indem man bei vergangenen Gräueltaten für Gerechtigkeit sorgt.
Wann wird Assad für seine Verbrechen bezahlen?
Es ist möglich, dass er stirbt, bevor er je einen Gerichtssaal von innen sieht. Aber die Menschen, die mit ihm zusammenarbeiten, werden zweifellos die Folgen spüren. Selbst wenn Assad ein Friedensabkommen unterzeichnet, kommt er nicht davon. Gemäss internationalem Recht kann man einer Person, die solche Verbrechen begangen hat, keine Amnestie geben. Bösewichte werden irgendwann verhaftet. Gewissen Dingen im Leben kann man nicht entfliehen.
Was stimmt Sie optimistisch?
Dass wir weitere Beweise gegen Assad finden. Von ihm unterschriebene Befehle etwa. Dem tschadischen Diktator Hissène Habré, der 40’000 Menschen umbringen liess, wurde 25 Jahre nach seiner Absetzung der Prozess gemacht. Weil handschriftliche Befehle von ihm publik wurden. Dass wir in Syrien solche Beweise finden, macht mir Hoffnung. Irgendwann werden die Verantwortlichen festgenommen, davon bin ich überzeugt.
Sie haben mit den schlimmsten Verbrechen zu tun. Wie können Sie noch die guten Seiten der Menschen sehen?
Oh boy. Es gibt rechtschaffene Menschen, die einander gut behandeln und ein gutes Umfeld erzeugen. Es gibt aber auch den Teufelskreis, in dem Menschen einander so schlecht behandeln, dass alle Opfer werden. Darum muss man jene, die Menschlichkeit zerstören, konsequent verfolgen.
Sie könnten in Pension gehen. Warum machen Sie weiter?
Weil ich immer noch die Kraft dazu habe. Ich kann mir unmöglich vorstellen, jemals aufzuhören.
Der US-Amerikaner Stephen Rapp (68) ist Staatsanwalt und Politiker. Er war Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda sowie am Sondergerichtshof für Sierra Leone. Von 2009 bis 2015 war er US-Sonderbotschafter für Kriegsverbrechen in der Obama-Administration. Während dieser Zeit reiste er 2,5 Millionen Kilometer, um in Ländern mit Kriegsverbrechen zu vermitteln und für Frieden und Stabilität zu sorgen. Heute ist Rapp Ermittler am The Hague Institute for Global Justice, einem Think Tank in Den Haag (NL). In Genf sprach Rapp am internationalen Filmfestival für Menschenrechte über die vernichtenden Beweise gegen Assad und seine Folterknechte.
Mehr Infos: www.fifdh.orgDer US-Amerikaner Stephen Rapp (68) ist Staatsanwalt und Politiker. Er war Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda sowie am Sondergerichtshof für Sierra Leone. Von 2009 bis 2015 war er US-Sonderbotschafter für Kriegsverbrechen in der Obama-Administration. Während dieser Zeit reiste er 2,5 Millionen Kilometer, um in Ländern mit Kriegsverbrechen zu vermitteln und für Frieden und Stabilität zu sorgen. Heute ist Rapp Ermittler am The Hague Institute for Global Justice, einem Think Tank in Den Haag (NL). In Genf sprach Rapp am internationalen Filmfestival für Menschenrechte über die vernichtenden Beweise gegen Assad und seine Folterknechte.
Mehr Infos: www.fifdh.org