Krieg in Syrien
Gezielte Luftangriffe auf Krankenhäuser in Rebellengebiet Idlib

Die neue Angriffswelle auf Syriens letztes grosses Rebellengebiet um die Stadt Idlib verschärft die humanitäre Not in der Region. Seit Beginn der Angriffe in der vergangenen Woche sind dort mindestens zwölf Gesundheitseinrichtungen getroffen worden.
Publiziert: 07.05.2019 um 20:30 Uhr
|
Aktualisiert: 08.05.2019 um 15:20 Uhr
1/6
In dem Gebiet leben rund drei Millionen Zivilisten, rund die Hälfte davon Flüchtlinge. Viele sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Grosse Teile des Gebietes sind zerstört.
Foto: AFP

Das meldete das Uno-Nothilfebüro Ocha am Dienstag. Die Gesundheitsbehörde der von Rebellen kontrollierten Provinz Idlib erklärte, sieben Kliniken und Gesundheitszentren seien zum Teil stark beschädigt oder völlig zerstört. Nach Uno-Angaben sind rund 150'000 Menschen vor den neuen Angriffen auf der Flucht. Auch neun Schulen wurden demnach getroffen.

Neue Flüchtlingswelle

Syriens Regierung und ihr Verbündeter Russland hatten in der vergangenen Woche eine neue Serie von Luftangriffen auf die Region begonnen. Die humanitäre Lage dort ist ohnehin seit Monaten angespannt.

In dem Gebiet leben rund drei Millionen Zivilisten, rund die Hälfte davon Flüchtlinge. Viele sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Aktivisten berichteten, wegen der neuen Angriffswelle gebe es eine Fluchtbewegung in Richtung der türkischen Grenze.

Gezielte Angriffe auf Krankenhäuser

Die Hilfsorganisation Malteser International erklärte, ein von ihr unterstütztes Spital in den Ort Kafr Nubl sei nun ausser Betrieb. Es war demnach die einzige chirurgische Klinik im Umkreis von 50 Kilometern. Alle von den Maltesern unterstützten Einrichtungen seien über die Uno als konfliktneutrale Infrastruktur gemeldet.

Gezielte Angriffe (auf Spitäler) stellten eine Verletzung des (humanitären) Völkerrechts dar, gehörten aber zum schrecklichen Alltag der leidenden Zivilbevölkerung in Syrien, erklärte die Malteser-Leiterin Naher Osten, Janine Lietmeyer.

Schon bei früheren syrischen und russischen Operationen hatte es immer wieder Angriffe auf Kliniken gegeben. So beklagten Helfer und Aktivisten vor zwei Jahren eine Angriffswelle auf Spitäler und andere medizinische Einrichtungen in Idlib. Regierungsgegner werfen Syrien und Russland vor, so gezielt Schrecken verbreiten zu wollen.

Heftigste Angriffe seit Monaten

Uno-Generalsekretär Antonio Guterres rief die Konfliktparteien auf, den im September vereinbarten Waffenstillstand einzuhalten, wie dessen Sprecher Stéphane Dujarric sagte. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte ein Ende der Gewalt. «Die humanitäre Situation in Syrien ist kritisch und keine militärische Option ist akzeptabel», erklärte er über Twitter. Man sei «extrem besorgt».

Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte handelt es sich um die heftigsten Bombardierungen seit Monaten. Demnach kamen bisher mindestens 150 Menschen ums Leben. Zuletzt rückten die Anhänger von Präsident Baschar al-Assad auch am Boden vor. Sie werden von Russland und auch vom Iran unterstützt.

Russland sowie die Türkei als Verbündeter der Opposition hatten die Region zu einer so genannten Deeskalationszone erklärt und sich im September auf eine entmilitarisierte Pufferzone geeinigt.

Offensive auf Idlib

Sie soll eine Offensive der Regierung verhindern, mit der die Regierung droht. Die Region rund um Idlib ist nach acht Jahren Bürgerkrieg das letzte grosse Rebellengebiet Syriens. Es wird vor allem von der Al-Kaida-nahen Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) kontrolliert. Syrien und Russland argumentieren, sie bekämpften dort Extremisten.

Hilfsorganisationen hatten in den vergangenen Monaten immer wieder gewarnt, ein Angriff der Regierung auf das Gebiet könnte zu einer humanitären Katastrophe unbekannten Ausmasses führen.

Die meisten der nach Idlib vertriebenen Menschen sind bereits aus anderen Gebieten vor den Regierungstruppen geflohen. Für sie gibt es innerhalb Syriens kaum noch andere Zufluchtsorte. Die Türkei hat die Grenze zum Nachbarland für Flüchtlinge grösstenteils geschlossen.

(SDA)

Krieg in Syrien: Wer kämpft gegen wen?

Seit 2011 tobt der Krieg in Syrien. Zeitweise sah es so aus, als verliere Präsident Baschar al-Assad seine Macht. Mittlerweile aber konnten Regierungsgruppen grosse Gebiete des Landes wieder einnehmen. Ein Überblick:

  • Syrische Regierung
    Assads Anhänger kontrollieren fast den gesamten westlichen Teil des Landes von Aleppo im Norden über das Zentrum um die Hauptstadt Damaskus bis zur Stadt Daraa im Süden, wo der Aufstand im Frühjahr 2011 begonnen hatte. Regierungstreue Kräfte beherrschen damit den grössten Teil der noch verbliebenen Einwohner und die wichtigsten Städte. Allerdings ist die Armee dabei auf Hilfe angewiesen.
    Das sind einerseits lokale Milizen, die oft von Kriegsherren kommandiert werden. Dazu zählen aber auch ausländische schiitische Milizen, die vom Iran unterstützt werden, wie die Hisbollah aus dem Libanon. Russlands Armee unterstützt die Regierung mit Luftangriffen.

