Heidi Z.* (85) erhält am 17. Januar einen Anruf von einer Frau aus einem polnischen Callcenter. Diese gibt sich als ihre Cousine aus. Sie bräuchte dringend «45'000 Fränkli» für ein Kunstwerk. Ihre Komplizin Ewa M.* (35) wird am gleichen Tag von der Polizei verhaftet, als sie das Geld bei der Rentnerin abholen will. (BLICK berichtete). Heute wird der Enkeltrick-Betrügerin am Bezirksgericht in Bülach ZH der Prozess gemacht. Ihr Fall ist exemplarisch für die Machenschaften der Verbrecherbanden.
Ewa M.* bekam von ihren Auftraggebern ein Reisegeld von 300 Franken und 50 Euro sowie ein Nokia-Handy. In Basel wartete sie auf einen Anruf aus Polen, um zur Wohnung von Heidi Z. zu fahren, wo bereits die Polizei auf die Mutter von drei Kindern wartete.
Familie von Ewa M. ist arm
BLICK weiss: Die Familie der Geld-Abholerin lebt im polnischen Leszno in grösster Armut. Die 35-Jährige ist geschieden. Das älteste Kind ist erwachsen. Aus Not sei sie ins Ausland gegangen, um Geld zu verdienen, erzählt ein Familienmitglied. Aus dem Gefängnis habe sie ihren Kindern einen Brief geschrieben, dass sie sie vermisse.
Die sogenannten Abholerinnen sind das Kanonenfutter der Enkeltrick-Drahtzieher, die im Hintergrund agieren. Die Organisation weist mafiöse Strukturen auf: Die Betrüger in den polnischen Callcentern, die meist recht gut Deutsch sprechen, durchstöbern Telefonverzeichnisse nach altmodischen, traditionellen Namen. Sie geben sich auch als Polizisten, Bankangestellte oder Immobilienmakler aus. Die entsprechenden Berufsausdrücke wie «Haftbefehl» oder «Überschreibung» lernen sie in internen Schulungen. Am anderen Ende der Leitung: Ein ahnungsloser Rentner, der oft sein Leben lang gespart hat.
Die Anrufer wechseln innerhalb Polens die Standorte und Städte. Handys nutzen sie nur wenige Stunden. Diejenigen, die das Geld abholen, können meist nur wegen versuchten Betrugs bestraft werden. Die geforderte Strafe für Ewa M. ist 14 Monate. Davon hat sie bereits fast die Hälfte abgesessen.
Der Erfinder des Enkeltricks machte in Polen eine Kunst daraus
Immerhin: Der Drahtzieher der Schweizer Enkeltrick-Mafia Marcin K. alias Lolli (30) sitzt nun in Hamburg (D) in Haft. Im Internet protzte er mit seinem Reichtum. Sein Prozess in Deutschland ist bis Ende Jahr angesetzt. Sein Vater, Arkadiusz L. (49) alias Hoss, gilt als der Erfinder des professionell organisierten Enkeltricks. Der Roma machte daraus in Polen eine Kunst.
Die Verbrecherbande um Hoss soll in den letzten 18 Jahren im deutschsprachigen Raum bis zu einer Milliarde Euro erbeutet haben. In Polen muss er sich nun endlich vor Gericht verantworten. Ob sein Sohn Lolli an die Schweiz ausgeliefert werden kann, ist laut «SonntagsZeitung» noch offen.
Doch auch nach den Verhaftungen der Drahtzieher geht der Enkeltrick weiter.
*Name geändert