SVP übt Kritik an Vorlage
Vorläufig Aufgenommene sollen leichter arbeiten können

Die Schweizer Parteien unterstützen mehrheitlich tiefere Hürden für vorläufig Aufgenommene beim Eintritt in den Arbeitsmarkt. Grundsätzliche Kritik übt die SVP: Die vorgeschlagenen Änderungen würden dem Parlaments-Kompromiss nicht gerecht.
Publiziert: 29.05.2023 um 10:10 Uhr
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Für vorläufig Aufgenommene soll ein Umzug in einen anderen Kanton leichter möglich werden, wenn jemand dort eine Stelle findet. (Archivbild)
Foto: CHRISTIAN BEUTLER

Der Bundesrat muss auf Wunsch des Parlaments das Ausländer- und Integrationsgesetzes verändern. Zum einen sollte für vorläufig Aufgenommene ein Umzug in einen anderen Kanton leichter möglich werden, wenn jemand dort eine Stelle findet. Zum anderen sollten dieser Personengruppe Auslandsreisen im Grundsatz verboten werden.

Im Februar des laufenden Jahres schickte der Bundesrat eine Reihe von Verordnungsänderungen zum ersten Punkt in die Vernehmlassung. Auf eine Umsetzung der Bestimmungen zu den Auslandreisen auf Verordnungsebene verzichtete er vorerst. Die Vernehmlassung endete am Pfingstmontag offiziell.

Zu langer Arbeitsweg

Unter anderem sollen Erleichterungen beim Umzug in einen anderen Kanton gelten, wenn für Betroffene der Arbeitsweg andernfalls mehr als zwei Stunden dauert, der Arbeitsort mit dem öffentlichen Verkehr nicht oder nur schwer erreichbar ist oder wenn kurzfristige Arbeitseinsätze geleistet werden müssen. Einen Anspruch auf Kantonswechsel soll es auch geben, wenn andernfalls die Gesundheit einer Person gefährdet ist.

Unabhängig von der Gesetzesänderung schlägt die Landesregierung zudem zwei Neuregelungen vor: Wer über eine Härtefallbewilligung verfügt, soll eine Erwerbstätigkeit künftig nicht mehr separat bewilligen lassen müssen. Vorläufig Aufgenommene, Flüchtlinge und Staatenlose sollen zudem eine Erwerbstätigkeit nicht mehr melden müssen, wenn der Bruttomonatslohn maximal 600 Franken beträgt.

SVP stellt sich dagegen


Die SVP trägt den bundesrätlichen Vorschlag nicht mit. Auch ohne neue Elemente sei die Reform das Ergebnis eines Kompromisses, teilte die Partei mit. Dieser solle allerdings als Ganzes umgesetzt werden. Eine Etappierung mit Verweis auf die aktuelle Situation unter dem Gesichtspunkt des Ukrainekrieges sei nicht akzeptabel.

Nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 - wenige Monate nach dem Parlamentsbeschluss - hatte der Bundesrat für ukrainische Geflüchtete den Schutzstatus S aktiviert. Personen mit Schutzstatus S können heute grundsätzlich ohne Bewilligung ins Ausland reisen und in die Schweiz zurückkehren. Nur bei längeren Reisen in die Heimat kann der Bund den Schutzstatus widerrufen.

Der Abbau von Hürden bringe auch eine administrative Entlastung der Arbeitgeber, argumentiert die Mitte-Partei. Zudem werde die Abhängigkeit vorläufig aufgenommener Personen von der Sozialhilfe vermindert.

Linke unterstützt Reform


Auch die Grünen unterstützten die Reform. Insbesondere begrüsst die Partei, dass künftig auch häusliche Gewalt einen Umzug in einen anderen Kanton rechtfertigen kann. Wie die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) setzt sich die Partei allerdings dafür ein, dass Betroffene schon ab einem Arbeitsweg von mehr als einer Stunde den Wohnkanton wechseln dürfen.

