Seit bald 40 Jahren sorgt sich Förster Hitsch Malär um das Lawinendorf Trin GR
Schutzlos ohne Wald

Der Wald ist der wichtigste Lawinenschutz für das Bündner Dorf Trin. So ist laut Trins Förster Hitsch Malär (61) «das Dorf dem Wald auf Gedeih und Verderb verbunden». Der Schutzwald muss somit gehegt und gepflegt werden.
Publiziert: 03.02.2015 um 18:30 Uhr
|
Aktualisiert: 13.10.2018 um 09:49 Uhr
1/8
Lawinenverbauungen schützen Trin-Mulin, wo der Wald fehlt.
Foto: Arno Balzarini
Von Gabi Schwegler (Text) und Arno Balzarini (Fotos)

Weit wirft der Calanda seinen Schatten über das verschneite Tal. Hier liegt das Dörfchen Trin GR, mittendurch zieht sich die Kantonsstrasse nach Flims. Nur der Hang oberhalb von Trin ist ins Sonnenlicht getaucht, leise zischen Schneewolken von den Tannen. Früh am Morgen zog das Calanda-Wolfsrudel vorbei. «Dieser Hang ist wie ein Balkon für das Wild, sonst sind sie immer im Keller drüben», sagt Trins Förster Christian «Hitsch» Malär (61).

Seit 1978 kümmert er sich um die 1200 Hektaren Wald, die zur Gemeinde gehören. Die Lage am Fuss des exponierten Südhangs macht Trin zum Lawinendorf – und den Wald oberhalb zu seinem wichtigsten Schutzfaktor. «Das Dorf ist dem Wald auf Gedeih und Verderb verbunden», sagt Malär, als er seinen 4x4-Subaru im wadentiefen Schnee auf einem Waldweg parkiert. Der Wald ob Trin ist Schutzwald. 22 Lawinen hielt er im schweren Winter 1999 auf.

Ein Wald in Flammen

Knapp die Hälfte aller Wälder in der Schweiz erfüllen die Kriterien als Schutzwald, selbst in den städtischen Kantonen Basel-Stadt und Genf gibt es Schutzwälder (siehe Grafik). Sie bewahren Menschen, Güter und Strassen, Eisenbahnlinien und Gebäude vor Naturgefahren.

Malär stapft zum schmalen Weg, der sich im Zickzack den Hang hochzieht. Er blickt den Hang hoch, die Hände in den Hosentaschen. Über ihm türmen sich hölzerne Lawinenverbauungen, dazwischen stehen Baumstümpfe, ihre Rinde schwarz vom Russ. «Dieser Anblick tut mir im Herzen weh.»

Im Frühling vor fünf Jahren, ein trockener April, brannte der Wald. Ein Schüler zäuselte, fünf Hektaren Wald gingen in Flammen auf. «Das war in all meinen Jahren hier oben emotional am schwierigsten für mich.» An einem einzigen Tag ging die Arbeit von Jahrzehnten kaputt. Direkt über dem Dorf Trin-Mulin tut sich eine Schneise auf. Der Schutzwald schützt nicht mehr.

Nach dem Brand mussten Malär und seine fünf Mitarbeiter 300 Lawinenverbauungen erstellen. Jede anders, jede angepasst an den steilen Hang. Und sie pflanzten Jungbäume, gezogen aus Samen von Fichten am selben Hang.

Wolle gegen Gämsen

An diesem Morgen lugen nur die Spitzen der kleinen Tännchen unter der Schneedecke hervor. 40 Jahre dauert es, bis sie vier Meter hoch sind und wieder Schutz vor Lawinen bieten. «Als Förster arbeitet man immer für die nächste Generation, ein Wald ist etwas unglaublich Langfristiges», sagt Malär und bückt sich zu einem Bäumchen am Wegrand. Auf dem obersten Trieb hängt ein Knäuel Schafwolle, von den Förstern in Handarbeit angebracht. «Das ist ein Schutz gegen den Verbiss durch Gämsen. Kleine Bäume sind wie junger Salat im Garten und schmecken besonders gut», so Malär. Die Wolle halte die Gämsen ab, weil sie es wie wir nicht mögen, das Maul voller Haare zu haben. Wildbiss gehört zu den grössten Gefahren für die jungen Tannen.

Weiter östlich am Hang stehen nicht zu wenige, sondern zu viele Bäume. «In einem zu dichten Wald besteht die Gefahr, dass sich die Bäume gegenseitig beeinträchtigen. Wir bestimmen Zukunftsbäume und verschaffen ihnen Platz zum Wachsen», sagt Malär. Wachsen heisst vor allem, einen dickeren Stamm mit starken Wurzeln zu entwickeln. Denn hohe, dünne Bäume schützen nicht vor Lawinen.

«Baum fääääällt!», tönt es aus dem Wald. Eine Gruppe Freiwilliger vom Bergwaldprojekt – eine Stiftung, die sich für den Erhalt und die Pflege des Schweizer Waldes einsetzt – fällt jene Bäume, die das Wachstum der Zukunftsbäume einschränken.

Putzen mit der Axt

Äste brechen, Schnee stiebt. Dumpf schlägt die Tanne auf dem rutschigen Waldboden auf. Die zwei Forstlaien Franco Siliberti (49) und Katrin Meyer (35) klatschen ab, wieder ein Baum geschafft.

Die Arbeit ist damit noch nicht getan: Sie ent­asten die gefällte Fichte mit der Bogensäge und ziehen den kahlen Stamm aus dem Wald. «Und ganz wichtig ist das Putzen. Mit der Axt, nicht mit dem Besen», sagt Malär. Mit dem Beil entfernen die Förster die Rinde an den Baumstümpfen, damit sich der Borkenkäfer nicht darunter einnisten kann. Ein einzelner befallener Baum kann zum Ausgangspunkt für einen flächendeckenden Befall werden.

Malär klopft den Fällern auf die Schulter. So mag er den Wald, gesund und gepflegt.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?