Zürcher Chirurg entfernt 10-Kilogramm-Hoden
«80 Prozent des Darms waren im Sack»

Patient Roman N.* versteckte seinen Riesen-Hoden jahrelang unter weiten Hosen. Aus Angst vor Spritzen ging der Familienvater nie zum Arzt. Bis heute: «Jetzt startet für mich ein neues Leben.»
Publiziert: 08.05.2017 um 12:29 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 00:39 Uhr
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«In Europa ist der Fall einmalig»: Chirurg Hani Oweira hat den den Hoden in einer Zürcher Klinik operiert.
Foto: Joseph Khakshouri
Anian Heierli

Hani Oweira (37) ist Spezialist für Bauch-Chirurgie. Der Arzt greift täglich zum Skalpell. Doch selbst er hatte noch nie einen so krassen Fall wie den von Roman N.* (46).

Der Patient kam zu ihm, weil sein Hoden massiv anschwoll. Beinahe bis zum Knie. Die Diagnose: 70 bis 80 Prozent des Darms rutschten hinunter in den Sack, da ein Jahre zurückliegender Leistenbruch unbehandelt blieb.

«Etwas Vergleichbares nie gesehen»

Roman N. ist schon wieder zu Hause. Die achtstündige Operation wurde erst vor wenigen Wochen durchgeführt.

Noch immer etwas geschockt sagt Chirurg Oweira zu BLICK: «Etwas Vergleichbares habe ich noch nie gesehen. In Europa ist der Fall einmalig.» Fakt ist: Der Hoden schwoll derart stark an, weil der Patient viel zu lange keinen Arzt aufsuchte, da er panische Angst vor Spritzen hat.

Künstliche Netze fixieren alles im Bauch

Die Phobie erschwert den Eingriff: Nur in Kombination mit einem starken oralen Beruhigungsmittel war die intravenöse Vollnarkose für die OP überhaupt machbar.

Dann setzte Oweira den ersten Schnitt: «Es war ein Schock», sagt er. «Ich wusste nicht genau, was mich erwartet.» Denn: Eine vorläufige Computer-Tomographie mit Kontrastmittel war wegen der Spritzen-Phobie unmöglich. Der Chirurg aber behielt die Nerven. Selbst als er sah, dass fast der ganze Dünndarm und die Hälfte des Dickdarms im Hodensack liegen.

Er entfernt zuerst beide Organe von einer Fett- und Hautschicht. Nun wird der Eingriff richtig heikel: Oweira muss den Darm zurück in den Bauch operieren. Ein Drahtseilakt, da er wegen der hohen Infektionsgefahr möglichst minimal schneidet. Der Chirurg platziert vier künstliche Netze an Bauch, Leiste und Hoden, die alles fixieren.

Kurze Hosen, Sport und Sitzen waren undenkbar

Zum Glück gelingt die Operation. Und auch die Genesung verläuft super. Patient Roman N. strahlt wieder wie ein Marienkäfer. «Für mich startet ein neues Leben», sagt der Familienvater. Früher verzichtete er auf Alltägliches. Kurze Hosen, Sport oder überhaupt normales Sitzen waren undenkbar. «Ich weinte vor Freude, als ich am Wochenende erstmals seit langem richtig im Stuhl sass.»

Vom geschwollenen Hoden wussten nur die engsten Angehörigen. Roman vertuschte sein Leid geschickt – selbst auf der Arbeit. Er trug nur grosse, weite Hosen. Lange Hemden und Mantel verdeckten die Intimzone zusätzlich. Deshalb war ihm der Winter viel lieber: «Jetzt freue ich mich so richtig auf den Sommer», sagt er. «Vielleicht liegt sogar Schwimmen drin.»

«Danke Hani für die einfühlsame Art»

Im Nachhinein räumt er ein, dass sein Gang zum Arzt reichlich spät kam. Zu seiner Verteidigung: Eine Spritzen-Phobie ist für Aussenstehende kaum nachvollziehbar (siehe Textkasten unten). Die Symptome gleichen im Extremfall Todesängsten. Für Roman N. ist deshalb klar: «Ich will mental am Problem arbeiten.» Die Erleichterung steht im ins Gesicht geschrieben: «Ich danke Hani Oweira für seine Arbeit, Geduld und die einfühlsame Art.»

*Name der Redaktion bekannt

Betroffene meiden Ärzte wie die Pest

In der Medizin kennt man die Spritzen-Angst als Trypanophobie. Betroffene fürchten sich vor Injektionen, Nadeln und Impfungen. In extremen Fällen führt das zu Panikattacken mit Übelkeit oder Herzrasen bis hin zur Ohnmacht. Schätzungen zufolge leiden rund drei Prozent der Bevölkerung an einer irrationalen Spritzen-Angst. Solche Phobiker meiden häufig den Kontakt mit Nadeln. Wichtige Impfungen, Blutuntersuchungen und Operationen werden angstbedingt aufgeschoben. 

Die Mehrzahl der Betroffenen kann den Anfang der Phobie auf ein konkretes Ereignis zurückführen. Die schlechten Erfahrungen liegen meist in der Kindheit. Oft ist professionelle Hilfe zwingend. Ein Gespräch mit dem Arzt des Vertrauens ist angebracht. In schweren Fällen braucht es eine Psychotherapie.

In der Medizin kennt man die Spritzen-Angst als Trypanophobie. Betroffene fürchten sich vor Injektionen, Nadeln und Impfungen. In extremen Fällen führt das zu Panikattacken mit Übelkeit oder Herzrasen bis hin zur Ohnmacht. Schätzungen zufolge leiden rund drei Prozent der Bevölkerung an einer irrationalen Spritzen-Angst. Solche Phobiker meiden häufig den Kontakt mit Nadeln. Wichtige Impfungen, Blutuntersuchungen und Operationen werden angstbedingt aufgeschoben. 

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