Inmitten der militärischen Eskalation um die syrische Rebellenhochburg Idlib will der russische Präsident Wladimir Putin mit seinem türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdogan über die Lage beraten. Bei dem Gespräch an diesem Donnerstag in Moskau wollen die Politiker dem Kreml zufolge nach Massnahmen suchen, damit sich die Situation nicht weiter zuspitzt.
Erdogan hatte zuvor gesagt, dass er auf eine «Waffenruhe» oder andere Lösungen hoffe. Es werde «zweifelsohne ein schwieriges Treffen», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow nach Angaben der Agentur Interfax. Ob ein Ausweg aus der Krise in Idlib gefunden werde, bleibe abzuwarten.
Türkei kämpft in Syrien gegen Russland
Russland ist in dem seit 2011 andauernden Bürgerkrieg die Schutzmacht der syrischen Regierung. Die Türkei unterstützt in der Region Rebellen, darunter islamistische Gruppen. Ankara hatte 2018 mit Moskau ein Abkommen geschlossen, um in Idlib eine Deeskalationszone einzurichten, und hatte dort Beobachtungsposten eingerichtet.
Eigentlich gilt auch eine Waffenruhe. In den vergangenen Wochen war aber das syrische Militär mit russischer Unterstützung weiter in dem Gebiet vorgerückt. Die Türkei aber hatte zuletzt mehrfach syrische Regierungstruppen angegriffen. «Diese Situation beunruhigt den Kreml», sagte Putins Sprecher Peskow.
Humanitäre Krise bahnt sich an
Hunderttausende Menschen sind wegen der Kämpfe auf der Flucht. Die Hilfsorganisationen kommen wegen der grossen Zahl an Vertriebenen in kurzer Zeit kaum noch hinterher, diese zu versorgen.
Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell betonte am Mittwochabend die verheerende humanitäre Lage. Für die Menschenrechte sei es «eine der dramatischsten» Situationen «seit dem Weltkrieg», sagte der Spanier in Zagreb. Fast eine Million Menschen würden mitten im Winter in Richtung der Grenze zur Türkei gedrängt, die für sie jedoch verschlossen sei.
In den vergangenen Tagen hatte es zudem heftige Zusammenstösse türkischer Truppen mit dem syrischen Militär gegeben. Dabei waren innerhalb einer Woche mindestens 37 türkische Soldaten getötet worden. Seit Anfang Dezember sind es bereits mehr 50 gewesen.
Erdogan setzt die EU unter Druck
Erdogan forderte auch die Unterstützung Europas für Bemühungen seines Landes um eine politische Lösung in Syrien. Nur so könne die Migrationskrise bewältigt werden, sagte Erdogan am Mittwoch in Ankara vor einem Treffen mit EU-Ratspräsident Charles Michel.
Der «Migrationsstrom» werde so lange anhalten, bis in Syrien eine neue Verfassung ausgearbeitet und freie Wahlen abgehalten werden könnten. «Wenn die Länder Europas die Probleme lösen wollen, müssen sie die politische und humanitäre Lösung, die die Türkei in Syrien zu realisieren versucht, unterstützen», sagte Erdogan.
Er hoffe, dass die EU durch die aktuellen Entwicklungen die «Wahrheit» erkenne, fügte er hinzu. Details dazu, wie die Unterstützung aussehen könnte, nannte er nicht.
Erdogan will verhindern, dass angesichts der Kämpfe in Idlib weitere Flüchtlinge in die Türkei kommen. Am Samstag hatte Erdogan verkündet, die Türkei habe für die Flüchtlinge im Land die Grenzen in Richtung EU geöffnet. Daraufhin hatten sich Tausende Migranten auf den Weg zur türkisch-griechischen Grenze gemacht. Beobachter gehen davon aus, dass Erdogan die EU damit unter Druck setzen will.
Vor dem Hintergrund der Lage in Idlib und der angespannten Situation an der griechischen EU-Aussengrenze kommen die EU-Verteidigungs- und Aussenminister am Donnerstag in Zagreb zusammen. Beide Treffen dürften von den aktuellen Ereignissen überlagert werden. Für Deutschland ist Verteidigungsminister Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) beziehungsweise Aussenminister Heiko Maas (SPD) dabei.
In Berlin diskutiert am Donnerstag zudem der Bundestag in einer Aktuellen Stunde über die Eskalation in Idlib und die Folgen für Europa. (SDA)
Seit 2011 tobt der Krieg in Syrien. Zeitweise sah es so aus, als verliere Präsident Baschar al-Assad seine Macht. Mittlerweile aber konnten Regierungsgruppen grosse Gebiete des Landes wieder einnehmen. Ein Überblick:
- Syrische Regierung
Assads Anhänger kontrollieren fast den gesamten westlichen Teil des Landes von Aleppo im Norden über das Zentrum um die Hauptstadt Damaskus bis zur Stadt Daraa im Süden, wo der Aufstand im Frühjahr 2011 begonnen hatte. Regierungstreue Kräfte beherrschen damit den grössten Teil der noch verbliebenen Einwohner und die wichtigsten Städte. Allerdings ist die Armee dabei auf Hilfe angewiesen.