  • Die Rebellen
    Eine ihrer letzten verbliebenen Hochburgen ist die Region um die Stadt Idlib im Nordwesten Syriens. Eine der stärksten bewaffneten Gruppen dort ist die Organisation Tahrir al-Scham (HTS), die früher zum Terrornetzwerk Al-Kaida gehörte. In dem Gebiet leben auch mehr als eine Millionen Menschen, die aus anderen Regionen vor den Assad-Truppen geflohen sind. Die humanitäre Lage ist schwierig.

  • Die Türkei
    Gemeinsam mit syrischen Rebellen beherrschen Ankaras Truppen ein Gebiet nördlich von Idlib rund um die Stadt Afrin. Die türkische Armee war hier im Frühjahr einmarschiert und hatte die Kurdenmiliz YPG vertrieben. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan droht nun mit einer neuen Offensive gegen die Kurden.

  • Die Kurden
    Sie beherrschen grosse Gebiete im Norden und Osten Syriens und haben eine Selbstverwaltung errichtet. Die Kurdenmiliz YPG führt eine Koalition an, zu der auch lokale arabische Gruppen gehören. Die so genannten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) bekämpfen nahe der Grenze zum Irak einer der letzten Bastionen des IS. Die Kurden kontrollieren auch die wichtigsten Ölvorräte des Bürgerkriegslandes.

  • Die USA
    Washington hat etwa 2000 Mann im Land, die die YPG und SDF unterstützen, unter anderem mit Ausbildung. Als Hauptziel nennen sie die Zerschlagung des IS. Die USA führen auch eine internationale Koalition an, die Luftangriffe auf die Extremisten fliegt. Trump liess die US-Truppen im Oktober 2019 abziehen und brach die Unterstützung der kurdischen Kämpfer ab.

  • Der IS
    Die Terrormiliz Islamischer Staat hat ihr früheres Herrschaftsgebiets fast vollständig verloren. Im Osten kontrolliert sie noch ein kleines Gebiet. In den Wüstenregionen Syriens und auch des Iraks sind aber noch Zellen aktiv, die Terroranschläge verüben.

Seit 2011 tobt der Krieg in Syrien. Zeitweise sah es so aus, als verliere Präsident Baschar al-Assad seine Macht. Mittlerweile aber konnten Regierungsgruppen grosse Gebiete des Landes wieder einnehmen. Ein Überblick:

  • Syrische Regierung
    Assads Anhänger kontrollieren fast den gesamten westlichen Teil des Landes von Aleppo im Norden über das Zentrum um die Hauptstadt Damaskus bis zur Stadt Daraa im Süden, wo der Aufstand im Frühjahr 2011 begonnen hatte. Regierungstreue Kräfte beherrschen damit den grössten Teil der noch verbliebenen Einwohner und die wichtigsten Städte. Allerdings ist die Armee dabei auf Hilfe angewiesen.
    Das sind einerseits lokale Milizen, die oft von Kriegsherren kommandiert werden. Dazu zählen aber auch ausländische schiitische Milizen, die vom Iran unterstützt werden, wie die Hisbollah aus dem Libanon. Russlands Armee unterstützt die Regierung mit Luftangriffen.

  • Die Rebellen
    Eine ihrer letzten verbliebenen Hochburgen ist die Region um die Stadt Idlib im Nordwesten Syriens. Eine der stärksten bewaffneten Gruppen dort ist die Organisation Tahrir al-Scham (HTS), die früher zum Terrornetzwerk Al-Kaida gehörte. In dem Gebiet leben auch mehr als eine Millionen Menschen, die aus anderen Regionen vor den Assad-Truppen geflohen sind. Die humanitäre Lage ist schwierig.

  • Die Türkei
    Gemeinsam mit syrischen Rebellen beherrschen Ankaras Truppen ein Gebiet nördlich von Idlib rund um die Stadt Afrin. Die türkische Armee war hier im Frühjahr einmarschiert und hatte die Kurdenmiliz YPG vertrieben. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan droht nun mit einer neuen Offensive gegen die Kurden.

  • Die Kurden
    Sie beherrschen grosse Gebiete im Norden und Osten Syriens und haben eine Selbstverwaltung errichtet. Die Kurdenmiliz YPG führt eine Koalition an, zu der auch lokale arabische Gruppen gehören. Die so genannten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) bekämpfen nahe der Grenze zum Irak einer der letzten Bastionen des IS. Die Kurden kontrollieren auch die wichtigsten Ölvorräte des Bürgerkriegslandes.

  • Die USA
    Washington hat etwa 2000 Mann im Land, die die YPG und SDF unterstützen, unter anderem mit Ausbildung. Als Hauptziel nennen sie die Zerschlagung des IS. Die USA führen auch eine internationale Koalition an, die Luftangriffe auf die Extremisten fliegt. Trump liess die US-Truppen im Oktober 2019 abziehen und brach die Unterstützung der kurdischen Kämpfer ab.

  • Der IS
    Die Terrormiliz Islamischer Staat hat ihr früheres Herrschaftsgebiets fast vollständig verloren. Im Osten kontrolliert sie noch ein kleines Gebiet. In den Wüstenregionen Syriens und auch des Iraks sind aber noch Zellen aktiv, die Terroranschläge verüben.
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?