Über 60 Jahre waren Sonja (81) und Ernst Sieber (†91) ein Herz und eine Seele. Zusammen setzte sich das Ehepaar für die Schwächsten ein. An Pfingsten hörte nun das grösste Herz der Schweiz auf zu schlagen. Die Witwe empfängt BLICK gestern in ihrem Zuhause in Uitikon ZH – und berichtet über den Abschied von ihrem Ehemann und die letzten Stunden zu zweit.
BLICK: Frau Sieber, wie geht es Ihnen?
Sonja Sieber: Es geht einigermassen. Ich hatte drei Wochen Zeit, mich auf den Tod meines Mannes vorzubereiten. Ich wusste ja, dass der Tag kommt. Und ich weiss: Ernst würde nicht wollen, dass ich weine.
Was ist vor drei Wochen passiert?
Seine Gesundheit verschlechterte sich schlagartig, Ernst musste ins Spital. Ernst wurde von Tag zu Tag schwächer. Ich wachte jeden Tag an seinem Bett, die Kinder wechselten sich nachts ab.
Wusste Ihr Mann, dass es Zeit ist zu gehen?
Es war zuletzt sein grösster Wunsch, nach Hause zu seinem geliebten Heiland zu dürfen. Er konnte zwar nicht mehr sprechen, aber wir verstanden uns. Er hielt meine Hand fest. Wir sangen ihm Lieder vor, er summte mit.
Haben Sie oft über den Tod gesprochen?
Ja. Er sagte immer, Leben und der Tod würden zusammengehören. Er wunderte sich immer, wie das im Himmel wohl sei. Sein Wunsch: «Hoffentlich kann man da auch malen.»
Hat er am Schluss an seinem Glauben festgehalten?
Ja, er war darin unerschütterlich – bis zum letzten Atemzug.
Wo haben Sie Ihren Mann eigentlich kennengelernt?
Es war 1957 an einem Gottesdienst in Uitikon. Auch an Pfingsten. Meine Eltern sagten mir, ich müsse unbedingt kommen. Da sei so ein lässiger Pfarrer. Ich ging etwas unwillig mit. Aber der Gottesdienst war sehr eindrücklich. Ich werde ihn nie vergessen. Ernst sprach über den Heiligen Geist. Er sagte: Jesus ging, aber den Heiligen Geist liess er zurück. Den kann man über ein Gebet anrufen. Und er hilft.
Sie waren über 60 Jahre verheiratet. Hat es keine Krisen gegeben?
Doch! Jede Menge. Wir haben uns oft Wortgefechte geliefert. Wir waren beide sehr impulsiv. Aber der Streit hat nie lange gedauert. Die Liebe war immer die Grundlage für unsere Beziehung. Wir haben immer wieder zu uns zurückgefunden.
Was gefiel Ihnen am meisten an ihm?
Er war für mich ein Genie in jeder Hinsicht. Ich liebe seine Worte, seine Bilder, seine Statuen. Alles war mit Humor gespickt. Mir gefiel auch, dass er vor Kreativität fast explodierte. Immer hatte er neue Ideen.
Ihr Mann wurde von vielen Menschen geliebt. War das manchmal schwierig für Ihre Beziehung?
Nein. Er sagte mir immer wieder, dass ich sein Sünneli sei und dass er alles durch mich und den Heiland mache. Er hatte es nicht gern, wenn ich zu lange weg war. Aber: Ich musste ihn vom ersten Tag an teilen. Alle schwärmten für ihn. Doch der Montag war für uns reserviert. Da haben wir immer etwas Schönes zusammen gemacht.
Was passiert jetzt mit den vielen Bildern von Ihrem Mann?
Die bleiben in Familienbesitz. Wir verkaufen sie nicht. Es ist unser kostbarer Schatz. Wir machen eine Ausstellung. Die Bilder von Ernst sollen für alle zugänglich werden.
Hat er seiner Gemeinde noch etwas mitgegeben?
Er schrieb in seinem letzten Brief: «Unser Dank möge so gross sein, dass er weit über meinen Tod hinausreicht. Bis zum Herzen Gottes.» Er richtete den Dank an die ganze Bevölkerung. Ohne deren Hilfe und Spenden hätten wir nie so vielen Menschen helfen können.
Sprechen Sie in der Trauer jetzt mit ihm?
Nein. Ich lasse ihn in Ruhe. Er wünschte sich so sehr, in den Himmel zu kommen. Da darf ich ihn jetzt nicht runterholen. Davor habe ich grossen Respekt. Ich hatte schliesslich 60 Jahre Zeit, ihn um Rat zu bitten.
Ernst Sieber (†91) setzte sich zusammen mit seiner Frau Sonja (81) sein Leben lang für die Obdachlosen ein. Seine Vorbilder waren Franz von Assisi und Jesus Christus. Bereits im kleinen Pfarrhaus in Uitikon-Waldegg ZH nahm er 1956 Bedürftige bei sich zu Hause auf. Gleichzeitig zog das Paar acht Kinder auf: vier eigene, ein adoptiertes, drei Pflegekinder, dazu kamen 13 Enkel. Im Seegfrörni-Winter 1963 gründete Sieber die erste Obdachlosengemeinschaft im Bunker am Zürcher Helvetiaplatz. Heute hat die Stiftung Sozialwerke Pfarrer Sieber 14 Einrichtungen, ein Budget von über 22 Millionen Franken, 180 Angestellte und 100 freiwillige Helfer.
Ernst Sieber (†91) setzte sich zusammen mit seiner Frau Sonja (81) sein Leben lang für die Obdachlosen ein. Seine Vorbilder waren Franz von Assisi und Jesus Christus. Bereits im kleinen Pfarrhaus in Uitikon-Waldegg ZH nahm er 1956 Bedürftige bei sich zu Hause auf. Gleichzeitig zog das Paar acht Kinder auf: vier eigene, ein adoptiertes, drei Pflegekinder, dazu kamen 13 Enkel. Im Seegfrörni-Winter 1963 gründete Sieber die erste Obdachlosengemeinschaft im Bunker am Zürcher Helvetiaplatz. Heute hat die Stiftung Sozialwerke Pfarrer Sieber 14 Einrichtungen, ein Budget von über 22 Millionen Franken, 180 Angestellte und 100 freiwillige Helfer.