Das sind einerseits lokale Milizen, die oft von Kriegsherren kommandiert werden. Dazu zählen aber auch ausländische schiitische Milizen, die vom Iran unterstützt werden, wie die Hisbollah aus dem Libanon. Russlands Armee unterstützt die Regierung mit Luftangriffen. - Die Rebellen
Eine ihrer letzten verbliebenen Hochburgen ist die Region um die Stadt Idlib im Nordwesten Syriens. Eine der stärksten bewaffneten Gruppen dort ist die Organisation Tahrir al-Scham (HTS), die früher zum Terrornetzwerk Al-Kaida gehörte. In dem Gebiet leben auch mehr als eine Millionen Menschen, die aus anderen Regionen vor den Assad-Truppen geflohen sind. Die humanitäre Lage ist schwierig. - Die Türkei
Gemeinsam mit syrischen Rebellen beherrschen Ankaras Truppen ein Gebiet nördlich von Idlib rund um die Stadt Afrin. Die türkische Armee war hier im Frühjahr einmarschiert und hatte die Kurdenmiliz YPG vertrieben. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan droht nun mit einer neuen Offensive gegen die Kurden. - Die Kurden
Sie beherrschen grosse Gebiete im Norden und Osten Syriens und haben eine Selbstverwaltung errichtet. Die Kurdenmiliz YPG führt eine Koalition an, zu der auch lokale arabische Gruppen gehören. Die so genannten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) bekämpfen nahe der Grenze zum Irak einer der letzten Bastionen des IS. Die Kurden kontrollieren auch die wichtigsten Ölvorräte des Bürgerkriegslandes. - Die USA
Washington hat etwa 2000 Mann im Land, die die YPG und SDF unterstützen, unter anderem mit Ausbildung. Als Hauptziel nennen sie die Zerschlagung des IS. Die USA führen auch eine internationale Koalition an, die Luftangriffe auf die Extremisten fliegt. Trump liess die US-Truppen im Oktober 2019 abziehen und brach die Unterstützung der kurdischen Kämpfer ab.
- Der IS
Die Terrormiliz Islamischer Staat hat ihr früheres Herrschaftsgebiets fast vollständig verloren. Im Osten kontrolliert sie noch ein kleines Gebiet. In den Wüstenregionen Syriens und auch des Iraks sind aber noch Zellen aktiv, die Terroranschläge verüben.
Seit 2011 tobt der Krieg in Syrien. Zeitweise sah es so aus, als verliere Präsident Baschar al-Assad seine Macht. Mittlerweile aber konnten Regierungsgruppen grosse Gebiete des Landes wieder einnehmen. Ein Überblick:
- Syrische Regierung
Assads Anhänger kontrollieren fast den gesamten westlichen Teil des Landes von Aleppo im Norden über das Zentrum um die Hauptstadt Damaskus bis zur Stadt Daraa im Süden, wo der Aufstand im Frühjahr 2011 begonnen hatte. Regierungstreue Kräfte beherrschen damit den grössten Teil der noch verbliebenen Einwohner und die wichtigsten Städte. Allerdings ist die Armee dabei auf Hilfe angewiesen.
Das sind einerseits lokale Milizen, die oft von Kriegsherren kommandiert werden. Dazu zählen aber auch ausländische schiitische Milizen, die vom Iran unterstützt werden, wie die Hisbollah aus dem Libanon. Russlands Armee unterstützt die Regierung mit Luftangriffen. - Die Rebellen
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Sie beherrschen grosse Gebiete im Norden und Osten Syriens und haben eine Selbstverwaltung errichtet. Die Kurdenmiliz YPG führt eine Koalition an, zu der auch lokale arabische Gruppen gehören. Die so genannten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) bekämpfen nahe der Grenze zum Irak einer der letzten Bastionen des IS. Die Kurden kontrollieren auch die wichtigsten Ölvorräte des Bürgerkriegslandes. - Die USA
Washington hat etwa 2000 Mann im Land, die die YPG und SDF unterstützen, unter anderem mit Ausbildung. Als Hauptziel nennen sie die Zerschlagung des IS. Die USA führen auch eine internationale Koalition an, die Luftangriffe auf die Extremisten fliegt. Trump liess die US-Truppen im Oktober 2019 abziehen und brach die Unterstützung der kurdischen Kämpfer ab.
- Der IS
Die Terrormiliz Islamischer Staat hat ihr früheres Herrschaftsgebiets fast vollständig verloren. Im Osten kontrolliert sie noch ein kleines Gebiet. In den Wüstenregionen Syriens und auch des Iraks sind aber noch Zellen aktiv, die Terroranschläge verüben.