Herr Rickli, sehen Sie die Operation Rubikon als Gefahr für unsere Sicherheit?
Jean-Marc Rickli: Rubikon war ein Programm der 1970er-Jahre. Westliche Geheimdienste, allen voran die der USA, verschafften sich so Zugang zu geheimen Informationen. Heute sind alle Geräte, die mit dem Internet verbunden sind, von Überwachungsmassnahmen betroffen. Umso mehr gilt: Wir müssen darauf achten, wie wir Informationen abhörsicher machen.
Was ist anders in der digitalen Welt?
Unsere Handys und alle Geräte, die mit dem Internet verbunden sind, bestehen aus vielen Einzelteilen, in die sich Hintertüren einbauen lassen. Wollte man so etwas in der Hardware ausschliessen, müsste man die ganze Lieferkette kontrollieren – das ist fast unmöglich.
Nicht nur die Hardware ist ein Problem …
Nein, hinzu kommen die technischen Überwachungsmöglichkeiten durch Software. Spyware kann auf jede erdenkliche Art auf jedes Gerät geladen werden. Und es geht noch weiter: Das Internet der Dinge, das die einfachsten Gegenstände mit dem Internet verbindet, bietet enorme Angriffsflächen. Diese Woche fanden in Freiburg die Swiss Cyber Security Days statt. Dort zeigten Experten auf, dass es in der Schweiz mehr als 54 000 verschiedene solcher kritischen Schwachstellen gibt.
Was sind die grössten Gefahren?
Schützen wir unsere Systeme nicht vor einem Zugriff von aussen, geben wir nicht nur unsere Geschäftsgeheimnisse preis, wir gefährden auch unsere wichtigsten Infrastrukturen: Telefon, Strom, Wasserversorgung, Spitäler… Die wurden bereits zur Zielscheibe von Angriffen. Dahinter stehen oft Kriminelle, die Geld erpressen wollen, aber auch ausländische Staaten oder von ihnen engagierte Hacker. Das Wissen der Schweiz ist sehr attraktiv für ausländische Kräfte. Und nicht nur die Wirtschaft ist betroffen, auch die Demokratie als solche wird angreifbar.
Wie?
Ein gutes Beispiel ist aktuell die Affäre um den Kandidaten für das Pariser Bürgermeisteramt, Benjamin Griveaux. Der Kandidat von La République en Marche (Macron-Partei; Red.) gab vorgestern Freitag seine Kandidatur auf, nachdem explizite Bilder von seinem Handy öffentlich geworden waren, die ihn beim Masturbieren zeigten. Der verheiratete Mann hatte die Bilder einer Freundin geschickt. Solche Attacken zwingen Kandidaten, sich aus dem Rennen zu nehmen, verhindern Debatten und tragen dazu bei, dass wir das Vertrauen in unsere Institutionen verlieren.
Solche Einflussnahmen gab es doch immer …
Ja, aber heute hat dies eine ganz andere Dimension. Die US-Wahlen 2016 waren ein Wendepunkt. Sie zeigten uns, wie einfach demokratische Wahlen beeinflusst werden können. In Bezug auf wirtschaftliche Interessen und Nachrichtendienst hat das Rennen zwischen China und den USA auch Auswirkungen auf die Schweiz. So zeigte uns die Auseinandersetzung um Huawei die Risiken, die durch potenzielle chinesische Hintertüren bei kritischer Infrastruktur entstehen können – insbesondere mit Blick auf das 5G-Netz. Tatsächlich zwingt Artikel 7 des chinesischen Überwachungsgesetzes Firmen, mit der Regierung in Peking zusammenzuarbeiten.
Warum bereitet Ihnen China solche Sorgen?
Es ist nicht nur China allein. Die Rivalität zwischen den beiden Tech-Giganten USA und China führt zu einem grossen Wettbewerb. Xi Jinping hat seinem Land das Ziel gesetzt, bis 2049 zur Weltmacht zu werden. China – wie auch die USA – hat mehrfach bewiesen, dass es aggressive Geheimdienstoperationen im Ausland durchführen kann, um an neue Technologien zu gelangen. Sogar die USA mit ihrem neusten Kampfjet F-35 wurden Opfer von chinesischen Geheimdienstoperationen. Wir leben in einer gefährlichen Welt, in der zwei Weltmächte die Kraft des Internets für ihre eigenen Interessen nutzen. Gleichzeitig haben sie einen strategischen Vorteil, weil der Grossteil der digitalen Infrastruktur von der in diesen Ländern entwickelten Technologie abhängt.
Der Westschweizer Sicherheitsexperte Jean-Marc Rickli (45) leitet die Abteilung globale Risiken und Abwehr beim Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik. Das GCSP ist eine Gründung des Verteidigungs- und des Departements für auswärtige Angelegenheiten. l
- Die Schweizer Firma Crypto AG aus Steinhausen ZG war jahrzehntelang Weltmarktführer in der Herstellung von Verschlüsselungstechnik. Diese wurde in über 100 Länder verkauft, die damit heikle Kommunikationen schützen wollten.
- Was lange vermutet wurde, ist jetzt dank Recherchen von SRF und internationalen Medien bewiesen: Der deutsche Geheimdienst NDB und die CIA hatten von Anfang an die Hände im Spiel. Seit 1970 sogar als Eigentümer der Crypto AG – via eine Tarnfirma im Fürstentum Liechtenstein.
- Was die Abnehmer der Crypto-Technologien nicht wussten: Die Geheimdienste bauten Hintertüren ein, mit denen CIA und BND die vermeintlich sichere Kommunikation mitlesen konnten.
- Als Anfang der 90er-Jahre der Crypto-Mitarbeiter Hans Bühler im Iran wegen Spionage verhaftet wurde, drohte das Konstrukt aufzufliegen. Die Bundesbehörden ermittelten – wie gut, ist eine andere Frage. Die Ermittlungen führten zu nichts.
- Im Januar 2020 hat der Bundesrat den Ex-Bundesrichter Niklaus Oberholzer (66) eingesetzt, die Affäre aufzuarbeiten. Immer mehr Politikern reicht das nicht.
- Die Schweizer Firma Crypto AG aus Steinhausen ZG war jahrzehntelang Weltmarktführer in der Herstellung von Verschlüsselungstechnik. Diese wurde in über 100 Länder verkauft, die damit heikle Kommunikationen schützen wollten.
- Was lange vermutet wurde, ist jetzt dank Recherchen von SRF und internationalen Medien bewiesen: Der deutsche Geheimdienst NDB und die CIA hatten von Anfang an die Hände im Spiel. Seit 1970 sogar als Eigentümer der Crypto AG – via eine Tarnfirma im Fürstentum Liechtenstein.
- Was die Abnehmer der Crypto-Technologien nicht wussten: Die Geheimdienste bauten Hintertüren ein, mit denen CIA und BND die vermeintlich sichere Kommunikation mitlesen konnten.
- Als Anfang der 90er-Jahre der Crypto-Mitarbeiter Hans Bühler im Iran wegen Spionage verhaftet wurde, drohte das Konstrukt aufzufliegen. Die Bundesbehörden ermittelten – wie gut, ist eine andere Frage. Die Ermittlungen führten zu nichts.
- Im Januar 2020 hat der Bundesrat den Ex-Bundesrichter Niklaus Oberholzer (66) eingesetzt, die Affäre aufzuarbeiten. Immer mehr Politikern reicht das nicht.