Ins gleiche Horn stösst die SP. Bei einem Hin- und Rückweg von vier Stunden am Tag werde die Integration behindert statt gefördert. Auch die Bestimmungen hinsichtlich Gesundheitsgefährdung seien zu restriktiv formuliert.

Ebenso wie dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) gehen der Partei die vorgeschlagenen Änderungen zu wenig weit, auch wenn sie diese unterstützt. Der SGB hatte schon 2019 gefordert, vorläufig Aufgenommene sollten innerhalb der Schweiz ihren Wohnsitz grundsätzlich frei wählen können.

Städteverband einverstanden


Der Schweizerische Städteverband begrüsst die Verordnungsänderungen. Er unterstütze alle Massnahmen, welche die Erwerbstätigkeit von vorläufig Aufgenommenen, Flüchtlingen, Staatenlosen und Personen mit Härtefallregelung fördern. Administrative Vereinfachungen förderten die Integration in den Arbeitsmarkt.

Die Schweizerische Konferenz der Integrationsdelegierten steht dem Vorhaben ebenfalls positiv gegenüber. Nebst häuslicher Gewalt führe aber auch die Trennung von Familienangehörigen zu psychischer Belastung und damit schwerwiegender gesundheitlicher Gefährdung, dies solle berücksichtigt werden.

Die SP spricht sich in ihrer Stellungnahme zudem klar gegen Reiseverbote aus. Wie die Grünen fordert die Partei, vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Schutzstatus S auch die Situation vorläufig Aufgenommener zu verbessern.

Die FDP und die Grünliberalen verzichteten auf eine Stellungnahme in der Vernehmlassung.

Kantone haben Änderungswünsche

Präzisierungen, was Kantonswechsel angeht, wünscht die Solothurner Kantonsregierung. Im Grundsatz ist sie mit dem Vorhaben des Bundesrats einverstanden. Verliere jemand nach kurzer Zeit seine Stelle, bedeute dies für den neuen Wohnkanton unter Umständen aber ein Risiko, schreibt sie in ihrer Vernehmlassungsantwort. Der Solothurner Regierungsrat möchte Umzüge von einem Kanton in den anderen daher erst zulassen, wenn vorläufig Aufgenommene ein sechsmonatiges ungekündigtes Arbeitsverhältnis vorweisen können.

Die St. Galler Regierung ihrerseits wendet ein, dass mit dem Wegfall von Bewilligungspflichten auch Behördenkontakte wegfielen, die der Bekämpfung von Menschenhandel dienen könnten. Diesem Umstand müsse an anderer Stelle Rechnung getragen werden.

Der Kanton Basel Stadt seinerseits begrüsst eine rasche und nachhaltige Integration vorläufig aufgenommener Personen in den Arbeitsmarkt. Administrative Vereinfachungen bei der Aufnahme einer Arbeit oder beim Kantonswechsel werden als richtig erachtet. Dem Risiko von Missbräuchen von Lohn- und Arbeitsbedingungen beim Wegfall der Bewilligungspflicht könne mit den entsprechenden Kontrollen durch die Arbeitsmarktaufsicht begegnet werden.

Psychische Belastungen beachten


Nebst häuslicher Gewalt gebe es aber auch andere Formen schwerwiegender gesundheitlicher Gefährdungen, hiess es in der Vernehmlassungsantwort des Kantons Basel-Stadt weiter. Darunter fielen Hürden bei der sozialen Integration. So dürfe es nicht zur Trennung von Familienangehörigen ausserhalb der Kernfamilie kommen, dies könne zu schwerwiegenden psychischen Belastungen führen.

Der Kanton Appenzell Innerrhoden ist mit der Vorlage einverstanden.

Als vorläufig Aufgenommene gelten Personen, bei denen eine Wegweisung - etwa nach Ablehnung eines Asylgesuchs- nicht vollzogen werden kann oder darf. Grund dafür kann beispielsweise sein, dass gewisse Staaten ihre Bürgerinnen und Bürger nicht zurücknehmen oder dass den Betroffenen in ihrem Herkunftsland Verfolgung droht.

(SDA)

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