Unglaublich! Sechs Polizisten gegen Jean-Luc (6)

Publiziert: 13.08.2005 um 23:22 Uhr
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Aktualisiert: 06.09.2018 um 20:36 Uhr
CHRISTIAN DORER
Der Bub wird weggeführt und nach Estland abgeschoben, obwohl er immer in Augst BL beim Vater lebte. Der kämpft jetzt verzweifelt um Jean-Luc (6).

Vor drei Wochen fühlten sich Stefan Berger (50) und sein Sohn im Paradies – Sommerferien an Spaniens Atlantikküste. Sie ahnten nicht, welcher Albtraum drei Tage nach ihrer Rückkehr in die Schweiz beginnen würde.

Am Mittwoch, 27. Juli, spielt Jean-Luc mit Nachbarskindern im Sandkasten vor dem Haus. Gegen 17 Uhr tauchen sechs uniformierte Polizisten auf, fünf Männer und eine Frau. Sie fragen nach Jean-Luc. Einer nimmt ihn an der Hand: Mitkommen! Mit dem schreienden Kind marschiert das Grossaufgebot zur Gemeindekanzlei. Die drei Kinder der Nachbarsfamilie Zeqiri sind so schockiert, dass sie die halbe Nacht nicht schlafen, erzählt ihre Mutter, welche die absurde Szene beobachtet hat.

Überrumpelter Vater

Was war passiert? Der Streit, über den SonntagsBlick alle Behörden-Akten vorliegen hat, beginnt im Frühling 2004: Die Mutter fährt mit Jean-Luc in ihre Heimat Estland in die Ferien – und kehrt allein zurück; den Bub hat sie bei den Grosseltern gelassen. Sie eröffnet dem verdutzten Vater, dass sie ihn verlassen und nach Estland gehen will.

Berger sucht Hilfe bei der Vormundschaft. Gemeindeschreiber Roland Trüssel hält im Protokoll fest: «Die Situation ist sehr bedauerlich, als der Junge seine gewohnte Umgebung und eine Bezugsperson verliert.» Der Vater steht dem Kind viel näher als die Mutter. Die Dorfpolizistin sagt aus: «Die Mutter hat sich bisher kaum um den Jungen gekümmert (wurde von verschiedenen Personen bestätigt).»

Im Sommer 2004 fährt Berger nach Estland und einigt sich mit seiner Ex-Partnerin: Jean-Luc soll wie geplant den Kindergarten in der Schweiz besuchen. Berger ist bereit, ihr eine Wohnung zu zahlen, damit sie mit Jean-Luc in seiner Nähe wohnen kann. Vater und Sohn fahren in die Schweiz zurück. Der Gemeindeschreiber hält fest: «Jean-Luc wirkte etwas verschüchtert, aber auch erleichtert. Mir scheint, er sei sehr gerne bei seinem Vater.»

Schweigende Mutter

Ende September meldet sich die Mutter per E-Mail bei den Behörden: Sie will Jean-Luc zurückhaben. Weil sie nicht mit Berger verheiratet ist und das alleinige Sorgerecht hat, steht ihr das zu. Doch die Behörden versuchen vergeblich, mit der Mutter in Kontakt zu treten – und sie lässt monatelang nichts von sich hören. Protokoll vom 5. April 2005: «Bisher hat sie keine sichtbaren Bemühungen unternommen, ihren Sohn wieder zu sich zu holen.»

Derweil besucht Jean-Luc den Kindergarten. Sein Vater hat sein eigenes Geschäft, er importiert FischDelikatessen. Ist er unterwegs, kümmern sich die Grosseltern um Jean-Luc. Sie wohnen nebenan in einem grossen Bauernhaus.

Gleich nach der Polizeiaktion beauftragt Berger einen Anwalt; der reicht Beschwerde ein. Trotzdem wird Jean-Luc am vergangenen Mittwochmorgen seiner Mutter übergeben. Der Vater erfährt im Nachhinein, dass der Kleine bereits im Auto nach Estland unterwegs ist, Distanz 3000 Kilometer. Er versteht die Welt nicht mehr: «Ich dachte immer, wir lebten in einem Rechtsstaat. Ich werde kämpfen, bis ich wieder mit Jean-Luc zusammen bin.» Vor allem will er, dass die Behörden endlich auch Jean-Luc anhören. Seit Tagen schläft Berger nicht mehr. Sein Vater, der frühere Landratspräsident Hans Berger (85), wurde ins Spital eingeliefert, so sehr hat ihm das Drama zu schaffen gemacht.

Was sagt die Kantonspolizei Baselland zur Abführmethode à la USA? Sprecher Meinrad Stöcklin: «Wir setzen bloss die amtliche Verfügung um. Der Amtsvormund fühlte sich bedroht.» Doch davon findet sich kein Wort in den Protokollen. Bei Amtsvormund Rudolf Graf und bei Gemeindeschreiber Trüssel heisst es bloss: «Kein Kommentar.»

Im Kinderzimmer in Augst BL liegen die Spielsachen herum, an der Türe hängt das orange Kindergärtler-Dreieck. Der verzweifelte Vater: «Ein Leben ohne mein Kind kann ich mir nicht vorstellen.»

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