Hungrig und müde wartet Joshua Spriesterbach (50) in einer langen Schlange vor einem Obdachlosen-Zentrum in Honolulu. An diesem heissen Sommertag im Jahr 2017 will der Obdachlose sein Essen abholen und liegt schlafend vor dem Gebäude auf der Strasse. Was er zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiss, dass sein Leben bald auf den Kopf gestellt wird.
Wenige Minuten später rüttelt ein Polizist an ihm. Joshua Spriesterbach glaubt zunächst, dass es deswegen sei, weil er auf öffentlichem Grund schläft. Der Polizist nimmt ihn mit aufs Revier. Doch da wird klar: Der Polizist hält ihn für einen Mann namens Thomas Castleberry. Dieser wird wegen Verstoss gegen seine Bewährungsauflagen gesucht.
Die Polizei glaubt ihm nicht
Spriesterbach streitet alles ab und besteht darauf, dass er nichts damit zu tun hat – weil er ja schliesslich nicht Thomas Castleberry sei. Doch die Polizei glaubt ihm nicht, unternimmt aber auch nichts, um seine Identität wirklich zu prüfen. Weder Fingerabdrücke noch Gesicht werden mit dem wahren Täter verglichen. Je mehr Spriesterbach sich wehrt, desto mehr glaubt die Polizei, er sei krank. Er wird in eine psychiatrische Station eines Spitals verlegt. Nicht nur die Polizei, sondern auch Ärzte einer Anstalt stufen Spriesterbach als wahnhaft und psychotisch ein, verabreichen ihm Medikamente dagegen.
Die Organisation Hawaii Innocence Project, welche sich für Gerechtigkeit einsetzt und den Fall von Spriesterbach publik gemacht hat, sagt: «Es ist kein Wunder, dass man ihm Medikamente gab. Er befand sich nach dem Druck des Verhörs in einem schlechten Zustand und war erschöpft».
Schockierend ist: Keiner der Angestellten, weder Polizei noch Spitalpersonal, kommt auf die Idee, Spriesterbachs wahre Identität zu überprüfen. «Niemand hörte ihm zu. Nicht einmal sein Verteidiger glaubte ihm», teilt die Organisation gegenüber der Nachrichtenagentur AP mit.
«Er hat nie eine Entschuldigung bekommen»
Über zwei Jahre sitzt Spriesterbach in der geschlossenen Anstalt, als endlich ein Arzt seine Hilferufe ernst nimmt. Er setzt sich an den Computer, googelt, macht einige Telefonate – und bietet nochmal die Polizei auf, um Fingerabdrücke zu nehmen. Jetzt endlich klärt sich die folgenschwere Verwechslung auf. Der wahre Gesuchte, Thomas Castleberry (49), sitzt seit 2016 im Gefängnis in Seward in Alaska.
Spriesterbach wird entlassen. Er kommt in ein Obdachlosenheim, das seine Schwester Vedanta Griffith benachrichtigt. Sie holt ihren Bruder zu sich, der seither bei ihr lebt und das Anwesen nicht mehr verlassen will. Sie sagt: «Er hat nie eine Entschuldigung bekommen. Weder von der Polizei noch von der Anwaltschaft. Er hat grosse Angst, dass so etwas wieder passieren könnte». (was)